Gastbeitrag von Manuel King // Referent – Digital Learning in einem großen Einzelhandelsunternehmen// Hamburg
In enger Begleitung von Prof. Dr. Werner Sauter habe ich im Rahmen meiner Masterarbeit ein klassisch ausgerichtetes betriebliches Bildungsangebot (Seminar „Erfolgreich Präsentieren“) in ein kompetenzorientiertes Trainingsdesign überführt. Das Seminar ist fester Bestandteil des betrieblichen Ausbildungskonzepts eines großen Unternehmens aus dem deutschen Lebensmitteleinzelhandel.
Das Projekt bildet den Grundstein für die schrittweise Etablierung einer systematisch kompetenzorientierten betrieblichen Ausbildung, in der die Auszubildenden ihre persönlichen Kompetenzen selbstorganisiert entwickeln. Dieser Erfahrungsbericht zeigt, wie das bestehende Trainingskonzept neu ausgerichtet wurde und welche praktischen Erkenntnisse sich daraus ergeben. Dabei wird klar, …
- wie die individuellen Kompetenzen der Auszubildenden erhoben werden.
- welche Lerntechnologien und -Ressourcen für die persönliche Kompetenzentwicklung zur Verfügung stehen.
- wie die Verbindlichkeit gesichert wird und
- auf welche Herausforderungen wir gestoßen sind.
Ausgangslage
Das Ausbildungskonzept des Unternehmens besteht unter anderem aus verschiedenen Weiterbildungsangeboten. Diese finden als Präsenzseminare statt und sind vordergründig auf Wissensvermittlung ausgelegt. Digitaler Lernformate halten zwar sukzessive Einzug in die Trainingskonzepte, verändern bisher aber nicht deren fremdgesteuerten Charakter.
Der bisherige didaktische Aufbau des Trainings „Erfolgreich Präsentieren“ (1,5 tägiges Seminar) soll in einen kompetenzorientierten Ansatz überführt werden. Dazu stehen digitale Lernformate wie E-Learning Kurse, Foren oder Wikis in einem Learning Management System (LMS), eine Quiz-App sowie ein Webinar-Tool zur Verfügung. Zur Erfassung individueller Kompetenzen und der Festlegung persönlicher Praxisprojekte wird das KODE®-Verfahren[1] eingesetzt.
Entwicklung des kompetenzorientierten Designs
Das neue, kompetenzorientierte Trainingskonzept besteht aus drei Säulen:
- Aufbau eines breiten didaktischen Ermöglichungsrahmens über das LMS.
- Einführung der Teilnehmer*innen in die Kompetenzerfassung mit KODE®.
- Entwicklung eines Co-Coaching-Ansatzes (soziale Flankierung der selbstorganisierten Kompetenzentwicklungsprozesse.)
Kompetenzerfassung
(KODE®) |
Digitaler Ermöglichungsrahmen (LMS) | soziale Flankierung
(Co-Coaching) |
Vor dem Start der Durch-führungsphase erfassen die Teilnehmer*innen ihre individuellen Kompetenzen mit KODE®.
Werner Sauter (KODE®-Berater) unterstützt sie bei der Festlegung individueller Kompetenzziele. Die Kompetenzerfassung wird am Ende der Durchführungsphase wiederholt. So werden Entwicklungsfortschritte sichtbar. |
Für den selbstorganisierten Wissensaufbau stehen
zur Verfügung. Das Wissen und die praktischen Erfahrungen werden durch das kollaborative Bearbeiten von Transferaufgaben in Foren verinnerlicht. Die Teilnehmer*innen reflektieren sich regelmäßig selbst und geben sich gegenseitig Feedback. Auch dies geschieht in Austauschforen. |
Die Auszubildenden schließen sich in 2er Teams zu Lern-Tandems zusammen. In den Tandems tauschen sie sich zur Arbeit an ihren Praxisprojekten aus und unterstützen sich bei offen Fragen. Zudem geben sie sich gegenseitig Feedback zu ihren Reflexionsberichten.
