Die aktuelle politische Diskussion im Schulbereich ist in starkem Maße durch Strukturfragen wie die Einführung von Gemeinschaftsschulen und Auflösung einzelner Schularten, z.B. Abschaffung von Haupt- und Realschulen, oder die Rückkehr zum G9-Modell geprägt. Wird einmal die Forderung nach Verbannung des Frontalunterrichts und der Veränderung der Rolle der Lehrer zu Lernbegleitern formuliert[1], erhebt sich ein breiter Widerstand, von der Lehrerschaft und den Gewerkschaften bis zu etablierten Pädagogen aus dem Hochschulbereich.
Betrachtet man die aktuelle Situation in den Schulen unter dem Aspekt gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen wird man rasch ernüchtert. In unseren Schulen dominieren immer noch die klassischen „Lehr“formen im Rahmen zentral vorgegebener Curricula. Die Ergebnisse der Befragung „Zukunft durch Bildung“ zeigen eindeutig einen hohen Grad an Unzufriedenheit der Bürger mit dem bundesdeutschen Bildungssystem.[2] Der Politik wird bei der Reform des Bildungswesens fehlender Mut zu Veränderungen bescheinigt. Häufig beschränken sich innovative Ansätze des Lernens in den Schulen auf die Einrichtung von Computerräumen oder die Anschaffung von innovativen Lernmedien, wie z.B. interaktive Whiteboards. Dagegen wäre es viel wichtiger, die Potenziale innovativer Unterrichtsformen des stärker individualisierten und selbstgesteuerten sowie kooperativen Lernens zu nutzen.[3] Es gibt jedoch nur wenige Inseln innovativen Lernens, die meist von einzelnen engagierten Lehrern gestaltet werden, um zukunftsorientierte Lernsysteme umzusetzen. Damit meine ich nicht die zum Teil schon Jahre zurück liegenden Aktionen vieler Kultusbehörden, ein Learning Management System (Lernplattform) zentral anzubieten und dann darauf zu warten, dass etwas passiert. In einigen innovativen Lernprojekten dieser Lehrer wird selbstgesteuertes und projektorientiertes Lernen der Schüler mit pfiffigen Lernarrangements ermöglicht.[4]. In sehr wenigen Bereichen des schulischen Lernens setzt sich echtes Kompetenzdenken allmählich durch.[5]
Der BITKOM (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V.) hat in einer aktuellen, repräsentativen Studie die Ursachen für diese weitgehende Stagnation der Schulentwicklung analysiert.[6] Dabei kommt er zu einem erschreckenden Ergebnis:. Nur wenige Bundesländer verfolgen eine konsequente E-School-Strategie. Ausstattung der Schulen, pädagogische Konzepte und die Lehrerweiterbildung stehen meist unverbunden nebeneinander. Die Lehrkräfte werden nicht wirksam begleitet bei ihren Versuchen, elektronische Medien konsequent einzusetzen. Die Chance, die private Nutzung der Informations- und Telekommunikationstechnologie (ITK) durch junge Menschen für deren Lernprozess nutzbar zu machen, wird verschenkt. So wie Bildung heute in der Schule stattfindet, führt sie zumeist nicht zu adäquater Vorbereitung auf die Herausforderungen für das 21. Jahrhundert. Die Universitäten klagen zunehmend darüber, dass die Studienanfänger schlecht vorbereitet zu ihnen kämen. [7] Das gefährdet langfristig den Wirtschaftsstandort.
Der vierte Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz stellte fest, dass sich auch an der Situation in der beruflichen Weiterbildung, in der Struktur der Angebote wie auch der Teilnahme wenig geändert hat.[8] Angesichts der Wissensdynamik und der demografischen Entwicklung, aber auch der Mediennutzung in unserer Gesellschaft[9], ist die Starrheit der beruflichen Bildungssysteme erstaunlich. Es ist bezeichnend, dass innovative Lernformen, wie Social Learning und E-Learning, das lediglich in 18 Prozent der Unternehmen eine Rolle spielt, in diesem Bericht nur ganz allgemein als “selbstgesteuertes Lernen mit Medien” erwähnt werden.
Gleichzeitig wächst eine Generation von Lernern – Generation C genannt – heran, die von klein an tagtäglich eine breite Palette an Medien, insbesondere in digitaler Ausprägung, wie selbstverständlich nutzen. Haushalte in Deutschland, in denen Jugendliche aufwachsen, weisen bei Computern, Mobiltelefonen und Internetzugang heute eine Vollausstattung aus. Vier von fünf Jugendlichen haben einen eigenen Computer oder Laptop. Dank WLAN im Haushalt können 87 Prozent vom eigenen Zimmer aus ins Internet gehen. Ein eigenes Mobiltelefon ist seit Jahren Standard, inzwischen besitzt aber fast jeder zweite Jugendliche ein Smartphone. 79 Prozent der 12- bis 19-Jährigen nutzen zumindest mehrmals pro Woche soziale Netzwerke, insbesondere Facebook.[10] Kinder und Jugendlichen von heute ist es deshalb schlicht nicht mehr zu erklären, warum sie in Schule und Berufsausbildung keinen PC, Smartphone oder Tablets benutzen dürfen. Es gibt zwar viele kluge Antworten im Netz. Um diese zu finden muss man aber gute Fragen stellen und aus den gefundenen Antworten die passende Lösung entwickeln. Die Lerner benötigen dafür entsprechende Kompetenzen.
Es ist deshalb nur eine Frage der Zeit, bis die dynamischen Entwicklungen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, aber auch der Lerntechnologien hin zu semantischen Netzen, unsere Lernsysteme von Grund auf verändern werden.
[1] vgl. u.a. http://www.zeit-fragen.ch/index.php?id=754
[2] Bertelsmann Stiftung (2011)
[3] vgl. Kerres, M., Heinen,R., Stratmann, J. (2012)
[4] Bremer, C. (2010). S. 87 – 97.
[5] vgl. z.B. Rohlfs, C.; Harring, M.; Palentin, C. (Hrg.) 2008
[6] vgl. Bitkom (2012)
[7] vgl. Die Zeit 65, 8. Mai 2013, S. 72 ff.
[8] Autorengruppe Bildungsberichterstattung im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, (Juni 2012), Seite 169
[9] vgl. http://www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php?id=353
[10] Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2012), S. 64 – 66