Auf dem Corporate Learning Camp, das mit seinem innovativen Format wiederum einen ungewöhnlich spannenden Gedankenaustausch initiiert hat, hatte ich das Vergnügen, mit Peter Dehnbostel und Friedrich Ittner zur aktuellen Bildungssituation in den Betrieben zu diskutieren. Dieses Gespräch können Sie unter http://colearncamp.hessenmetall.de/networks/videos/index verfolgen.
Zwei Aspekte aus unserem Gespräch sind mir besonders im Gedächtnis geblieben, der Ansatz der Ermöglichungsdidaktik in der betrieblichen Bildung und die Frage, ob in diesem Rahmen auch Bildung möglich ist.
Ich sehe den Ansatz der Ermöglichungsdidaktik von Rolf Arnold als eine wesentliche Grundlage für unsere betrieblichen Bildungskonzeptionen, weil wir damit den Lernern Möglichkeit schaffen, selbstorganisiert ihre Lernprozesse zu gestalten und Selbstwirksamkeit auch persönlich zu erleben. Dies setzt Zieltransparenz, z.B. über Kompetenzprofile, und die Übernahme von Verantwortung durch die Lerner („Ownership“) voraus.
Scheinbar steht der Ansatz der Ermöglichungsdidaktik in Widerspruch zu betrieblichen Lernsystemen, weil sich diese an den strategischen Zielen der Unternehmung orientieren während sich der Aspekt der Ermöglichung primär auf den Lerner selbst bezieht. Ein ermöglichungsdidaktisches Vorgehen orientiert sich nach Rolf Arnold an den Lernenden und traut diesen grundsätzlich mehr zu, als wir gewohnt sind, diesen zuzutrauen. Insbesondere können Lerner ihre Lernprozesse, genauso wie sie ihre Arbeitsprozesse zunehmend eigenverantwortlich gestalten, ihre Lernprozesse selbstorganisiert gestalten. So mach die systemisch-konstruktivistische Pädagogik deutlich, dass Kompetenzentwicklung ohne eine Stärkung der „Ich-Kräfte“ der Lerner nicht wirklich gelingen kann.
Untersucht man den Begriff der Selbstorganisation, der zwangsläufig mit der Ermöglichungsdidaktik verbunden ist , dann wird deutlich, dass sie ein methodisch initiiertes Anstoßen selbstorganisierter Lern- und Handlungsprozesse ist. Dabei kommt den Emotionen und Motivationen für den Lernprozess eine zentrale Bedeutung zu. Hier gilt in besonderem Maße das Wort von Gerald Hüther: „Ohne Gefühl geht gar nichts“. Wenn sich also der Mitarbeiter in diesem Ermöglichungsrahmen selbstorganisiert entwickelt, dann wird er nicht nur im Sinne der Unternehmung „reifen“. Er wird sich dabei immer auch persönlich weiter entwickeln können, wenn auch sicherlich in einem begrenzten Umfang.
Es ist doch absurd zu glauben, man könne die individuellen Lernprozesse der Mitarbeiter zentral steuern und damit auf die strategischen Ziele der Unternehmung hin begrenzen. Die Lernprozesse im Unternehmen werden doch vielmehr durch Regeln, Normen und Werte, die von den Mitarbeitern verinnerlicht sind, koordiniert und synchronisiert. Deshalb ist Lernen kein linearer Prozess, wie es sich viel traditionelle Bildungsverantwortliche wünschen. Aus diesen Erkenntnissen heraus hat sich die Ermöglichungsdidaktik entwickelt (Gomez Tutor 2007).
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Frage, ob im betrieblichen Kontext auch Bildung möglich ist. Bildung ist sicher mehr als bloßes Wissen, insbesondere mehr als Fachwissen. Sie umfasst vielmehr die Entwicklung zur Persönlichkeit und die Erziehung zu einem frei handelnden Wesen, das sich selbst behaupten kann. Diese Beschreibung, die bereits 1803 von Immanuel Kant postuliert wurde, aber auch der Ansatz von Wilhelm von Humboldt, Bildung als die Anregung aller Kräfte des Menschen, die sich über Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen, zu definieren, decken sich in verblüffender Weise mit der Kompetenzdefinition von John Erpenbeck und Volker Heise, die vom Streben nach der Fähigkeit, selbstorganisiert und kreativ zu handeln ausgehen.
Ich bin deshalb davon überzeugt, dass betriebliche Bildung nicht nur dazu beiträgt, zweckorientiert die strategischen Ziele der Unternehmung umzusetzen, sondern dass der Mitarbeiter gerade in kompetenzorientierten Bildungssystemen die Möglichkeit erhält, darüber hinaus seine Persönlichkeit, losgelöst von betrieblichen Zielen, zu entwickeln. Wer im betrieblichen Kontext geistigen und physischen Fähigkeiten aufgebaut hat, selbstorganisiert und kreativ in zukunftsoffenen Problem- und Entscheidungssituationen zu handeln, wird dies auch in anderen Lebensbereichen können. Er entwickelt damit die Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns in all seinen Lebensbereichen. Damit unterscheidet sich Kompetenzentwicklung auch unter dem Bildungsaspekt grundlegend von den Konzepten mechanistischer und instruktivistischer Qualifizierung im Betrieb.
Entspricht dies aber nicht immer stärker dem Menschenbild, das sich im Zuge der Entwicklung zur Enterprise 2.0, zu Industrie 4.0 oder zu Konzepten der Smart Factory heraus schält. Wie sollen die Mitarbeiter denn sonst zukünftig mit zunehmend „intelligenter“ werdenden, humanoiden Computern sinnvoll umgehen können, wenn sie nicht gebildet, d.h. nicht in der Lage sind, selbstorganisiert, kreativ und kritisch diese Systeme zu nutzen? Ohne Bildung werden sie immer weniger frei handeln und sich in der zukünftigen Welt „kluger“ Computer kaum behaupten können.