Forschendes Lernen – Vorbereitung für die zukünftigen Herausforderungen im Arbeitsprozess

Der aktuelle Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre ist nach wie vor durch sehr viel Wissensaufbau und wenig Kompetenzentwicklung geprägt (vgl. Bremer 2017). Unterlagen werden über Lernplattformen bereitgestellt, Selbstlernphasen mit digital bereitgestellten Aufgaben angereichert und oftmals werden auch Vorlesungen aufgezeichnet und Prüfungen digital gestützt durchgeführt. Auffallend ist, dass digitale Angebote, die eine aktive Partizipation der Studierenden erfordern, wie Wikis, Blogs, interaktive Lernsoftware oder virtuelle Lehr-Lernformen nur selten und häufig mit geringer Zufriedenheit genutzt werden (Gidion & Grosch 2012). Dieses Verhalten ist allzu verständlich, so lange Klausuren fast ausschließlich auf Wissen fokussiert sind.

Die Studierenden werden in ihrem zukünftigen Berufsleben die Kompetenz benötigen, sicher handeln zu können. Dafür wird eine wissenschaftlich basierte Urteilsfähigkeit, die Kompetenz, komplexe Sachverhalte methodisch geleitet und kritisch zu analysieren sowie zu bewerten und darauf aufbauend zielgerichtet zu handeln, benötigt ( nach Pasternack 2017 S. 41). Geht man davon aus, dass akademische Bildung eine Bildung durch Wissenschaft anstrebt, rückt die didaktische Verknüpfung von Forschen, Lehren und Lernen in Form des forschenden bzw. forschungsnahen Lernens in den Fokus (vgl. Reinmann 2017; Mieg & Lehmann (Hrg.) 2017).

Forschendes Lernen ermöglicht es Studierenden, selbst zu forschen und alle Phasen einer Forschung zu durchlaufen: Fragestellung formulieren, den dazugehörigen Forschungsstand recherchieren, ein methodisches Design planen und umsetzen und die erzielten Erkenntnisse darstellen und präsentieren ( Reinmann 2017, S. 360)

Forschendes Lernen zeichnet sich vor anderen Lernformen dadurch aus, dass die Lernenden den Prozess eines Forschungsvorhabens, das auf die Gewinnung von für Dritte interessanten Erkenntnissen gerichtet ist, in seinen wesentlichen Phasen, von der Entwicklung der Fragen und Hypothesen über die Wahl und Ausführung der Methoden bis zur Prüfung und Darstellung der Ergebnisse in selbständiger Arbeit oder in aktiver Mitarbeit in einem übergreifenden Projekt (mit)gestalten, erfahren und reflektieren (Huber 2017, S. 101). Die Studierenden lernen also zu hinterfragen und selbständig begründete Fragen zu stellen, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, Ursache-Wirkungs-Bündel zu selektieren, gesellschaftliche Folgen einzuschätzen, sich für methodische Optionen zu entscheiden, Ziele und Pläne in Projekten, häufig unter Zeitdruck, umzusetzen und in komplexen, risikobehafteten und durch Ungewissheit charakterisierten Situationen zu handeln. Sie bauen dabei neue mentale Strukturen auf und produzieren Wissen in Form von sichtbaren Artefakten. Dies können Zusammenfassungen bestehender Erkenntnisse, Forschungspläne, Erhebungsinstrumente oder Präsentationen der Ergebnisse sein. Voraussetzung dafür sind Wissen und Qualifikationen zum Finden, Lesen und Einordnen wissenschaftlicher Texte, zur Anwendung diverser Forschungsmethoden oder zur Aufbereitung der Ergebnisse (nach Reinmann 2017, S. 361, Pasternack, 2017, S. 41 ff.).

Damit bauen die Studierenden bereits im Studium die Kompetenzen auf, die sie für die Bewältigung der Herausforderungen in ihrer zukünftigen Praxis benötigen, da die Ähnlichkeiten zwischen Forschungsprozessen und problemlösenden, beruflichen Handeln sehr hoch sind. Gleichzeitig fördert forschendes Lernen das Erkennen von Zusammenhängen und damit den nachhaltigen Aufbau von Zusammenhangswissen, und es fördert die Fähigkeit, das Allgemeine im Besonderen zu erkennen (nach Pasternack, 2017, S. 41).

Forschendes Lernen hat zwangsläufig personalisierte Lernprozesse der Studierenden zur Folge (vgl. Dräger & Müller-Eiselt, 2016). Dies bedeutet, dass Sie ihre individuellen Kompetenzziele im Rahmen des Forschungsprojektes und von Standards als operativen Leitlinien selbst formulieren, den Forschungsprozess und damit ihren Lernprozess selbst planen und durchführen. Damit wird es unsinnig, Lernziele in Form von Curricula zu standardisieren; den „Roten Faden“ der individuellen Lernprozesse bilden jeweils die Forschungsprojekte. Diversität als hochschulpolitisches Ziel wird damit realistisch. Die Bewertung der Lernergebnisse orientiert sich an den Ergebnissen der Projektarbeit, das Abfragen von Vorratswissen (Bulimielernen) wird überflüssig.

