In einem Umfeld, das sich mit wachsender Geschwindigkeit weiter entwickelt, beschäftigt uns naturgemäß die Frage, wie wir zukünftig lernen werden. Wenn die Leistungsfähigkeit der Computer so zunimmt, wie uns die Experten vorhersagen, dann sind vollkommen neue Lernszenarien denkbar, auf die wir uns bereits heute einstellen sollten. Insbesondere im Bereich der Lernkultur, aber auch der Kompetenzen der Gestalter und Begleiter von Lernprozessen, sind grundlegende Veränderungen notwendig. Da diese Veränderungsprozesse viel Zeit erfordern, bin ich der Überzeugung, dass es zwingend notwendig ist, bereits heute über diese voraussichtlichen Trends nachzudenken und sich in diese Richtung zu bewegen.
Web Based Trainings mit der Hauptaufgabe, formales Wissen nach einem Curriculum zu transportieren, werden zukünftig immer unwichtiger. Die zukünftigen Lernprogramme werden dagegen in erster Linie echte Problemstellungen aus der Praxis umfassen. Diese bestimmen die Struktur der individuellen Lernprozesse, das Wissen wird dabei problembezogen und kontextsensitiv vermittelt. Die Lerner werden somit in einen problemlösenden Dialog mit dem Computer eintreten, der ihnen zu ihren eigenen Analysen, Bewertungen und Lösungen individuelle Rückmeldungen gibt. Die Lerner können in ihr Lernsystem auch eigene, aktuelle Praxisprobleme eingeben. Der Computer analysiert und bewertet ihre Lösungsvorschläge und macht bei Bedarf eigene Angebote. Er überprüft auch vergangene Problemlösungen unter dem Aspekt, was, z.B. aufgrund neuer Entwicklungen, zukünftig besser gemacht werden kann. Der Computer stellt also eine fiktive Realität zur Verfügung, indem er Problemstellungen realistisch simuliert, so dass emotional basierte Lernprozesse ermöglicht werden. Der Lerner wird deshalb vergessen, dass er sich in einer fiktiven Realität bewegt und deshalb die Aufgabe als Realität empfinden. Auch die Spiele im Rahmen von game based learning werden tendenziell als reale Herausforderungen empfunden. Es werden damit geplante Kompetenzentwicklungsprozesse ermöglicht, weil eine emotional basierte Labilisierung (emotional hoch verunsichernde Situationen) gezielt initiiert wird. Somit ist ein problemorientiertes „Learning on demand“ möglich, der Lernerfolg wird direkt an den Kompetenzen gemessen.
Der Computer kann damit auch emotionale Situationen analysieren und bewerten und gibt entsprechende Handlungshinweise im Rahmen des Wertesystems. Die Planer des Lernsystems können dabei einen Wertrahmen vorgeben, der von den Lernern durch ihre Lösungen und Entscheidungen individuell konkretisiert wird. Es entwickelt sich „Emotional Learning“ im Sinne der Kompetenzentwicklung.
Der menschliche Lernpartner bleibt aber weiterhin der Entscheidungspartner, da der Computer die letztendliche, persönliche Bewertung nicht abnehmen kann. Diese findet aber nun auf einer höheren Ebene statt, die erst vom Computer geschaffen wird, Formelle Lerngruppen verlieren an Bedeutung. Dafür wird es immer mehr „Soziales Lernen“ im Sinne realer Problemlösungen in Arbeitsgruppen geben, die mit Hilfe des Computers ebenfalls auf einer höheren Ebene kommunizieren können. Das Lernen im Netz(-werk) wird deshalb weiter an Bedeutung gewinnen.
Die Lernorganisation und –steuerung wir durch den Computer optimiert. Mit Hilfe der Semantik werden die Inhalte nach ihrer Bedeutung für die individuellen Lernprozesse strukturiert. Der Computer beschafft auch unaufgefordert Material, unter Nutzung von Open Resources, das für die Lernprozesse des Lerners relevant ist. Das System speichert den gesamten individuellen Lernprozess in einem PLE – Personal Learning Environment – und bringt die Lernerfahrungen in ein System nach der Bedeutung für den Lerner.
Es wird aber trotzdem weiter Präsenzveranstaltungen geben. Diese werden jedoch mehr den Charakter des Kennenlernens (Kickoff) und des Erlebnischarakters (z.B. durch charismatische Redner oder emotionalem Lernen in der Gruppe) haben. Der E-Tutor wird tendenziell überflüssig und wandelt sich zum E-Coach. E-Coach und menschlicher Lernpartner haben überlappende Bereiche und können sich sogar in einer Person vereinen.
Wenn der Begriff „Schöne Neue Welt“ nicht bereits durch den bekannten Roman von Aldous Huxley negativ belegt wäre, könnte man von einer schönen neuen Lernwelt sprechen. Emotionales Lernen setzt nämlich genau dort an, wo Lernen notwendig ist, nämlich an der Lösung realer, aktueller Problemstellungen. Lernen wird in fünf bis zehn Jahren damit effizienter, spannender und kommunikativer, wenn wir jetzt die Weichen dafür stellen.