Der Weg zum selbstorganisierten Lernen

Der Ansatz der Ermöglichungsdidaktik, den wir auf der dem CLC 2014 diskutiert haben, prägt unsere praktische Arbeit in besonderem Maße, da sie ein methodisch initiiertes Anstoßen selbstorganisierter Lern- und Handlungsprozesse umfasst. Lernsysteme mit Kompetenzzielen bauen zwingend auf der Selbstorganisation der Lerner auf. Es mutet geradezu grotesk an, wenn, wie man immer wieder beobachten kann, Kompetenzmodelle in Qualifizierungssysteme mit fremdorganisierten Seminarmaßnahmen münden. Dies kann man nur damit erklären, dass es den Personalentwicklern und Trainern offensichtlich sehr schwer fällt, sich von bisherigen, angeblich so erfolgreichen, Seminarmaßnahmen zu trennen. Auch wird immer wieder behauptet, das unsere Mitarbeiter gar nicht in der Lage wäre, selbstorganisiert zu lernen, weil ihre gesamten Lernerfahrungen fremdorganisiert geprägt wären.

Selbstorganisation ist in einem System immer dann notwendig, wenn es sich, wie unsere Unternehmen, laufend und schnell ändert. Auch selbstorganisierte Prozesse können jedoch grundlegend geregelt werden, indem beispielsweise ein Lernrahmen geschaffen wird. Dies erfordert jedoch keinen Ausbau traditioneller Bildungseinrichtungen oder gar die Gründung neuer Akademien. Vielmehr werden neue Lernkulturen benötigt, in denen vielfältige Formen des selbstorganisierten Lernens möglich sind.[1]

Da die Kompetenzentwicklung nur selbstorganisiert durch die Lerner erfolgen kann, benötigen wir eine „Ermöglichungsdidaktik“, wie sie von Rolf Arnold[2] beschrieben wurde. In dieser Lernkultur, die durch einen hohen Grad an Eigenverantwortung gekennzeichnet ist, bietet es sich wiederum an, auch den Wissensaufbau in die Selbstorganisation der Lerner und ihres Lern-Netzwerks zu legen. Damit gewinnen neue Medien und Social Software, aber auch Soziale Lernplattformen, an Bedeutung. Dieser netzbasierten „Ermöglichungsrahmen“ dienen als Arbeits- und Lernräume, die immer mehr zusammen wachsen.

Grundsätzlich können hierbei zwei Ausprägungsstufen des eigenverantwortlichen Lernens unterschieden werden:

  • Selbstgesteuertes Lernen: Innerhalb eines fremdgesteuerten Lernweges zum Wissensaufbau und zur Qualifizierung, der z.B. mittel E-Learning definiert ist, können die Lerner selbst festlegen, wann, wo, wie lange, wie oft, mit wem, mit welchem Lerntempo, mit welcher Lernmethode und in welcher Reihenfolge sie lernen möchten.[3] Die Lernziele und –inhalte sind, z.B. durch ein Curriculum, vorgegeben und werden häufig mit einem Test überprüft. Häufig werden die Lerner durch einen E-Tutor begleitet. Damit kann selbstgesteuertes Lernen ein erster Schritt zur Selbstorganisation im Lernen sein, wenn die Mitarbeiter bisher fremdgesteuerte „Lehr“formen gewohnt sind.
  • Selbstorganisiertes Lernen: Die Lerner definieren ihre individuellen Lernziele selbst und planen ihre Lernprozesse nach ihren Bedürfnissen, die sich aus dem Prozess der Arbeit oder in Praxisprojekten ergeben. Dabei nutzen sie die aktiv die Möglichkeiten, die ihnen innerhalb eines unternehmensinternen Ermöglichungsrahmens zur Verfügung gestellt werden. Die Ziele und Inhalte ihrer Lernprozesse leiten sich jeweils aus den Herausforderungen in der Praxis oder in Projekten ab und sind damit Kompetenzziele. Der Aufbau von Wissen und von Qualifikationen erfolgt bei Bedarf („on demand“) mit Hilfe der Lernmöglichkeiten im Ermöglichungsrahmen.

