Flache neue Welt

Die von mir sonst hoch geschätzte Wirtschaftswoche hat diese Woche einen Artikel zur Veränderung der Bildung durch digitale Medien veröffentlicht. Der an Aldous Huxley angelehnte Titel „Flache neue Welt“ passt zwar zum Niveau des Artikels, ist aber keine realistische Beschreibung der zukünftigen Lernwelt. Hätten die Autoren den klassischen Zukunftsroman „Schöne neue Welt“ wirklich gelesen, wäre Ihnen bewusst, dass darin eine Welt in der Zukunft beschrieben wird, die alles andere als erstrebenswert ist. Ich bin aber sehr wohl davon überzeugt, dass die Lernwelt in der Zukunft mit neunen Medien deutlich besser sein wird als Frontalunterricht und Pauken für Klausuren. Lernen wird mit realen Problemstellungen im Netz, d.h. mit Lernpartnern, Austausch von Erfahrungswissen und dessen gemeinsame Weiterentwicklung in Communities of Practice mit Unterstützung von Lernbegleitern immer mehr herausfordernd und damit spannend.

Es ist schon erstaunlich, dass sich Journalisten immer wieder durch technische Entwicklungen im Bereich der Pädagogik blenden lassen. Der Artikel geht wie selbstverständlich davon aus, dass sich die traditionelle Lernkonzeptionen mit der Rollenverteilung des „wissenden“ Lehrers und der „unwissenden“ Schüler nicht verändert. Er basiert auf dem naiven Glauben, dass sich das Lernen in den Bildungsstätten verbessert, wenn jeder Lerner anstatt seiner Arbeitsblätter und seines Schreibblocks ein persönliches iPad hat oder die Lehrer ihre Tafelbilder mittels Whiteboard grafisch hochwertig entwickeln. Warum Tablets den Unterricht tatsächlich „didaktisch“ besser machen sollen, wird dem Leser leider nicht verdeutlicht. Nachdem sich die Didaktik auf das „Was“, also die Ziele und Inhalte des Unterrichts bezieht, ist dies auch gar nicht möglich. Aber auch methodisch entsteht durch neue Technik keine neue Lernwelt. Dies wird durch folgende Aussage in dem Artikel bestätigt: „Denn die vielfältigen Möglichkeiten von Whiteboards verführen viele Lehrer dazu, den Unterricht frontaler zu gestalten.“ Es geht also in erster Linie um die Lernkonzeption, die Frage der Medien folgt erst in einem zweiten oder gar dritten Schritt.

Auch ich bin der Meinung, dass Tablets und andere innovative Medien die Lernlandschaft fundamental verändern können. Dies sieht man vor allem in einigen innovativen Lernprojekten in der betrieblichen Bildung. Dabei geht es aber immer um die erweiterten Möglichkeiten, die sich durch diese innovativen Systeme zur Gestaltung der Lernprozesse ergeben. Neue Medien machen auf breiter Ebene Lernarrangements möglich, die sich an Kompetenzzielen orientieren und Praxisprobleme oder Projektaufgaben zum Inhalt haben. Dadurch verändert sich auch die Methodik fundamental. Die Wissensaneignung bzw. das formelle Lernen, das weiterhin notwendig ist, kann selbstgesteuert mit E-Learning, aber auch mit Open Resources erfolgen, das Kompetenzlernen findet selbstorganisiert anhand der vereinbarten Problemstellungen im Netz, d.h. mit Lernpartnern und in der Community of Practice statt. Der Lehrer wird zum Lernbegleiter, der die Rolle eines E-Coaches übernimmt. Die Lerner steuern ihre Lernprozesse mit Hilfe ihres persönlichen E-Portfolios. Es ist höchste Zeit, dass die Schulen und Hochschulen ihren Lernern die Kompetenz vermitteln, ihre individuellen Lernprozesse mit diesen System selbstorganisiert zu gestalten.

Ein Zitat in dem Artikel bringt das grundlegende Problem unserer schulischen und hochschulischen Pädagogik auf den Punkt:“ Anstatt die Schüler auf ihre eigene Zukunft vorzubereiten, bekommen sie die Vergangenheit ihrer Lehrer vermittelt“. Leider konnten sich die Autoren Konrad Fischer und Max Harder auch nicht aus ihrer begrenzten Sicht des Lernens befreien. So lange Bildungsträger an ihren überholten Lernkonzeptionen festhalten, werden neue Medien höchstens ein Strohfeuer erzeugen, aber nichts grundlegend verbessern. Insofern war der Titel vielleicht doch nicht so schlecht gewählt.

Ihr

Werner Sauter

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