Lassen sich Fragen nicht im Tandem klären, wenden sich die Teilnehmer*innen an die Gesamtgruppe. Bleibt die Frage weiter offen, steht die Lernbegleitung beratend zur Seite. |
Das Trainingskonzept verfolgt den Ansatz eines Social Blended Learning-Arrangements.[2]
Umsetzungskonzept – Social Blended Learning
Abbildung 1: Zeitlicher Verlauf des Trainingskonzepts
Kompetenzerfassung und Kick Off-Workshop
Vor dem Beginn der Durchführungsphase erfassen die Auszubildenden ihre individuellen Kompetenzen per Online-Einschätzungsbogen (Zeitaufwand ca. 20 Minuten). Dafür haben sie 14 Tage Zeit. Die Ergebnisse werden durch Werner Sauter aufbereitet. Er stellt den Teilnehmer*innen in telefonischen Beratungsgesprächen ihre individuellen Kompetenzergebnisse vor und gibt ihnen praxisnahe Anregungen, wie sie ihre Kompetenzen gezielt weiterentwickeln können. Daran anknüpfend setzen sich die Auszubildenden persönliche Kompetenzziele und legen Praxisprojekte fest, die sie während der Selbstlernphase bearbeiten, um ihre Ziele zu erreichen.
Im eintägigen Kick Off Workshop werden die Teilnehmer*innen in den digitalen Ermöglichungsrahmen eingeführt. Dabei werden sie mit der Handhabung der Lern- und Austauschformate, die ihnen im LMS zur Verfügung stehen, vertraut gemacht. Im Anschluss schließen sie sich eigenständig zu Lern-Tandems zusammen und bilden so Lernpartnerschaften. Um die Verbindlichkeit zu sichern, vereinbaren die Tandems schriftliche Spielregeln über die Zusammenarbeit in der Online-Selbstlernphase (wie oft tauschen wir uns aus, zu welchen Fragen oder Aspekten und wie?). Im Anschluss setzen sich die Auszubildenden und die Lernbegleitung in einem offenen Diskurs mit Vorbehalten auseinander, die gegenüber der Lernkonzeption bestehen. Am Ende des Workshops stellt die Lernbegleitung den zeitlichen Ablaufplan für die Selbstlernphase vor. Dieser wurde im Nachgang auch als PDF im LMS eingebettet und soll den Teilnehmer*innen zusätzliche Orientierung bieten.
Selbstlernphase
Während der Selbstlernphase findet der selbstorganisierte Wissensaufbau statt. Um das Wissen anzuwenden und mit persönlichen Erfahrungen zu verbinden, werden Transferaufgaben eingesetzt. Alle Aufgaben, Lernformate und Austausch-Tools stehen über einen eigenen Kursraum im LMS jederzeit zur Verfügung. Dabei gibt es keine Pflichtbestandteile. Jede*r Teilnehmer*in nutzt die vorhandenen Ressourcen, abhängig seiner Kompetenzziele. Die Lernbegleitung setzt lediglich Mindeststandards, wie z. B. „Wir haben im Kick Off vereinbart, dass jede*r im Abstand von 14 Tagen einen kurzen Fortschrittsbericht zu den Praxisprojekten einstellt.“
Zusätzlich dazu erhalten die Teilnehmer*innen immer freitags Reflexionsfragen. Diese werden den Lern-Tandems in eigenen, zugangsbeschränkten Online-Foren bekanntgegeben. Sie werden durch die Tandempartner beantwortet und diskutiert. Fragen sind zum Beispiel:
- Was hast du seit der letzten Woche für deine Kompetenzziele getan?
- Was fiel dir bei der Arbeit an deinem Praxisprojekt leicht, was schwer?
- Was möchtest du in der kommenden Woche erreichen?
- Welche offenen Fragen hast du gerade?
Die Selbstlernphase endet mit einem Abschluss-Workshop.
