Doppeldecker-Prinzip

Jochen Robes vermisste in meinem letzten Beitrag mehr Kontext und Einordnung. Wie er am Schluss vermutet hat, verstehe ich meinen Blog als eine regelmäßige Darstellung von Gedanken, Überlegungen oder Erfahrungen, die mir aktuell in den Sinn kommen.  Deshalb werden bestimmte Aspekte immer wieder, jedoch aus unterschiedlichem Fokus, auftauchen. Ob man das nun eine „Serie“ nennen kann, weiß ich nicht. Mein Wunsch besteht auf jeden Fall darin, einen dauerhaften Austausch zu initiieren. Deshalb habe ich mich über seine Rückmeldung gefreut.

In seiner Anmerkung wurde explizit nach dem Begriff „Doppeldecker“ gefragt, auf den ich gerne etwas näher eingehe.

Hintergrund dieses Entwicklungskonzeptes für Trainer, Tutoren, E-Coaches oder Lernbegleiter ist die Erfahrung, dass erworbenes Wissen über dozentisches Verhalten oder über die Moderation von Lernprozessen im Regelfall nicht in die Praxis umgesetzt wird. Es ist einfach naiv zu glauben, dass Seminarteilnehmer Informationen über die Gestaltung von Lernsystemen umgehend auf ihre bisher meist trainingsorientierte Praxis übertragen.  Dafür sind folgende Gründe maßgebend:

  • Bisherige handlungssteuernde Prozesse und Strukturen werden durch Seminare nicht außer Kraft gesetzt und es werden keine entsprechenden neuen Prozesse und Strukturen schrittweise aufgebaut. Dies hat zur Folge, dass Dozenten trotz „besseren Wissens“ wie gewohnt handeln, so dass eher Zweifel an der eigenen Person und Selbstvorwürfe bzw. Schuldgefühle entstehen können.
  • Die im Seminar neu vermittelten Informationen werden nicht zu eigenem Wissen aufgebaut, weil sie nicht an den handlungssteuerndem Prozessen und Strukturen der Teilnehmer anknüpfen. Da die Dozenten deshalb keine Verbindung zwischen der erworbenen Theorie und dem, was sie in ihrer Trainerpraxis erleben, sehen, wird sich ihr Handeln nicht ändern.
  • Erfolgreiche Dozenten und Trainer beherrschen virtuos die Methodik dozentenorientierter Seminare. In Lernsystemen mit hoher Selbstorganisation ist aber genau diese Kompetenz nicht mehr gefragt, es entsteht ein Gefühl der Verunsicherung, vielleicht sogar von Versagensängsten.

Handlungsorientierte Entwicklungsmaßnahmen mit dem Ziel, die Kompetenz zur Ermöglichung und zur Begleitung selbstorganisierter  Lernprozesse aufzubauen, sind durch folgende Herausforderungen geprägt:

  • Die Teilnehmer besitzen bereits handlungssteuernde Prozesse und Strukturen, die sich über Jahrzehnte entwickelt haben. Jeder hat aufgrund seiner individuellen, vielfältigen Erfahrungen als Lehrender und Lernender hoch individuelle Situations- und Reaktionstypen „gebündelt“, so dass Herausforderungen auf unverwechselbare Art aufgenommen und mit Hilfe der Handlungsroutinen beantwortet werden.  Deshalb müssen Handlungsroutinen verändert werden, wenn grundlegend veränderte Lernkonzeptionen umgesetzt werden.  Dabei sind die Teilnehmer oft überfordert, wenn sie ohne Unterstützung in Form einer Selbstmodifikation ihre vorhandenen Situations- und Reaktionstypen sowie deren Verknüpfungen verändern sollen.
  • Psychologische Theorien oder Lernkonzeptionen sind von hohem Allgemeinheitsgrad und treffen in der Realität auf hoch individuelle subjektive Theorien.
  • Handlungspläne spielen im konkreten Handeln der Trainer und Dozenten eine entscheidende Rolle. Deshalb ist die Entwicklungsmaßnahme so aufzubauen, dass sich die Teilnehmer von einer allgemeinen Handlungsebene, dem Planen, zu einer konkreteren Handlungsebene, der Lernbegleitung , entwickeln.

Auf Basis der theoretischen und empirischen Grundlagenforschung von Diethelm Wahl[1] haben wir deshalb folgendes Entwicklungsdesign für Lernbegleiter in innovativen Lernsystemen umgesetzt:

  • Doppeldecker: Die Teilnehmer erfahren innovative Lernkonzepte auf zwei Ebenen, der emotionalen und der kognitiven. Sie nehmen zunächst als Lerner an einer Entwicklungsmaßnahme für Ermöglicher und Begleiter innovativer Lernprozesse teil. Sie reflektieren regelmäßig über ihre Lernerfahrungen und übertragen diese auf ihre eigene, zukünftige  Rolle als Lernplaner und -begleiter. Damit erleben sie den Lernprozess aus dem Fokus des Lerners und des Lernbegleiters, daher der Begriff „Doppeldecker“.
  • Verursacherprinzip: Jeder Teilnehmer entwickelt seine Kompetenzen im Rahmen eines realen Lernprojektes, das er anschließend in die Praxis umsetzt. Sie tauschen ihre Entwicklungsergebnisse regelmäßig über Projekttagebücher mit ihren Lernpartnern und E-Coaches aus, diskutieren die verschiedenen Lösungsvorschläge und entwickeln in dieser Community of Practice ein gemeinsames Verständnis für die Gestaltung ihrer Lernsysteme. Gleichzeitig bauen sie damit ihre Unsicherheit in Hinblick auf das bisher unbekannte Lernsystem ab.

Die Teilnehmer entwickeln also ihre Kompetenzen genau mit den Konzepten und Methoden, die sie anschließend bei ihrer eigenen Zielgruppe anwenden werden. Dieser Ansatz hat sich in über zwei Jahrzehnten bei der Implementierung innovativer Lernsysteme in hohem Maße bewährt, da dadurch letztendlich ein Veränderungsprozess im Team der Lernplaner und –begleiter initiiert wird.


[1] vgl. Wahl, D. (1991): Handeln unter Druck – Der weite Weg vom Wissen zum Handeln bei Lehrern, Hochschullehrern und Erwachsenenbildnern. Weinheim sowie Wahl, D. (2. erw. Aufl.2006): Lernumgebungen erfolgreich gestalten – Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. Bad Heilbrunn

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