„Ich halte es für ein Phantasiegebilde, dass Leadership im Vorlesungssaal vermittelt oder gelernt werden kann. Lernen kann ich Managementtechniken wie Ziele setzen, Delegieren, Controlling und Marketing – aber nicht Leadership. Da kommt es darauf an, Zukunftsbilder zu schaffen, schwierigste Geschäftsprobleme zu meistern und Menschen emotional und nachhaltig für neue Strategie und Veränderungsprozesse zu gewinnen. Das kann man nicht kopflastig antrainieren. Man lernt es nur, wenn man im rauen Wasser der Realität Verantwortung trägt. Nicht in Fallstudienarbeit“.
Thomas Sattelberger 2012
Betriebliches Lernen muss nach meiner Überzeugung die Realität in der Unternehmenspraxis abbilden, besser deren Entwicklung vorwegnehmen. Unter der Bezeichnung Enterprise 2.0 entwickeln sich Unternehmen, die Soziale Software-Plattformen in der Kommunikation innerhalb der Organisation, aber auch mit Partnern und Kunden nutzen. Sie betreiben Social Business, indem sie Social Media und soziale Praktiken in ihre laufenden Aktivitäten integrieren.[1] Mit Industrie 4.0 wird eine Paradigmenwechsel in der Mensch-Technik-Interaktion ermöglicht: Die Maschinen passen sich den Menschen an – und nicht umgekehrt. Intelligente industrielle Assistenzsysteme mit multimodalen Benutzerschnittstellen bringen auch digitale Lerntechnologien direkt an den Arbeitsplatz.[2] Die Konzeption der Smart Factory nutzt Informations- und Kommunikationstechnologie zur Produktentwicklung, zum Engineering des Produktionssystems, zur Produktion, Logistik und Koordination der Schnittstellen zu den Kunden, um flexibler auf Anfragen reagieren zu können. In der Smart Factory kommunizieren Menschen, Maschinen und Ressourcen selbstverständlich miteinander wie in einem sozialen Netzwerk.[3]
Was bedeuten diese aktuelle Entwicklungen für die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter und der Führungskräfte?
Die Frage, wie beispielsweise die Kompetenzen der Führungskräfte bedarfsgerecht aufgebaut werden können, beschäftigt alle Unternehmen. Die Masse der Anbieter von Maßnahmen zur Entwicklung der Führungskompetenzen – vom Einzeltrainer bis zu den großen „Instituten“ und Business Schools – bietet Lösungen an, die auf aufwendig gestalteten Seminarkonzepten mit Referaten, Übungen, Fallstudien, Planspielen oder Rollenspiele aufbauen.
Damit wird sicherlich die Qualifizierung der Führungskräfte ermöglicht, die mit schicken Zertifikaten belegt werden kann. In dieser Phase sind, auch wenn immer wieder das Gegenteil behauptet wird, jedoch noch keine Führungskompetenzen entstanden, das wirkliche Ziel ist also nicht erreicht worden. Dies kann am Beispiel der Wissensverarbeitung mit Fallstudien verdeutlicht werden. Fallstudien sollen die Möglichkeit bieten, relevante Probleme, mit denen die Führungskräfte in ihrer Praxis konfrontiert sind, im „Labor“ zu bearbeiten und Lösungen zu entwickeln. Das Ziel ist, dass die Lerner ihre Handlungskompetenz bei der Lösung von Aufgaben in ihrer heutigen oder zukünftigen Führungswelt sowie ihre Entscheidungsfähigkeit entwickeln.
Fallstudien sind naturgemäß immer vereinfachte Spiegelbilder der Praxis. Eine Fallstudie, die auch nur annäherungsweise die Komplexität der Realität widerspiegelte, würde alle Dimensionen sprengen. Während in der Realität sowohl die Problemstellungen als auch die relevanten Fakten offen und kaum überschaubar sind, werden in Fallstudien beide Bereiche in erheblich verkürzter Form vorgegeben, so dass die Variationsmöglichkeiten nur noch einen Bruchteil der Realität ausmachen.
Die Entwicklung einer Lösung für Fallstudien erfolgt, auch wenn sie in Gruppen getroffen wird, in einer Laborsituation mit einer künstlichen Versuchsanordnung. Sie ist deshalb nicht mit Entscheidungsprozessen in der Realität vergleichbar. Es sind z.B. keine „echten“ Interessenskonflikte auszutragen, es entstehen im Regelfall keine tiefgehenden Emotionen, die Folgen der Entscheidung sind im Regelfall für die eigene Entwicklung der Lerner nicht wirklich relevant und der Entscheidungsprozess erfordert nur einen Bruchteil der Zeit, die Abstimmungsprozesse in der Praxis benötigen.
Kompetenzlernen ist damit nicht möglich, die Lerner können höchstens für diese Problemlösung sensibilisiert werden und Methoden und Vorgehensweisen in „künstlichen“ Szenarien trainieren. Es werden aber nur in einem sehr begrenztem Rahmen Dissonanzen erzeugt, z.B. im Entscheidungsprozess innerhalb der Lerngruppe.
Die Verinnerlichung von Werten und damit Kompetenzlernen kann nur über eigene Führungserfahrungen erfolgen. Diese Kompetenzentwicklungsprozesse werden durch zwei wesentliche Merkmale geprägt:
- Individualisierung: Anwendung auf Problemstellungen und Projekte der persönlichen Erfahrungswelt in der Führungspraxis. Lernen und Arbeiten wachsen zusammen – es entwickelt sich Workplace Learning. Die Führungskräfte bauen dabei selbstorganisiert ein Wissen im weiteren Sinne mit Werten, Emotionen und Motivationen einschließenden Sinne auf.
