Ein Dirigent kann nur die Bedingungen schaffen, die Musik wird von den Musikern gemacht.
Daniel Barenboim, Pianist und Dirigent
Diese Einschätzung des gerade 70 Jahre alt gewordenen Generalmusikdirektors der Deutschen Staatsoper unter den Linden in Berlin lässt sich vollständig auf die Führung und die Kompetenzentwicklung in Unternehmen übertragen. Ein pädagogischer Aufschrei begleitete vor einigen Jahren das Buch „die Weiterbildungslüge“ – dabei zog der Autor nur die Konsequenzen aus der Feststellung, dass die traditionellen Weiterbildungsveranstaltungen und Seminare kaum zu einer Kompetenzentwicklung führen, dass sie vor allem für die Unternehmen herausgeschmissenes Geld bedeuten. Für Deutschland beziffert er die Verlustsumme immerhin mit 30 Milliarden €. Klar ist, und das zeigt dieses Beispiel mehr als deutlich, dass unter zukünftig weiter beschleunigten und globalisierten Wirtschaftsverhältnissen diese Art von Lernen immer fragwürdiger wird. Nicht so sehr aus finanziellen Gründen, sondern aus der Notwendigkeit, mit dem Weltwissen und Welthandeln auf dem jeweils eigenen Gebiet Schritt zu halten.
Von Anfang an hat die konstruktivistische Pädagogik, haben Rolf Arnold, Horst Siebert und viele Mitstreiter den Begriff der Wissensvermittlung als Mythos entlarvt. Als mechanistischen Mythos, der mit der Idee vom Nürnberger Trichter den deutlichsten Stempel des Absurden aufgedrückt bekam. Wer Informationen übermittelt bekommt, verfügt noch über keinerlei eigenes Wissen. Dieses muss in komplizierten, die Wissensaneignung ermöglichenden Entwicklungsprozessen (Ermöglichungsdidaktik) erst aufgebaut werden. Noch weniger können Kompetenzen „vermittelt“ werden. Sie benötigen neben dem selbst aufgebauten Wissen individuell, in Form von Emotionen und Motivationen angeeignete, „interiorisierte“ Wertungen, die ein selbstorganisiertes, kreatives Handeln erst ermöglichen. Interiorisationsprozesse sind jedoch langwierig, setzen emotionale Beunruhigung, Irritation, Labilisierung voraus, um zu greifen.
Lernen, Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit ist also nicht mehr und war vielleicht nie ein netter Nebeneffekt des beruflichen Handelns. Wir haben es vielmehr mit dem eigentlichen Kernprozess der beruflichen Kompetenzentwicklung zu tun. Betriebliches Lernen wird diesen Prozess mehr und mehr begreifen, gestalten und in die Personalentwicklung einbauen – sicher auf Kosten klassischer betrieblicher Weiterbildung. Eine kompetenzorientierte Ermöglichungsdidaktik stellt also gewissermaßen die Antwort auf die Frage nach dem wichtigsten Lernort vom Kopf auf die Füße: Lernen und Handeln fließen zusammen. Christoph Maier und Sabine Seufert überschreiben diese Entwicklung mit „Arbeiten ist Lernen und Lernen ist Arbeiten“. Der Arbeits-, der Handlungsprozess selbst wird zum wichtigsten Lernort.
Den Lernern wird ein „Lernraum“ im Sinne der „Ermöglichungsdidaktik“ zur Verfügung gestellt, den sie nach ihrem individuellen Bedarf nutzen können. Das formelle E-Learning wird mit dem informellen Lernen im Netz verknüpft. Die Lernprozesse werden dadurch individuell, auch in Hinblick auf Ziele und Inhalte. Das Lernen findet primär im Netz statt und wird zum Social Learning. Es findet im Regelfall „vor Ort“ am „Workplace“ beim Lösen von realen Problemstellungen statt.
Für diese Neupositionierung der betrieblichen Bildung müssen viele liebgewonnen Rollenelemente über Bord geworfen werden. Es lohnt sich aber, diesen Weg zu gehen, weil damit der Bildungsbereich in der Zukunft eine strategische Schlüsselposition übernimmt. Hinzu kommt, dass dem Unternehmen die erforderlichen Kompetenzen zur richtigen Zeit in erforderlichem Umfang und am richtigen Ort zur Verfügung – mit vielfältigem Nutzen.