Die Digitalisierung führt zu einem radikalen Wandel des Lernens. So weit sind sich Pädagogen und Personalverantwortliche verschiedenster Provenienz einig. Wie sie ihn gestalten können, darüber sind sie vollkommen verschiedener Meinung.[1]
Der traditionalistische Weg behält, bei aller Berücksichtigung der neuen technischen und kommunikativen Möglichkeiten, die herkömmliche, durch Pädagogik und Öffentlichkeit vertretene Meinung, Lernen sei gleichbedeutend mit der bloßen Aneignung von Wissen und dem Erkennen von Zusammenhängen, bei . Ausgangspunkt ist meist die Aufnahme des Gedankens von einer Industrie 4.0, von einer 4. industriellen Revolution, die sich auf die Möglichkeiten weltweiter Kommunikations- und Datennetze sowie auf das „Internet der Dinge“, also die Vernetzung eindeutig identifizierbarer Objekte/Geräte mit einer Repräsentation in einer Internet-ähnlichen Struktur, bezieht.
Wer in dieser Welt 4.0 leben und in der Industrie 4.0 arbeiten will, sollte tunlichst etwas von Computern und Datennetzen, von den explodierenden neuen Möglichkeiten digitaler Geräte und Geschäftsfelder verstehen. Er sollte zugleich die Möglichkeiten kennen, aus dem im Internet versammelten Wissen alles das abzurufen, was er für sein Lernen, seine Arbeit und seine Lebensgestaltung braucht. Dass das notwendig ist, bleibt unbestritten, insofern ist eine Bildungsrevolution, die das neue Wissen besser, schneller und billiger zum Nutzer transportiert auf jeden Fall von Vorteil. Aber reicht das wirklich aus, um in der zukünftigen, digitalisierten Welt zurecht zu kommen? Ist Bildung 4.0 nicht mehr als die Erweiterung des Fach- und Medienwissens, die eine Industrie 4.0 und eine Arbeitswelt 4.0 hervorbringt?
Der konnektivistische Weg verfolgt genau diese Frage. Er geht davon aus, dass die Lernmöglichkeiten, wie sie digitale Netze eröffnen, mit den prinzipiellen neurobiologisch angelegten Lernfähigkeiten unvermeidlich aufeinanderprallen und dass dies erst durch das individuelle, gruppenmäßige, emotional-geistige und kulturelle Zusammenwirken der Menschen, insbesondere in Lernprozessen, überbrückt werden kann. Deshalb nennt der Begründer des Konnektivismus, George Siemens, seinen Ansatz „eine Lerntheorie für das digitale Zeitalter“.
Der futuristische Weg geht von der heute noch utopisch klingenden Annahme aus, dass neuartige, humanoide Computer selbst zu Lernpartnern des Menschen werden. Die Indizien für eine solche Entwicklung verdichten sich: Da ist der Supercomputer Watson, der auf eine ganz neue, weitreichende Weise lernfähig ist; er kann nicht nur Informationen speichern und analysieren, sondern auch ohne menschliche Mithilfe aus einem selbst wertend analysierten permanenten Wissensnachschub aus einer Cloud unaufhörlich neue, eigene Schlüsse ziehen. Der Computer lernt selbst und denkt selbst. Damit wird er zu einem humanoiden Computer [2] Google steckt inzwischen einen beträchtlichen Teil seines Forschungsaufwandes in das Deep Mind Projekt[3], was mit einer qualitativen Erweiterung des Verständnisses von Lernen und der Neurobiologie des Lernens verbunden ist.
Was bedeuten solche Entwicklungen für Lernsysteme in ca. 10, 15 Jahren und wie kann man sich heute bereits auf diese Entwicklung einstellen? Bei ihr verliert der Mensch seinen Alleinvertretungsanspruch auf das Denken. Der Computer fungiert nicht mehr nur als technischer Gehilfe, Gerät, Instrument, er wird zum Lernpartner im eigentlichen Kompetenzentwicklungsprozess. Nicht nur sein Wissen, auch seine Erfahrungen, Meinungen und emotionsanalogen Wertungen sind gefragt.
