Duale Berufsausbildung – auch in Zukunft ein Erfolgsmodell?

Das vielgerühmte Erfolgsmodell duale Berufsausbildung ist zwiespältig.[1] Der Wissensaufbau und die Qualifizierung einerseits und die Kompetenzentwicklung im Ausbildungsbetrieb andererseits werden nach diesem Prinzip zwischen Berufsschule und Ausbildungsbetrieb aufgeteilt. Im Berufsschulunterricht wird das Fachwissen nach Curricula, die teilweise mehr als zwei Jahrzehnte alt sind, meist im „klassischen“ Frontalunterricht, kombiniert mit Übungsphasen und Hausaufgaben durch eher theorieorientierte Lehrer dargeboten. Manche Betriebe, die dieser Qualifizierung nicht vertrauen, wiederholen diesen Frontalunterricht dann nochmals in eigenen Seminaren, dem sogenannten„Lehrlings-Unterricht“. Dass dies tendenziell zur Folge hat, dass die Auszubildenden in der Berufsschule ihre Aufmerksamkeit reduzieren, weil sie den Stoff im Betrieb nochmals „vermittelt“ bekommen und im innerbetrieblichen Unterricht eher schlafen, weil sie das Thema schon mal in der Berufsschule behandelt haben, ist menschlich.

Die Praxisausbildung und damit die Kompetenzentwicklung finden weitgehend losgelöst von diesen Qualifizierungsmaßnahmen statt. Gegen Schluss der Berufsausbildung wird das Ergebnis mit einer meist stark wissensorientierten schriftlichen und mündlichen Prüfung vor der IHK getestet. Viele Ausbilder bzw. Führungskräfte messen Ihren Erfolg nach wie vor an diesen Prüfungsergebnissen, obwohl sie nahezu nichts über die Kompetenzen der Absolventen aussagen. Viel schlimmer ist, dass diese Rahmenbedingungen und insbesondere das Prüfungssystem der dualen Berufsausbildung konsequent kompetenzorientierte Ausbildungskonzeptionen verhindern. So klagen Unternehmen, die versuchen, ihre Auszubildenden in einem selbstorganisierten, kompetenzorientierten Lernarrangement auszubilden, darüber, dass die Kultur des eigenverantwortlichen Lernens immer wieder drastisch beeinträchtigt wird, wenn sie in der Berufsschulphase fremdgesteuerten Unterricht erfahren. Es ist auch nicht zu erwarten, dass der DIHK oder vergleichbare Insitutionen, trotz besseren Wissens, ihre lukrativen Prüfungssysteme zugunsten eines kompetenzorientierten Ausbildungsansatzes aufgeben oder dass die Berufsschulen ihre Rolle als „Wissensvermittler“ grundlegend überdenken werden.

In dieser Form hat die duale Berufsausbildung keine Zukunft. Paradox daran ist, dass Lehrende und Ausbildende genau wissen, dass von gelerntem Fachwissen am Ende der Ausbildung fünfzig Prozent oder mehr veraltet sind, außerdem aber Informationswissen zu höchstens sieben Prozent überhaupt behalten wird. Kompetenzen hingegen, als erworbene Fähigkeiten selbstorganisiert und kreativ zu handeln, insbesondere im beruflichen Bereich, sind direkt verwertbar, bleiben, solange abgefordert, weit über die Erwerbszeit hinaus bestehen und sind in andere Handlungsdomänen mit Gewinn übertragbar.

Ich glaube, dass es naiv wäre, darauf zu warten, dass unsere Kultusbürokraten und der DIHK in absehbarer Zeit diese unsinnigen Rahmenbedingungen verändern. Sie müßten sich nämlich als Institution selbst zur Diskussion stellen. Deshalb stellt sich die Frage, wie bereits heute eine kompetenzorientierte Berufsausbildung gestaltet werden kann. Unsere Praxiserfahrungen, z.B. bei den nordrhein-westfälischen Genossenschaftsbanken, zeigen, dass dies möglich ist.

Für eine kompetenzorientierte Berufsausbildung, die den heutigen Anforderungen der Unternehmen gerecht wird, bietet sich folgende Struktur an, die Entwicklungsansätze auf der Praxis-, der Coaching- und der Trainingsebene kombiniert:

Der Wissensaufbau und die Qualifizierung erfolgen weiter nach dem verbindlichen Curriculum der Rahmen-Lehrpläne, ergänzt um unternehmensspezifische Inhalte, in einem Blended Learning Arrangement. Die Verantwortung für den Aufbau des Fachwissens und der geforderten Qualifizierung wird vom ersten Tag an voll in die Verantwortung der Auszubildenden gelegt. Dabei können sie mit Unterstützung eines begleitenden Ausbilders einen Ermöglichungsrahmen mit Web Based Trainings, Lernvideos, Podcasts oder Printmedien, aber auch Tandem- und Gruppentreffen sowie Workshops aktiv nutzen, um ihre individuellen Lernprozesse zu gestalten und offene Fragen zu klären. Wissen und Qualifikation sind dabei nicht das Ziel, sondern eine notwendige Voraussetzung für die IHK-Prüfung und vor allem für den umfassenden Prozess des Aufbaus von Kompetenzen.