Erfolgreiches selbstorganisiertes Lernen in Kompetenzentwicklungsprozessen ist möglich, wenn die Lerner folgende Kompetenzen aufbauen:[4]

  • Autonomiekompetenz: Die kognitiv-emotionalen Strukturen jedes Lerners sind einzigartig. Deshalb muss er seine Lernziele selbst definieren und auch überprüfen sowie seinen Lernprozess transparent organisieren, so dass er Phasen der subjektiven Auseinandersetzung mit den Lern-Herausforderungen mit Co-Coaching durch Lernpartner verknüpft.
  • Reflexivitätskompetenz: Der Lerner benötigt die Fähigkeit, die Strukturen des eigenen Handelns zu erkennen und zu analysieren. Hierfür eigenen sich Methoden der Selbstreflexion, der Selbstbeobachtung, des Perspektivenwechsels oder des „Doppeldeckers“.
  • Kommunikationskompetenz: Selbstorganisiertes Lernen bedingt zwingend eine intensive Kommunikation mit Lernpartnern und –begleitern. Die Kommunikationsfähigkeit wird im Rahmen des Co-Coaching-Konzeptes in ganz besonderer Weise gefördert.
  • Handlungskompetenz: Denken, Fühlen und Agieren der Lerner werden aufgabenbezogen zusammengeführt.

Da Kompetenzentwicklung auf der Selbstorganisation der Lerner gründet, eignet sich Social Software in idealer Weise, diese Lernprozesse zu ermöglichen. Weil die meisten Lerner über viele Jahre oder Jahrzehnte aber durch „klassische“ Lernsysteme geprägt wurden, wäre es naiv zu glauben, dass die Bereitstellung von Social Software zu einem intensiven Austausch von Erfahrungswissen führen würde. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir die Lerner in ihrer gewachsenen Lernkultur abholen müssen.

Natürlich können unsere Mitarbeiter selbstorganisiert lernen, sonst wären sie in den Unternehmen fehl am Platz. Schließlich erwartet man heute im Arbeitsleben nahezu ohne Ausnahme  von ihnen, dass sie ihre Aufgaben im Rahmen der Zielvereinbarungen selbstorganisiert lösen. Deshalb wirkt eine Lernkultur der Fremdkultur kontraproduktiv.

Damit der Übergang zu selbstorganisierten Lernsystemen die Mitarbeiter, aber auch die Bildungsplaner und heutigen Trainer, nicht überfordert, empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen. Deshalb empfehlen wir im ersten Schritt,  einen fremdgesteuerten Lernrahmen mit Empfehlungen oder Vorgaben für die individuelle Lernplanung sowie mit didaktisch-methodisch aufbereiteten Inhalten und Kommunikationsinstrumenten zur  Verfügung zu stellen. Innerhalb dieses Lernrahmens kann der Mitarbeiter seine Lernprozesse aber selbst steuern. Dabei wird er von seinem Lernpartner und einem Lernbegleiter unterstützt.

Bewährt haben sich hierbei Kombinationen aus Blended Learning für den selbstgesteuerten Wissensaufbau und die Qualifikation mit selbstorganisiertem praxis-/projektorientiertem Lernen, so dass die Mitarbeiter in einem fremdorganisierten Blended Learning Rahmen schrittweise in die Freiheit der Selbststeuerung und der Selbstorganisation entlassen werden. Damit wandert das Lernen immer mehr an den Arbeitsplatz, die Lernverantwortung geht schrittweise auf den Mitarbeiter über.

[1] nach Siebert, H. (3. Aufl. 2011), S. 3

[2] vgl. Arnold, R. (2000)

[3] Kerres, M. (3. Aufl. 2012), S. 7

[4] nach Wahl, D. (3. Aufl. 2013), S. 213 ff.

 

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