Für diesen futuristischen Weg des Lernens gibt es nach meiner Überzeugung keine Alternative. Wir stehen damit schon heute vor einer der größten Revolutionen des menschlichen Lernens und des menschlichen Denkens. Gefragt sind deshalb Schüler, Studenten, Mitarbeiter, die sich in neuen, unerwarteten, Selbstorganisation und Kreativität fordernden Situationen bewähren, die kompetent sind.
Kompetenz wird zum wichtigsten Lernziel.
Dabei ist die Digitalisierung, sind die modernen Informationstechnologien zum Treiber der Entwicklung auf fast allen Gebieten geworden. Sie führen zu Entwicklungsgeschwindigkeiten von Technik und Industrie, Kultur und Politik die mit klassischem Vorratslernen überhaupt nicht mehr zu beherrschen sind. Zugleich liefern die modernen Informationstechnologien auch die Mittel, die neuen Entwicklungen doch und wieder zu beherrschen. Der Lernpartner Computer kann das Erfahrungswissen aus früheren Entscheidungen des Lerners extrahieren, so dass er im Laufe der Zeit auch dessen emotionale und motivationale Wertungen verinnerlichen und in seine Vorschläge einbeziehen kann. Es wird dadurch möglich sein, Kompetenzentwicklung mit Hilfe des Lernpartners Computer auf einem bisher nicht möglichen Niveau zu gestalten.
Sind Computer im Web 1.0 hauptsächlich technische Datenverarbeiter und im Web 2.0 vor allem soziale Verbindungsschaffer, so gewinnen sie in den heutigen Formen von Vernetzungen, die häufig mit Web 3.0, Web 4.0 o. Ä. bezeichnet werden, ein zunehmendes Gewicht als eigenständige soziale Akteure, mit Verstand und gefühlsartigem Handeln, mit Sachwissen und Bewertungen, die sie teils übernommen, teils aber auch selbstorganisiert und kreativ generiert haben.
Der futuristische Lernweg ist, so ein Fazit, von fünf fundamentalen Perspektiven beherrscht:
- Kompetenzperspektive: Entwicklung kreativer, selbstorganisierter Handlungsfähigkeit statt bloßem Wissensvorrat.
- Co-Coaching-Perspektive: Co-Coaching als wichtigste Lehr-Lern-Form, menschliche Lernpartner und humanoide Computer als Co-Coaches.
- Triales-Lernen-Perspektive: Menschliches Lernen im Austausch mit Human Computern und menschlichen Lernpartnern.
- Semantisierungsperspektive: Volle Entfaltung semantischer – wert- und deutungsbezogener – Kommunikation im Netz mit humanoiden Computern.
- Ontologisierungsperspektive: Clouds und ihre Inhalte, in Ontologien erfasst, als Ausgangspunkte trialer Kompetenzentwicklung im Netz.
Das Lernen in und mit solchen Systemen verändert alle unsere Lerngewohnheiten in dynamischer Form. Die Anforderungen an Bildungsplaner und Lernbegleiter und vor allem an die Lerner selbst verändern sich grundlegend und mit wachsender Geschwindigkeit. Gleichzeitig wandeln sich Handlungs- und Lernroutinen, die teilweise über Jahrzehnte angeeignet wurden, nur sehr langsam. Deshalb ist für den futuristischen Lernweg kontinuierlich aufzuklären, welche Möglichkeiten die jeweils aktuellen Entwicklungen der Computertechnologie für das schulische, berufsbildende, universitäre und betriebliche Lernen eröffnen.
Es wird spannend sein zu beobachten, wie sich die Bildungslandschaft in den kommenden Jahren verändern wird. Man muss sich auf jeden Fall schon jetzt auf die absehbaren Veränderungen im Lernbereich einstellen, um die beteiligten Lehrer, Dozenten, Führungskräfte, Personalentwickler, Trainer und vor allem die Lerner rechtzeitig auf die Lernsysteme der Zukunft vorbereiten.
Zukünftig wird nicht mehr die Technologie, sondern der Mensch der limitierende Faktor in den Lernsystemen sein.
[1] Vgl. im Folgenden Erpenbeck, J. 2016 in Arbeit
[2] vgl. BITCOM 2015
[3] vgl. Marblestone/Wayne & Kording 2016