Abschluss-Workshop und nachgelagerte Kompetenzerfassung
Am vierstündigen Abschluss-Workshop nehmen neben den Auszubildenden auch die Ausbilder*innen sowie die Lernbegleitung teil. Dabei steht die jeweils 20-minütige Vorstellung der Ergebnisse aus den persönlichen Praxisprojekten im Vordergrund. Zudem werden sie zur weiteren Arbeit an ihren jeweiligen Kompetenzzielen beraten. Der Workshop wird auch dazu genutzt, um Feedback zur Online-Selbstlernphase einzuholen. Dabei wird offen über Probleme gesprochen, die währenddessen auftraten. Auf Basis dieses Feedbacks wird der Ermöglichungsrahmen und das Trainingskonzept kontinuierlich angepasst.
Im Nachgang an den Workshop erhalten die Auszubildenden erneut Zugangslinks zur Kompetenzerfassung mit KODE® und werden gebeten, eine zweite Selbsteinschätzung durchzuführen. Parallel dazu erhalten sie eine Fremdeinschätzung durch die Ausbilder*innen. Der Abgleich der Kompetenzprofile, die vor und nach der Selbstlernphase erstellt wurden, zeigt den Teilnehmer*innen ihre persönlichen Entwicklungsfortschritte auf. Die Ergebnisse der Fremdeinschätzung validieren die Resultate.
Praktische Erfahrungen
Die erstmalige Durchführung der kompetenzorientierten Trainingskonzeption lieferte wichtige Erkenntnisse. Die sind nachfolgend zusammengefasst.
Aufbau des Ermöglichungsrahmens
Der Aufbau und Ausgestaltung des Ermöglichungsrahmens im LMS nahm ca. zwei Arbeitstage in Anspruch. Die eingesetzten Online-Foren wurden während der Selbstlernphase intensiv genutzt, um sich zu den Transferaufgaben und eigenen Praxiserfahrungen auszutauschen. Dabei ging die inhaltliche Tiefe und Breite der Diskussionen weit über den bisherigen Seminarinhalt hinaus. Das zeigt, dass die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmer*innen besser berücksichtigt werden konnten.
Verbindlichkeit in der Online-Selbstlernphase
Alle Teilnehmer*innen beteiligten sich in etwa im gleichen Umfang an der Bearbeitung der Transferaufgaben sowie der Praxisprojekte, obwohl einige parallel zur Selbstlernphase Klausuren oder Referate für die Berufsschule vorbereiteten. Die hohe Verbindlichkeit ist auf zwei Aspekte zurückzuführen:
- Die schriftliche Vereinbarung von Spielregeln zur Zusammenarbeit in der Selbstlernphase.
- Die regelmäßige kritische Selbstreflexion in den Foren der Lern-Tandems.
Zudem gaben die individuellen Kompetenzziele den Auszubildenden eine wichtige Orientierung in ihren persönlichen Entwicklungsprozessen. Dies wirkt sich auch positiv auf die subjektive Relevanz der Inhalte des Ermöglichungsrahmens aus.
Lernbegleitung
Die individuelle Lernbegleitung trägt zu einem engen persönlichen Verhältnis zwischen der Lernbegleiter*in und den Teilnehmer*innen bei. Es kann auch vorkommen, dass die Auszubildenden hier über persönliche Probleme berichten, um ihre phasenweise Inaktivität zu erklären.
Der Betreuungsaufwand lag in der Selbstlernphase bei 30 bis 45 Minuten pro Woche. Dies zeigt, dass sich der Aufwand zur Durchführung kompetenzorientierter Lernarrangements für Lernbegleiter*innen zeitlich anders verteilt, nicht aber erhöht. Zudem kann die Teilnehmerbetreuung orts- und zeitunabhängig erfolgen.
