Wenn sich die Unternehmenskultur, aber auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, z.B. in Richtung Sozialer Netzwerke, wandeln, wird sich deren Teilmenge, die Lernkultur ebenfalls entsprechend weiter entwickeln. Wandelt sich die Rolle der Mitarbeiter immer mehr vom fremdgesteuerten „Befehlsempfänger“ zum selbstorganisiert handelnden Mitarbeiter, dann werden sich die Lerner auch entsprechend verändern. Aus der „Lehr-„kultur wird die „Lern-„kultur. Dabei existiert naturgemäß nicht nur eine Lernkultur, sondern es entwickeln sich parallel mehrere, differente Lernkulturen.
Wir gehen in unseren Projekten von folgender Definition der Lernkulturen aus:[1]
Lernkultur ist das System sozialer Prozesse und Handlungen, deren Kern Normen und Werte sind, die das Lernen der Mitarbeiter und Führungskräfte auf allen Stufen des Unternehmens bestimmen. Sie konkretisiert sich im Lernhandeln und in den Kompetenzen der Lerner und setzt ein ständiges Lernen aller Beteiligten voraus.
Kompetenzentwicklung erfordert Selbstorganisation, da diese auf der Lösung von Praxisproblemen in realen Entscheidungssituationen, auch unter Unsicherheiten, basiert. Das Lernen erfolgt also unter den Bedingungen von Komplexität, Chaos und Unberechenbarkeit.[2] Von zentraler Bedeutung sind dabei Methoden der kooperativen bzw. kollaborativen Selbstentwicklung der Mitarbeiter und Führungskräfte. Dabei geht es vor allem um die Lernkompetenz als Fähigkeit zur Selbstorganisation von verantwortungsvollem und reflektierenden Handeln.
Selbstorganisation ist in einem System immer dann notwendig, wenn es sich, wie unsere Unternehmen, laufend und schnell ändert. Auch selbstorganisierte Prozesse können jedoch geregelt werden, indem beispielsweise ein Lernrahmen geschaffen wird. Dies erfordert jedoch keinen Ausbau traditioneller Bildungseinrichtungen. Vielmehr sind neue Lernkulturen erforerlich, in denen vielfältige Formen des selbstorganisierten Lernens möglich sind.[3]
Es werden deshalb Lernsysteme benötigt, die der individuellen und gruppendynamischen Selbstorganisation möglichst viel Spielraum lassen.[4] Die Lernprozesse werden im Rahmen von Zielvereinbarungen mit problemorientierten Lerninstrumenten und vielfältigen Vernetzungen gestaltet. Das System bietet den Lernern Hilfen und Hinweise, damit sie ihre Problemstellungen in der Praxis selbständig, mit Lernpartnern oder im Netz lösen können. Die Lerninhalte sind in hohem Maße modularisiert und können bei Bedarf „on demand“ genutzt werden.
Im Rahmen von Kompetenzentwicklungssystemen ist die häufig genutzte Unterscheidung von selbstgesteuertem und selbstorganisierten Lernen nicht sinnvoll, da diese Lernprozesse immer individuell gestaltet werden. Selbstgesteuertes Lernen findet jedoch im Rahmen vorgegebener Ziele und Inhalte statt und wird in diesem Rahmen durch die Lerner individuell gestaltet. Selbstorganisiertes Lernen bedeutet nach unserem Verständnis dagegen, dass Lerner ihre Ziele und Inhalte, aber auch Lern- und Sozialformen, Medien und Zeiten sowie Lernorte selbst, alleine oder im Netzwerk, festlegen. Deswegen sprechen wir in Kompetenzentwicklungssystemen nur von selbstorganisiertem Lernen.
Innovative Lernsysteme erfordern eine „neue Lernkultur“, die ermöglichungsorientiert, selbstorganisationsfundiert und kompetenzorientiert ist.[5] Diese „neue Lernkultur“ unterscheidet sich fundamental von der tradierten Lernkultur, die wir alle aus unserer schulischen Lernkarriere her kennen. [6]
Kriterium |
Tradierte Lernkultur |
Innovative Lernkultur |
Ziele | Zentral vorgegebene Wissens- und Qualifikationsziele (Curricula) | Individuelle Kompetenzziele |
Inhalte | Formell: „Gesichertes“ Fachwissen, überwiegend statisch | Formell und informell: Dynamisches Erfahrungswissen |
Lernorte | Seminar, Learning Management System | Arbeitsplatz, Soziale Lernplattform |
Methodik | Lehre, Übungen (Aufgaben, Fallstudien, Planspiele…), E-Learning und Blended Learning | Kollaboratives Lernen und Arbeiten innerhalb eines Ermöglichungsrahmen, selbstorganisierter Wissensaufbau im Netz, Blended Learning und Social Learning |
Medien | Seminar-Medien, Printmedien, wisssensorientierte WBT*, Lernvideos, Learning Community (Foren, Chat, virtual Classroom …) | Workshop-Medien, problemorientierte WBT*, Social Media, Community of Practice (Blog, Wiki….) |
Lernen mit Lernpartnern | Evtl. kooperativ im Rahmen von Übungen, Lerntandems | Kollaborativ beim Lösen realer Praxisprobleme, Co-Coaching |
Rolle des Lernbegleiters | Lehrer/Trainer/Ausbilder | Coach und/oder Mentor |
Lernerfolg | Test, Präsentation, mündliche Prüfung | Erfolg in der Praxis (Performanz), Projektlösungen |
Lernprozess | Überwiegend fremdorganisiert, selbstgesteuerte Lernphasen | Selbstorganisiert |
* Web Based Trainings (Netzbasierte, interaktive Lernprogramme)
Die betriebliche Lernkultur wird noch viele Jahre lang einen hybriden Charakter aufweisen, so dass die Lerner in den Unternehmen mit beiden Ausprägungsformen umgehen müssen. Neben der tradierten Lernkultur werden sich aber immer mehr Elemente einer selbstorganisierten Lernkultur durchsetzen. Deshalb wird ein Veränderungsprozess benötigt, der diese Entwicklung bedarfsgerecht unterstützt. Die Mitarbeiter und Führungskräfte müssen dabei ihre Kompetenz aufbauen, ihre Lernprozesse zunehmend selbstorganisiert mit innovativen Lernsystemen zu gestalten.
[1] vgl. Erpenbeck, J.; v. Rosenstiel, L. (2. Aufl. 2007); S. XX; Siebert, H. (3. Aufl. 2011), S. 139 ff.; Fleige, M. (2011), S. 41. F.
[2] vgl. Erpenbeck, J.; v. Rosenstiel, L. (2. Aufl. 2007); S. XX
[3] nach Siebert, H. (3. Aufl. 2011), S. 3
[4] Siebert, H. (3. Aufl. 2011), S. 3
[5] vgl. Erpenbeck, J.; v. Rosenstiel, L. (2. Aufl. 2007); S. XX
[6] In Anlehnung an Kirchhöfer, D. (2004), S. 113