Die Corporate Learning Tagung des HRM Forums zeigte vergangene Woche sehr deutlich auf, dass in den Köpfen vieler, vielleicht sogar der meisten Personalentwickler immer noch die Vorstellung, Lernerfolge mit Hilfe von Tests u.ä. zu messen, dominiert. Dabei spielt es doch überhaupt keine Rolle, ob ein Mitarbeiter, der seine Aufgaben im Arbeitsprozess erfolgreich löst, das notwendige Wissen über zentral geplantes Vorratslernen verinnerlicht hat oder bei Bedarf zeitnah und selbstorganisiert abruft. In den Beiträgen auf dem Brush up in Nürnberg, in dem sich jährlich die Anwender der Kompetenzmessverfahren KODE® und KODE®X, die von John Erpenbeck und Volker Heyse entwickelt wurden, versammeln, dominierte dagegen die Sichtweise, Kompetenzen als als die Fähigkeit zur Selbstorganisationsdisposition und damit letztendlich als Handlungsfähigkeit zu messen.
Schließlich bedeuten beispielsweise fachlich-methodische Kompetenzen nicht, wie oft fälschlicherweise postuliert wird, dass man viel weiß, sondern dass man in der Lage ist, Wissen methodisch sinnvoll und problemlösend anzuwenden. Deshalb ergeben Wissenstests keinen Sinn, wenn man Kompetenzziele anstrebt.
In vielen kurzen Präsentationen wurde im Brush Up eine beeindruckende Vielzahl von Anwendungsbeispielen im Bereich der Kompetenzmessung und – entwicklung in Unternehmen, im Bereich der Sicherheitsunternehmen, aber auch in den Schulen bis hin zum Leistungssport vorgestellt und diskutiert. Daneben fanden unzählige Einzelgespräche in der KODE-/KODEX-Community statt, die nach meinem Empfinden den zentralen Nutzen dieser jährlichen Veranstaltung ausmachen.
Unternehmen müssen dafür sorgen, dass die richtigen Mitarbeiter mit der richtigen Kompetenz an der richtigen Stelle eingesetzt werden. Die notwendige Voraussetzung für gezielte Kompetenzentwicklungs-Prozesse bildet die Kompetenzmessung, auf der die individuellen Lernprozesse aufbauen können. Kompetenzen, die Fähigkeit, Problemstellungen selbstorganisiert und kreativ zu lösen schlagen sich immer in Handlungen nieder. Sie sind keine Persönlichkeitseigenschaften. Kompetenzmessungen schließen deshalb vom aktuellen Handeln auf vorhandene Handlungsfähigkeiten, nicht auf verborgene Persönlichkeitsmerkmale.
Noch immer werden in zahlreichen Unternehmen und Organisationen jedoch wunderbar objektive, reliable und valide Persönlichkeitstests eingesetzt und von versierten, testtheoretisch bestens geschulten und statistische Methoden perfekt beherrschenden Psychologen zu einem Maßstab von Personalauswahl und Personalentwicklung gemacht. Dagegen gibt es ernsthafte Einwände.[1]
Die Anfänge der Kompetenzentwicklung gehen auf McClelland zurück, welcher bereits 1973 feststellte, dass Eignungstests und Intelligenztests nicht ausreichen, um das tatsächliche Potenzial einer Person zu erkennen.[2] Die sehr stabilen Persönlichkeitseigenschaften sind für Unternehmen viel weniger interessant als die zuweilen schnell veränderbaren, entwicklungsfähigen Handlungsfähigkeiten in Form von Kompetenzen.[3] Zudem ist der Schluss von Persönlichkeitseigenschaften auf Handlungsfähigkeiten fragwürdig.
Der beste Prädiktor für zukünftiges Handeln, und damit für Kompetenzen, ist vergangenes Handeln.[4] Das „Handbuch Kompetenzmessung“, das im Sommer 2016 in 3. Auflage heraus kommt, fasst 43 neue und weiter entwickelte Messverfahren zusammen.[5] Als Königsweg zur Kompetenz erweist sich mehr und mehr die kluge Kombination qualitativer und quantitativer Verfahren, sogenannte hybride Verfahren.[6] Im Zentrum steht dabei meist ein Rating, d.h. eine skalierte Abfrage von Kompetenzen, die im jeweiligen Kompetenzmodell mit Hilfe von Handlungsankern festgelegt werden.
Gegen Ratingverfahren gibt es bei klassisch psychometrisch ausgebildeten Psychologen große Vorbehalte. Aber „.unter gewissen methodischen Voraussetzungen sind solche Verfahren das einwandfreie Mittel der Wahl.“[7] Diese Kompetenzmessverfahren haben entscheidende Vorteile. In vielen Fällen gibt es kaum eine Alternative, die dem Untersuchungsgegenstand angemessen wäre.
Dieser Zielfindungsprozess führt dazu, dass die Überlegungen aller Beteiligten sich primär um die Kompetenzentwicklungsprozesse in Praxisprojekten und den Austausch von Erfahrungswissen drehen. Damit wird bereits heute kompetenzorientiertes Lernen in Netzwerken ermöglicht.
Mit dieser Veränderung geht ein Wandel der Lernziele, weg von einheitlichen Wissens- und Qualifizierungszielen hin zu Kompetenzzielen, einher. Deshalb werden zwingend effiziente Erfassungssysteme für Kompetenzen benötigt, die es den einzelnen Lernern ermöglichen, ihre kompetenzorientierten Lernprozesse selbstorganisiert zu gestalten.
Kompetenzmessung findet nicht im luftleeren Raum statt.[8] Sie sind Teil und spürbarer Ausdruck einer Kultur im Unternehmen. Es wird ein an der individuellen Entwicklung von Mitarbeitern angesetzte Kompetenzdiagnose benötigt, die eine selbstorganisierte Kompetenzentwicklung ermöglicht.
Die Systeme, z.B. KODE® und KODE®X, sind entwickelt und haben sich über Jahre in unzähligen Praxisprojekten bewährt. Die Herausforderung besteht darin, geeignete Kompetenz-Messsysteme sinnvoll in Kompetenzentwicklungs-Arrangements zu integrieren, die den Anforderungen der Enterprise 2.0 oder Fabrik 4.0 gerecht werden.[9]
[1] Erpenbeck, J.; Hasebrook, J. (2012), S.227-262
[2] McClelland, D. C. (1973)
[3] vgl. Hossip, R.; Mühlhaus, O. (2005)
[4] Erpenbeck, J. (2012), S.3f
[5] vgl. Erpenbeck, J.; von Rosenstiel, L. +; Grote, S:; Sauter, W. (3.Auflage 2016)
[6] Erpenbeck, J. (2009) S.79ff
[7] Wirtz, M.; Caspar, F. (2002), S.3
[8] Lang-von Wins, T. (2009) S.281
[9] vgl. dazu insbesondere Sauter, W.; Staudt, A.-K. (2015): Erfolgreiche Kompetenzmessung in der Praxis – Mitarbeiterpotenziale erfassen und analysieren, Heidelberg, Berlin