Für die methodische Gestaltung des Studium eröffnen sich damit vielfältige Möglichkeiten, um Wissensaufbau und Qualifikation mit der personalisierten Kompetenzentwicklung der Studierenden zu verknüpfen. Die Lernsituation wird dabei nicht mehr vom Inhalt sondern aus dem Fokus der Studierenden als Lernrahmen gestaltet werden (vgl. Arnold 2000, Wahl 2006). Die Lehrkräfte konzentrieren sich nicht mehr auf die detaillierte Planung eines gemeinsamen Lehr-/Lernprozesses (Planungsfixierung) sondern auf die Ermöglichung des Aufbaus von Wissen und Kompetenzen in individuellen, selbstorganisierten Lernprozessen (Realisierungsfixierung).

Digitale Systeme und Medien werden, wie in den Arbeitsprozessen, in allen Phasen der Forschungsprojekte eingesetzt, z. B. in der Recherche, bei empirischen Erhebungen, bei statistischen Auswertungen und der Visualisierung der Ergebnisse, in der Verwaltung und Teilung der Informationen, aber insbesondere auch in der Kommunikation, z. B. mit Blogs, Wikis oder in Communities, und für kollaboratives Arbeiten und Lernen im Netz. Die Studierenden bauen damit in ihrer Projektarbeit ihre digitalen Kompetenz auf, d. h. ihre Fähigkeit, Herausforderungen in der Arbeits- und Lebenswelt, die zum großen Teil heute noch unbekannt sind, mit Hilfe digitaler Systeme selbstorganisiert und kreativ lösen zu können.

Studierende in einer digitalisierten Forschungswelt benötigen deshalb eine Lernarchitektur mit einem Ermöglichungscharakter, in der nicht versucht wird, Erfahrungen und Kompetenzen wissensförmig weiterzugeben. Kompetenzentwicklung erfordert vielmehr die Bearbeitung echter Herausforderungen, die den Studierenden nicht nur wissensbezogen, sondern auch emotional fordern. Voraussetzung dafür sind selbst organisierte Lernprozesse, die durch die Einbindung in ein entsprechendes Lernsystem mit einem Netzwerk aus Lernpartnern und –begleitern geprägt ist.

Der Nutzen für die Studierenden ist in selbstorganisierten Lernarrangements mit forschendem Lernen deutlich höher als in den fremdgesteuerten Lehrveranstaltungen:

Die Studierenden

  • bauen nachhaltig Kompetenzen zur Bewältigung der zukünftigen Herausforderungen in einer zunehmend digitalen Arbeitswelt auf,
  • entwickeln ihre Medienkompetenz, um digitale Systeme zum selbstorganisierten Aufbau von Wissen, Qualifikation und Kompetenzen zu nutzen,
  • sichern nachhaltig Wissen und Qaulifikation über die Interirorisierung ihrer Erfahrungen,
  • bauen ihr persönliches Netzwerk und ihre Netzwerk-Kompetenz weiter aus,
  • erarbeiten kollaborativ unter professioneller Begleitung Problemlösungen in Forschungsprojekten.

 

Arnold, R. (2000): Qualifikation. In: Arnold, R., Nolda, S., Nuissl, E.: Wörterbuch Erwachsenenpädagogik. Bad Heilbrunn

Bremer, Claudia (2017): Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre: Szenarien und Mehrwerte für die Kompetenzentwikclung, in: Erpenbeck, J. & Sauter, W. (Hrsg.) (2017): Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz. Bausteine einer neuen Bildungswelt. Stuttgart, S. 307 – 336

Dräger, J. & Müller-Eiselt, R. (2016): Die digitale Bildungsrevolution – Der radikale Wandel des Lernens und wir ihn gestalten können, München

Gidion, G. & Grosch, M. (2012): Welche Medien nutzen die Studierenden tatsächlich? Ergebnisse einer Untersuchung zu den Mediennutzungsgewohnheiten von Studierenden; in: Zeitschrift Forschung & Lehre. Alles was die Wissenschaft bewegt, 6/12: 450–445

Huber, L. (2017): Reflexion, in: Mieg, H. A.; & Lehmann, J. (Hrsg.) (2017): Forschendes Lernen. Wie die Lehre in Universität und Fachhochschule erneuert werden kann. Frankfurt. New York, S. 101 – 114

Mieg, H. A.; & Lehmann, J. (Hrsg.) (2017): Forschendes Lernen. Wie die Lehre in Universität und Fachhochschule erneuert werden kann. Frankfurt. New York

Pasternack, P. (2017): Konzepte und Fallstudien. Was die Hochschulforschung zum Forschenden Lernen weiß., in: Mieg, H. A.; & Lehmann, J. (Hrsg.) (2017): Forschendes Lernen. Wie die Lehre in Universität und Fachhochschule erneuert werden kann. Frankfurt. New York

Reinmann, G. (2017): Lehren und Lernen mit Digital Natives in Hochschulen – Fünf Fragen zur Zukunft akademischen Lehrens und Lernens mit digtialen Medien., in: Erpenbeck, J. & Sauter, W. (Hrsg.) (2017): Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz. Bausteine einer neuen Bildungswelt. Stuttgart, S. 355 – 370

Wahl, d. (2006): Ergebnisse der Lehr-Lern-Psychologie. Abgerufen unter http://www.dblernen.de/docs/Wahl_Ergebnisse-der-Lehr-Lern-Psychologie.pdf am 16. 07. 2017

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