KODE® als Tool zur Kompetenzerfassung
Die Kompetenzerfassung mit KODE® sowie die individuelle Beratung bei der Festlegung persönlicher Kompetenzziele wird von den Auszubildenden als einfach, leicht verständlich und praxisnah beurteilt Zitat einer Teilnehmerin: „Ich habe schon ein, zwei dieser Verfahren durchlaufen. Herr Sauter hat mich echt gut eingeschätzt, da habe ich mich manchmal auch ertappt gefühlt. Aber er hat mir konkrete Tipps gegeben, wie ich an mir arbeiten kann“.
Herausforderungen und Empfehlungen
Neben den wertvollen praktischen Erfahrungen traten erwartungsgemäß auch Hürden auf. Diese werden nun, jeweils mit Handlungsempfehlungen versehen, beschrieben.
Selbstorganisation als Anforderungen an Teilnehmer*innen
Die Fokussierung auf selbstorganisierte Entwicklungsprozesse war für die Auszubildenden eine neue Erfahrung. Einige zeigten anfangs Schwierigkeiten, sich darauf einzulassen.
Empfehlung: Die Ausbildung sollte von Beginn der Berufsausbildung an kompetenzorientiert ausgerichtet sein. So werden die Nachwuchskräfte bereits beim Eintritt in die Berufswelt damit konfrontiert, dass der Arbeitsplatz der zentrale Ort zur Kompetenzentwicklung ist und sie nur durch die Konfrontation mit herausfordernden Aufgaben kontinuierlich „wachsen“:
Aufbau des Online-Ermöglichungsrahmens
Der Aufbau eines Online-Ermöglichungsrahmens im Rahmen erfordert einen gewissen initialen Aufwand. Für dieses Projekt betrug er ca. vier Arbeitstage.
Empfehlung: Bei der erstmaligen Entwicklung des Ermöglichungsrahmens ist es unmöglich, alle Ansprüche zu erfüllen und direkt so viele Ressourcen wie möglich zur Verfügung zu stellen. Daher gilt: sukzessiver Aufbau, beginnend mit einem kleinen, aber ausgewogenen Pool an Lern- und Austauschformaten. Dieser wird in den Folgejahren kontinuierlich ausgebaut.
Lernkultur im Unternehmen
Einzelnen Teilnehmer*innen bekamen während der Arbeitszeit keine Möglichkeit, sich mit ihren Kompetenzzielen zu beschäftigen. Vielmehr herrscht die Haltung „Lernen findet im Seminar statt.“
Empfehlung: Die Lern- und Unternehmenskultur hängen eng miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig. Die eben beschriebene Haltung kann aufgebrochen werden, in dem Führungsnachwuchsprogramme oder Führungstrainings kompetenzorientiert ausgerichtet werden. So entwickeln gerade neue Führungskräfte sukzessive die Fähigkeit, als Entwicklungspartner*innen ihre Beschäftigten zu agieren. Dadurch verankert sich auch die Haltung, dass Lernen ein fester Bestandteil jedes Arbeitsprozesses ist.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Entwicklung und Umsetzung des kompetenzorientierten Konzepts reibungsloser verlief und mit weniger Aufwand verbunden war, als anfangs gedacht. Dieser Erfolg beruht zum einen auf der offenen Haltung und Veränderungsbereitschaft der betrieblich Beteiligten. Zum anderen wäre dieser Erfolg ohne den Rückgriff auf die tiefgreifende Expertise und Erfahrung von Werner Sauter nicht möglich gewesen. Ich freue mich auf die weitere gemeinsame Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit Herrn Sauter.
Diskutieren Sie mit uns auf dem Deutschen Ausbildungsforum in Berlin am 19. Februar 2020
Fachforum 3: Kompetenzentwicklung mit Werner Sauter, Blended Solutions, und Manuel King, EDEKA Aktiengesellschaft Hamburg
[1] https://www.kodekonzept.com/
[2] Siehe dazu u. a. https://www.wernersauter.com/2019/06/11/was-macht-gute-bildung-aus/
[3] Bild Quelle Edeka: https://verbund.edeka/presse/mediathek/