Die Erfahrungen, die wir seit fast drei Jahrzehnten mit Auszubildenden in selbstorganisierten Lernprozessen machen, zeigen, dass selbstgesteuerte Lernprozesse, auch bei geringer schulischer Kompetenz der Auszubildenden, sehr wohl möglich sind, wenn solche Lernkonzeptionen vom ersten Tag an konsequent umgesetzt werden. Während die Berufsschüler im Klassenverbund alle nahezu gleich behandelt werden, kann in diesem Blended Learning Arrangement jeder Auszubildende nach seinen Vorkenntnissen, seinem Lerntyp und seinen Vorlieben, unterstützt von Lernpartnern und einem Lernbegleiter, lernen. Dies ermöglicht es erst auch schwachen Auszubildenden, ihre Lernziele zu erreichen. Sind die Auszubildenden einmal fremdgesteuertes Lernen gewohnt, ist diese Umstellung erfahrungsgemäß nur noch mit großen Hindernissen möglich.

Eigentlich wird die Berufsschule damit überflüssig, weil sie sich im Regelfall genau auf diesen formellen Lernbereich beschränkt. Da wir im Regelfall eine Berufsschulpflicht erfüllen müssen, bietet es sich an, die Berufsschulen in die betriebliche Lernkonzeption mit einzubinden. Wenn es gelingt, die Berufsschule davon zu überzeugen, dass sie ihre Rolle als Anbieter eines Lernrahmens und Begleiters der formellen Lernprozesse mit dem Ziel der IHK-Prüfung sieht, kann verhindert werden, dass die Auszubildenden ständig zwischen selbst- und fremdgesteuerter Lernkultur hin- und herspringen müssen. Erfreulich ist, dass es in der Praxis sehr wohl Schulen gibt, die für solche Kooperationen offen sind.

Da die Lernfortschritte laufend festgehalten werden, können die Auszubildenden sich gezielt auf die Abschlussprüfung vorbereiten. Je nach Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung kann auch der Ausbildungsverantwortliche diese Lernprozesse mit steuern. Die Lernprozesse werden transparent.

Die Möglichkeiten und Ziele der individuellen Kompetenzentwicklung der Auszubildenden leiten sich in unserem Vorschlag aus einer vorangegangenen systematischen Kompetenzmessung ab. Kompetenz wird dabei als die Fähigkeit aller Auszubildenden gesehen, sich in offenen und unüberschaubaren, komplexen und dynamischen Situationen kreativ und selbstorganisiert zu Recht zu finden; Kompetenzen werden als Selbstorganisationsdispositionen verstanden. Diese Ausbildungskonzeption optimiert deshalb die Bedingungen der Möglichkeit dieser Kompetenzentwicklung in herausfordernden Praxisaufgaben und -projekten und im Netz.

Die Auszubildenden übernehmen die Verantwortung für ihre Kompetenzentwicklung und nutzen aktiv die Instrumente der Kompetenzentwicklung sowie ihr Netzwerk aus Lernpartnern (Co-Coaching), Lerngruppen (Kollegiale Beratung), Lernbegleitern (E-Coaching) und Experten (Umsetzungs-Workshops, Praxistrainings) auf der Basis der Vereinbarungen mit dem Ausbilder bzw. der Führungskraft. Dabei nutzen sie E-Portfolios zur Planung und zur Dokumentation ihrer Lernprozesse.

Dies bedeutet, dass mit jedem Auszubildenden zu Beginn einer Ausbildungsphase, z.B. in einer neuen Abteilung, auf Basis der bisherigen Erfahrungen und der Kompetenzmessungen ein Entwicklungsgespräch mit dem Ausbilder und/oder seiner neuen Führungskraft geführt wird. Darin werden systematische Entwicklungsmaßnahmen in konkreten Herausforderungen am Arbeitsplatz, in Projekten oder in Praxismaßnahmen vereinbart. Den Kern der Entwicklungsprozesse der Auszubildenden bilden dabei die Praxis- und Projekterfahrungen sowie der Erfahrungsaustausch über Ausbildungstagebücher (Blogs) und Problemlösungen in Netzwerken (Communities of Practice). Sie lernen von Anfang an, selbstorganisiert und in Netzwerken produktiv zu arbeiten. Die Praxisausbildung steht im Vordergrund, der Wissensaufbau und die Qualifizierung bilden dafür die notwendige Voraussetzung.

Dieses integrierte Kompetenzentwicklungs-Arrangement verbindet den Aufbau formellen Fachwissens und die Qualifizierung für die IHK-Prüfung, aber auch für die betrieblichen Erfordernisse, mit der selbstorganisierten Kompetenzentwicklung in der praktischen Ausbildungsphase. Der Umfang der Präsenztermine könnte gegenüber der bisherigen rein seminaristischen Maßnahme auf bis zu 10 % gesenkt werden, da das Lernen überwiegend im Prozess der Arbeit stattfindet. Aufgrund der sehr hohen Aktivität und Selbstorganisation der Auszubildenden kann diese Konzeption bei konsequenter Umsetzung eine sehr hohe Lerneffizienz aufweisen.

Die Konzeptionen und die notwendige Lerninfrastruktur stehen in Form von Sozialen Lernplattformen bereits heute zur Verfügung. Erste, sehr positive Erfahrungen liegen vor. Damit besteht die Chance, das Konzept der dualen Ausbildung trotz der widrigen Rahmenbedingungen von Seiten der Kultusbürokratie und des DIHK auch in der Zukunft als Erfolgsmodell weiter zu führen.

[1] Vgl. Hoffmann-Cadura, S. (2011)

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