Die aktuelle Krise hat zu einem sprunghaften Anstieg von digital gestützten Arbeits-, Kommunikations- und Kollaborationsformen geführt, wie z. B. Arbeit im Home-Office, Videokonferenzen oder kollaboratives Arbeiten im Netz. Viele Mitarbeiter oder Lerner, die vorher keinen Bezug zu solchen Arbeits- und Lernformen hatten, sammeln nunmehr eigene Erfahrungen. Sicher werden diese nicht immer positiv sein, vor allem, wenn ihnen einfach die Technik freigeschaltet wird, ohne dass konzeptionelle Überlegungen dahinterstehen. Trotzdem kann man davon ausgehen, dass viele ihre Erwartungshaltung an die Arbeits- und Lernformen verändern. Dies hat Konsequenzen für die Geschäftsmodelle der betrieblichen Bildung, des Corporate Learning.
Wir gehen aus unseren Erfahrungen davon aus, dass die Entwicklung der betrieblichen Bildungssysteme besonders durch folgende Merkmale geprägt sein wird:
- Künftiges Lernen ist vor allem selbstorganisierte Werte- und Kompetenzentwicklungund findet fraglos in und mit dem Netz statt – Das Netz ist einer der wichtigsten sozialen Räume künftiger Werte- und Kompetenzentwicklung.
- Bildungszielemüssen die Fähigkeiten zum selbstorganisierten, kreativen, physischen und geistigen Handeln, zur selbstorganisierten Bewältigung von Herausforderungen werden, die wir heute oftmals noch gar nicht kennen.
- Die didaktische Gestaltung des Lernens, weg von einer Belehrungsdidaktik hin zu einer Ermöglichungsdidaktik, die selbstorganisiertes Lernen ermöglicht, gewinnt mehr und mehr Vorrang. Die Mitarbeiter gestalten ihre Lernprozesse selbst.
- Wissensaufbau, Qualifizierung und Kompetenzentwicklung werden in die Eigenverantwortung der Mitarbeiterübertragen. Diese erwarten zunehmend Lösungen, die sie dabei wirksam unterstützen, z. B. die Kuratierung von Inhalten.
- Die Bewertung von Lernleistungenfordert nicht mehr, viel zu wissen, sondern Wissen zur Lösung von Herausforderungen methodisch sinnvoll nutzen zu können. Die Performanz zählt, nicht auswendig gelerntes Wissen.
Das vordergründig „bewährte“ Lehr- und Lernangebot in Unternehmen kann seinen Zweck vielfach nicht erfüllen, insbesondere wenn es auf dem Ansatz des „Vorratslernen“ basiert. Es gab wohl in keinem Betrieb Seminare, die die Mitarbeiter auf Corona vorbereitet hätten. Deshalb geht es doch darum, dass die Mitarbeiter befähigt werden, auch mit noch nicht bekannten Herausforderungen fertig zu werden. Es geht als um den Aufbau von Kompetenzen und der Werte, die als Ordner selbstorganisierten Handelns dienen. Damit benötigen die Unternehmen einen Paradigmenwechsel im Corporate Learning.
Innovative Geschäftsmodelle der betrieblichen Bildung dürfen dabei nicht mehr als Bedrohung, sondern als Chance gesehen werden, den Stellenwert des Corporate Learning als strategischer Partner im Unternehmen zu sichern.
Wie müssen die zukünftigen Lernprozesse im Corporate Learning gestaltet werden? Es ist eigentlich ganz einfach: „Handeln kann man nur handelnd erlernen“ (Wahl, D. 2013). Die Herausforderung in der Konzipierung kompetenzorientierter Lern-Arrangements besteht folglich darin, den Lernern einen Ermöglichungsrahmen zu bieten, um ihre Kompetenzen selbstorganisiert, in einem kommunikativen Prozess mit Lernpartnern (Netzwerk), aufzubauen (vgl. Arnold R. 2017). Dabei gehört es zum notwendigen Design eines Entwicklungsprozesses, dass verschiedene Formen des kollaborativen Lernens ermöglicht werden. Deshalb schlagen wir vor, kompetenzorientierte Lernarrangements anzubieten, in denen die Teilnehmer die Möglichkeiten erhalten, ihre eigenen Herausforderungen, zu bearbeiten und mit Lernpartnern und Unterstützung eines professionellen Lernbegleiters Lösungen zu entwickeln.
