Für die Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik habe ich das Stichwort „Digitale Kompetenzen“ beigetragen:
Die Zukunft hat in der beruflichen Arbeits- und Lernwelt schon begonnen. Heute gehen gerade einmal 20 Prozent der gesamten Wertschöpfung in der Wirtschaft auf digitale Geschäftsmodelle zurück. In fünf Jahren werden es 80 Prozent sein [Jäger 2015]. In wenigen Jahren werden humanoide Computer als digitale Lernpartner unsere personalisierten Lernprozesse begleiten [Erpenbeck, Sauter 2013, 2015]. Die Digitalisierung eröffnet Chancen, Arbeit und Lernen effizienter und effektiver zu organisieren.
Sie betrifft jedoch im Gegensatz zu früheren technologischen Revolutionen nicht nur einfache Routinetätigkeiten, sondern wirkt sich auch auf Tätigkeiten aus, die eine hohe Qualifikation erfordern. Nach Modellrechnungen für den deutschen Arbeitsmarkt wird in den kommenden zwei Jahrzehnten etwa die Hälfte der Arbeitsplätze durch die technologische Entwicklung überflüssig werden [Bowles 2014]. Die Digitalisierung eine große Chance für deutsche Unternehmen, da sich der bis 2030 erwartete Arbeitskräfte-Engpass durch die Digitalisierung auf 2 Millionen Erwerbstätige halbiert [Ostwald et al. 2016]. Gleichzeitig werden neue, spannende Berufe entstehen, die wir heute noch gar nicht kennen.
Die Kernfrage der digitalen Kompetenzentwicklung lautet somit: Wie bereiten wir Menschen auf Tätigkeiten vor, die gegenwärtig noch gar nicht existieren, auf die Nutzung von Technologien, die noch gar nicht entwickelt sind, um Probleme zu lösen, von denen wir heute noch nicht wissen, dass sie entstehen werden (nach Youtube 2014: Shift happens)?
Es hat sich im betrieblichen Bildungsbereich durchgesetzt, solche Fähigkeiten zum selbstorganisierten, kreativen Handeln unter Unsicherheit, in eine offene Zukunft hinein, als Kompetenzen zu bezeichnen [Erpenbeck et al. 2017].
Kompetenzen sind Fähigkeiten, in (zukunfts-)offenen Problem- und Entscheidungssituationen selbstorganisiert und kreativ zu handeln [Erpenbeck et al. 2017].
Digitale Kompetenzen setzen zwar Wissen über digitale Systeme im Arbeitsprozess und die Qualifikation zur Nutzung dieser Systeme voraus, umfassen jedoch deutlich mehr Fähigkeiten.
Digitale Kompetenzen sind die Fähigkeit, Herausforderungen in der Arbeits- und Lebenswelt, die zum großen Teil heute noch unbekannt sind, mit Hilfe digitaler Systeme selbstorganisiert und kreativ lösen zu können.
Digitale Kompetenzentwicklung am Arbeitsplatz und im Netz umfasst damit zumindest fünf fundamentale Aspekte:
- die Fähigkeiten, mit den technischen und kommunikativen Möglichkeiten elektronischer Datennetze selbstorganisiert und kreativ umzugehen
- die Fähigkeiten, die technischen und kommunikativen Möglichkeiten elektronischer Datennetze selbstorganisiert und kreativ für die Kompetenzentwicklung von Schülern, Studenten, Mitarbeitern, Freunden zu nutzen
- die Fähigkeiten, die technischen und kommunikativen Möglichkeiten elektronischer Datennetze für die Entwicklung der eigenen Kompetenzen selbstorganisiert und kreativ zu nutzen
- die Fähigkeiten, die technischen und kommunikativen Möglichkeiten elektronischer Datennetze selbstorganisiert und kreativ mit weiterzuentwickeln
- die Fähigkeiten, die technischen und kommunikativen Möglichkeiten elektronischer Datennetze selbstorganisiert und kreativ mit zu verbreiten.
Dabei benutzen wir den Begriff Netz allein für elektronische Datennetze: Also für räumlich verteilte Verbindungssysteme zur technischen Unterstützung des Austauschs von Informationen und Wissen zwischen Kommunikationspartnern.
Literatur
Bowles, Jeremy (2014): Chart of the Week: 54 % of EU jobs at risk of computerisation. Abgerufen unter http://bruegel.org/2014/07/chart-of-the-week-54-of-eu-jobs-at-risk-of-computerisation/. (zugegriffen am 03.09.2016).
Erpenbeck, John; Grote, Sven; Sauter, Werner; von Rosenstiel, Lutz: Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis. 3. Auflage, Schäffer-Poeschel, Stuttgart 2017.
Erpenbeck, John; Sauter, Werner: Kompetenzentwicklung mit humanoiden Computern. Die Revolution des Lernens via Cloud Computing und semantischen Netzen. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2015.
Erpenbeck, John; Sauter, Werner: So werden wir lernen!. Kompetenzentwicklung in einer Welt fühlender Computer, kluger Wolken und sinnsuchender Netze. Springer, Heidelberg, Berlin 2013.
Jäger, Wolfgang: HR 4.0: Die Folgen der Techno-Trends (2015). Abgerufen unter http://de.news-sap.com/2015/05/20/hr-4-0-die-folgen-der-techno-trends/ (zugegriffen am 30.08.2016).
Ostwald, Dennis A.; Hofmann, Sandra; Acker, Olaf; Pachmajer, Michael; Friedrich, Roman: Der Einfluss der Digitalisierung auf die Arbeitskräftesituation in Deutschland (2016), herausgegeben von der PricewaterhouseCoopers Aktiengesellschaft.