Effektive Motivation für das Lernen
8 Dezember 2022 2022-12-21 10:41Effektive Motivation für das Lernen
Generationen von Lehrern wurde eingebläut, dass zu Beginn eines Lernprozesses so wenig wie möglich vorweggenommen werden darf, um der Neugiermotivation, dem Überraschungseffekt und dem elementaren Bedürfnis aller Lernenden, sich jeden Inhalt mit hoher Anstrengungsbereitschaft selbst »erarbeiten« zu wollen, nicht entgegenzuwirken. Deshalb schwört die Welt der überzeugten Lehrenden häufig auf eine Motivationsphase beim Einstieg, ausgehend von der nicht hinterfragten Annahme, extrinsische Motivation sei der bedeutsamste Faktor im Lernprozess. Nach dem derzeitigen Stand der pädagogischen Forschung ist dies falsch (vgl. Wahl 2011). Motivation umfasst strukturierte Gefühle, die Umweltereignisse und Objekte, also Erfahrungen und Wahrnehmungen des Menschen in einer ganz bestimmten Art bewerten. Sie antizipieren künftige Handlungen und Handlungsergebnisse in konkretisierter Form.
Motivation entsteht durch Wertungen, die ein Mensch auf Basis seiner Bedürfnisse vornimmt (nach Erpenbeck 1984, S. 59).
Die pädagogisch-psychologische Lernforschung kommt zu einer eindeutigen Aussage über die Motivation als Faktor des Lernerfolges:
Der wichtigste Faktor für den Lernerfolg ist mit weitem Vorsprung die direkte Anknüpfung des Lernprozesses an den aktuellen Erfahrungs- und Wissensstand der Mitarbeitenden (vgl. Wahl 2013, S. 146 ff.). Werden diese Eingangsvoraussetzungen durch die treffsichere Wahl von Praxisaufgaben oder -projekten optimiert, wird sich der Lernerfolg nach vielen empirischen Untersuchungen deutlich steigern und die Orientierung der Lerner verbessern. Deshalb ist für den Lernerfolg die passgenaue Auswahl und verbindliche Vereinbarung der Herausforderungen in der Praxis, in denen die gezielte Werte- und Kompetenzentwicklung erfolgen soll, entscheidend. Dies setzt die maßgebliche Mitwirkung der Mitarbeitenden voraus, da sie ihren Erfahrungs- und Wissensstand am besten selbst einschätzen können. Die Motivation der Lernenden durch Lehrende, Trainer*innen oder Dozent*innen hat dagegen nur eine sehr bescheidene bis gar keine Auswirkung auf den Lernerfolg (ebenda).
Grundsätzlich werden zwei Formen der Motivation unterschieden (Becker 2019, S. 141):
- Extrinsische Motivation wird durch positive Verstärker wie Lob oder Geld oder negative Anreize wie Rüge oder Bestrafung von außen bewirkt.
- Intrinsische Motivation entsteht aus der Aufgabe und dem Erleben des Handelns selbst oder der Erwartung, dass diese Erfahrung eintritt. Man handelt, weil es einem Spaß macht, weil die Tätigkeit als sinnvoll oder herausfordernd empfunden wird oder weil sie einen einfach interessiert.
Intrinsische Motivation kann dabei nur dann entwickelt werden, wenn die Lernenden selbstorganisiert ihre Lernprozesse gestalten können. Im betrieblichen Lernen bieten sich insbesondere folgende Gestaltungselemente zur Förderung der Motivation an (vgl. Schiefele, Streblow 2006, S. 239 ff.):
- Ermöglichung aktiven, selbstorganisierten Handelns in selbst mit ausgewählten, realen Herausforderungen: Kognitive und physische Aktivitäten fördern das Interesse, wenn die Lerner ihre Herausforderungen zum Aufbau ihrer Werte und Kompetenzen selbst mit auswählen können.