Die Lerner können damit ihre Lernprozesse in einem Lernarrangement mit Präsenzphasen und selbstorganisierten Lernphasen im Arbeitsprozess oder in Projekten sowie im Netz (Social Blended Learning), direkt im Prozess der Arbeit (Workplace Learning), unabhängig von Ort und Zeit (Mobile Learning), gemeinsam mit ihren Lernpartnern (Social Learning) und nach dem individuellen Bedarf on demand (Micro Learning) gestalten und steuern. Ergänzt werden die individuellen Lernaktivitäten durch einen kontinuierlichen Austausch im Rahmen von Communities of Practice, in denen die Teilnehmer selbstorganisiert ihre Erfahrungen aus den Projekten und aus ihrer Praxis austauschen und gemeinsam weiter entwickeln. Mit dieser Lernarchitektur werden Lernprozesse möglich, die durch Kompetenzorientierung und Selbstorganisation geprägt sind und deren „Roten Faden“ Herausforderungen im Arbeitsprozess bilden (vgl. Erpenbeck, Sauter 2017).
Unternehmen sollten als ersten Schritt die erforderlichen Kompetenzen der Learning Professionals für die Konzipierung und Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle betrieblicher Bildung mit dem Ziel der selbstorganisierter Werte- und Kompetenzentwicklung zeitnah aufbauen. Dafür sind folgende Aspekte von zentraler Bedeutung:
- Praxis- und Projektorientierung: Die Learning Professionals bauen ihre Werte und Kompetenzen im Rahmen ihrer akuten Bildungsprojekte auf. Lernen und Arbeiten wachsen zusammen. Es entstehen bereits im Lernprozess der Learning Professionals innovative Lernkonzeptionen, die sofort umgesetzt werden können.
- Ermöglichungsrahmen: Bereitstellung und laufende Optimierung der Tools für die personalisierte Lernplanung, die Kommunikation und Kollaboration, die Inhalte sowie das Feedback. Die Lernplattform entwickelt sich zur Learning Experience Platform.
- Steuerung: Professionelle Werte- und Kompetenzerfassungen sowie Lernberatung, Coaching der Führungskräfte in ihrer Rolle als Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter in Verbindung mit professioneller Lernbegleitung.
- Didaktik: Beratung der Mitarbeiter bei der Definition personalisierter Werte- und Kompetenzziele sowie der notwendigen Wissens- und Qualifikationsziele. Bereitstellung von Content und Lernangeboten in modularisierter Form „on-demand“, Ermöglichung eines kompetenzorientierten Wissensmanagements und Kuratierung notwendiger Inhalte.
- Methodik: Ermöglichung personalisierter Lernprozesse mit E-Learning Arrangements, Blended Learning Arrangements, Social Learning und Social Workplace Learning in Verbindung mit Micro und Mobile Learning.
- Veränderungsmanagement: Initiierung und Begleitung eines Prozesses zur Veränderung der erforderlichen Lernkultur in Richtung Selbstorganisation. Aufbau der Werte und Kompetenz der Learning Professionals und der Führungskräfte als Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter in den KMU.
Damit eröffnet sich für das Corporate Learning die Chance, die eigenen Mitarbeiter und Führungskräfte zu befähigen, selbstorganisiert und kompetent die strategischen Ziele des Organisation umzusetzen. Für die Konzipierung und Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle der Bildung ist die Veränderung der Denk- und Handlungsweisen aller Beteiligten an Lernprozessen zwingend erforderlich.
Sie wird jedoch nur möglich sein, wenn im Rahmen der Möglichkeiten zur Anpassung an die aktuellen Erfordernisse ein konsequentes Veränderungsmanagement erfolgt. Die hohe Komplexität des Implementierungs- und Veränderungsprozesses stellt hohe Anforderungen an deren Gestaltung. Um mögliche Widerstände der zukünftigen Lernbegleiter so weit wie möglich auszuräumen bzw. Akzeptanz zu generieren, sehen wir fünf erfolgsversprechende Eckpfeiler als relevant an.
Akzeptanz durch
- Kommunikation, insbesondere auch im Netz, von Anfang an mit allen Beteiligten,
- Einbindung des Lernens in das Führungssystems; die Führungskräfte entwickeln sich zu Entwicklungspartnern ihrer Mitarbeiter,
- eigene Erfahrungen der Mitarbeiter in innovativen Lernarrangements, die ihnen einen spürbaren Nutzen bringen,
- ein laufend optimierter Ermöglichungsrahmen, der effizientes Lernen ermöglicht,
- optimierte Lernbegleitung durch Learning Professionals.
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