- Professionalisierung: Kontinuierliche Entwicklung der eigenen Kompetenzen und des persönlichen Planungs- und Interaktionshandelns in zunehmend komplexer werdenden Labilisierungsprozessen – selbstorganisiert und im Netz.
Kompetenzentwicklung baut damit auf Erfahrungen in der Führungspraxis auf. Die Komplexität der Führungsherausforderungen macht es dabei notwendig, nicht nur eigene Erfahrungen, sondern auch die der Kollegen aktiv zu nutzen (Konnektivismus). Erfahrungen können aber nur in Form von Erfahrungswissen und Kenntnissen weitergegeben werden, nicht aber als Erfahrungen desjenigen, der sie gewann. Deshalb ist es viel wichtiger, anstatt viele perfekt gestylte Übungen absolvieren zu lassen, den Lernern die Möglichkeit zu bieten, ihr Erfahrungswissen systematisch auszutauschen, auf eigene Herausforderungen anzuwenden und in einem intensiven Kommunikationsprozess laufend gemeinsam weiter zu entwickeln.
Kompetenzentwicklung setzt deshalb eine Soziale Lernplattform voraus, die sowohl Kommunikation als auch kollaboratives Arbeiten und Lernen ermöglicht. Gleichzeitig muss diese Lernplattform sicher stellen, dass das erforderliche Fachwissen und die notwendige Qualifikation selbstgesteuert aufgebaut werden kann. Dies kann beispielsweise durch E-Learning initiiert werden, sofern die Web Based Trainings folgenden Kriterien genügen:
- Einbindung in ein Blended Learning Arrangement, das die Bearbeitung offener Fragen mit Lernpartnern und Experten und die Verknüpfung mit Herausforderungen in der Praxis ermöglicht.
- Verbindung formellen Wissens mit dem Erfahrungswissen aller Lerner.
- Über den Übungsbereich wird der formelle Lernprozess der Lerner anhand exemplarischer, problemorientierter Aufgaben gesteuert.
- Komplexes Wissen wird über die Anwendung in Transferaufgaben mit realen Problemstellungen oder Projektaufträgen aufgebaut.
- Erfahrungswissen aus den Transferaufgaben wird in einem kompetenzorientierten Wissensmanagement gemeinsam bewertet und weiter entwickelt.
Voraussetzung dafür sind selbst organisierte Lernprozesse, die durch die Einbindung in ein entsprechendes Lernsystem mit einem Netzwerk aus Lernpartnern, Trainern, Tutoren und Coaches geprägt ist. Methoden der Kompetenzentwicklung weisen damit gemeinsame Merkmale auf : [4]
- Die Wirklichkeit, d.h. das Lernen am Arbeitsplatz und in Projekten, ist zwingend notwendiges Instrument der Kompetenzentwicklung,
- die Verinnerlichung (Interiorisation) von Werten bildet den Kern der Lernprozesse,
- Handlungs- und Kommunikationsprozesse in realen Entscheidungssituationen sichern den Kompetenzerwerb,
- die Kommunikation über diese Entscheidungsprozesse mit Lernpartnern (Co-Coaches), Trainern, Coaches und Mentoren flankiert diese Lernprozesses. Hierbei fördert Social Software den Austausch des Erfahrungswissens und die gemeinsame Weiterverarbeitung des Wissens aktiv.
Effektive Kompetenzentwicklung der Führungskräfte, aber nicht nur dieser Zielgruppe, wird damit durch folgende Charakteristika geprägt:
- Entwicklungsprozess: Individuell und selbstorganisiert
- Mobil: Zeitlich und räumlich flexibel
- Bei Bedarf: Es wird gelernt, wenn eine Herausforderung in der Praxis zu lösen ist. Wissensaufbau und die Qualifizierung erfolgen „on-demand“.
- Lernen im Netz: Communities of Practice
- Kompetenzorientiertes Wissensmanagement – „bottom-up“
- Kollaboratives Arbeiten und Lernen: Co-Coaching, kollegiale Beratung, Projektarbeit
- Prozessbegleitung: Coaching und Mentoring
- Erfolgscontrolling: Kompetenzmessung und Learning Analytics
Kompetenzentwicklung nutzt dabei einen „Ermöglichungsrahmen“ mit einer breite Palette an Methoden und Instrumenten der Planung, der Kommunikation, des Wissensaufbaus und der Qualifizierung sowie der Rückmeldung auf, die jeweils bedarfsgerecht zu einem Lernarrangement zusammengefasst werden. Intendierte, d.h. beabsichtigte Kompetenzentwicklung findet dabei stets in einer kommunikativen Situation statt.
Soziale Lernplattformen machen es möglich, solche Kompetenzentwicklungsprozesse bereits heute zu gestalten. Beispielhaft kann dies an beigefügter Struktur aufgezeigt werden.
Damit rückt das Lernen in der Führungspraxis – am Workplace – in den Mittelpunkt. Präsenzveranstaltungen ( 3 Tage) dienen der Planung und der Reflexion der individuellen Kompetenzentwicklungsprozesse im Prozess der Führung am Workplace und im Netz. Kompetenzentwicklung wird möglich.
[1] McAfee 2010
[2] Wahlster 2014
[3] Fraunhofer IAO 2014
[4] vgl. Erpenbeck, J.; Sauter, W. 2007