- Bedarfsgerechte Ermöglichungsräume – Learning Experience Platforms – anbieten: Selbstorganisiertes Lernen wird durch Planungshilfen, durch Wissen, Kommunikations- und Kollaborationsmöglichkeiten und Feedback ermöglicht.
- Rückmeldungen und Bekräftigungen: Auch kleinere Erfolge sollten zurückgemeldet werden, selbst wenn es nicht optimal läuft. Dagegen sind Tadel und Vorwürfe zu vermeiden.
- Soziales Lernen: Die Lerner entwickeln kollaborativ Lösungen.
- Transparenz über die Entwicklungsfortschritte: Dazu gehören die Rückmeldung von Lernpartner*innen, Lernbegleitenden und Führungskräften sowie Werte- und Kompetenzerfassungen.
Mitarbeitende, die aus intrinsischer Motivation lernen und handeln, sind im Vergleich zu extrinsisch motivierten Kolleg*innen zufriedener, verfolgen die Ziele hartnäckiger, freuen sich mehr über ihre Erfolge und verkraften Misserfolge besser. Dies zeigt sich insbesondere an der Qualität der Ergebnisse. Extrinsische Motivation wirkt sich, wenn überhaupt, nur auf die Quantität der Ergebnisse aus (vgl. Becker 2019, S. 147). Deshalb kommt im Rahmen der gezielten Werte- und Kompetenzentwicklung der Auswahl der geeigneten Herausforderungen in der Praxis, deren Bearbeitung zum angestrebten Werte- und Kompetenzaufbau führen soll, eine besondere Bedeutung zu. Neben den Lernbegleitenden übernehmen die jeweiligen Führungskräfte bei der Beratung der Lernenden eine besondere Rolle.
Es hat sich bewährt, dabei auf folgende Merkmale zu achten (vgl. Becker 2019, S. 107):
- Abwechslung: Wird die Aufgabe als Abwechslung empfunden, z. B. weil sie breiter wird (Job-Enlargement) oder einen neuen Charakter hat (Jobrotation)
- Ganzheitlichkeit: Haben die Mitarbeiter das Gefühl, für einen abgeschlossenen Teilprozess Verantwortung zu tragen?
- Bedeutsamkeit: Ist die Aufgabe für die Mitarbeiter attraktiv und relevant?
- Autonomie:WelcheFreiräumeerhaltendieMitarbeiter(Job-Enrichment)?
- Rückmeldung: Bekommen die Mitarbeiter laufend Rückmeldung über ihren Entwicklungsstand?
- Zeitrahmen: Ist der Arbeitsauftrag zeitlich realistisch gegliedert?
Die pädagogische Forschung hat nachgewiesen, dass die extrinsische Motivation, z.B. durch Animationen, für den Lernerfolg eine nachgeordnete Bedeutung hat, während die Mobilisierung der Vorkenntnisse, die Herstellung von Verknüpfungen zwischen schon vorhandenem und neuem Wissen und die Anbahnung des Verstehens Lernprozesse nachweisbar fördert.
Literatur:
Becker, F.: Mitarbeiter wirksam motivieren. Mitarbeitermotivation mit der Macht der Psychologie. Berlin (2019)
Erpenbeck, J.: Motivation – ihre Psychologie und Philosophie. Berlin (1984)
Schiefele, U.; Streblow,.L.: Motivation aktivieren, in: Mandl, H., Friedrich, H. F.: Handbuch Lernstrategien, S. 232–247. München (2006)
Wahl, D.: Der Advance Organizer: Einstieg in eine Lernumgebung, in: Brandt, S. (Hrsg): Lehren und Lernen im Unterricht. Professionswissen für Lehrerinnen und Lehrer, Bd. 2, Perspektive 1. Zürich (2011)
Wahl, D.: Lernumgebungen erfolgreich gestalten – Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. Bad Heilbrunn (3. Aufl. 2013)