Gedankliche Hintergründe der Kompetenzentwicklung im Netz

Im Zuge der Kompetenzentwicklung im Netz gewinnen Begriffe wie Semantik und Ontologie an Bedeutung, mit denen sich schon Platon, Aristoteles oder Immanuel Kant beschäftigt haben. Im Vorwort unseres neuen Handbuches (Erpenbeck & Sauter (Hrsg.) 2017) haben wir diesen Zusammenhang erläutert:

Mit der Entstehung semantischer Netzwerke und dem immer umfangreicheren Einsatz von Clouds, der die Entwicklung von entsprechenden Ontologien voraussetzt, ist eine Brücke zur Denkgeschichte der Menschheit geschlagen. Semantik und Ontologie sind grundlegende Denkbereiche, die von den neueren Entwicklungen zunächst nur an wenigen Stellen berührt werden (vgl. Künne 2007). Es lässt sich aber durchaus zurecht fragen: Werden wir aufgrund von Vernetzung und Kompetenzentwicklung im Netz eine Renaissance dieser Denkbereiche erleben?

Es ist verwunderlich, dass sich so wenige Philosophen, Informatiker, Psychologen und Sprachwissenschaftler zusammengefunden haben, um die aufeinander deutlich zulaufenden Gedanken zu Semantik und Ontologie miteinander zu diskutieren und das deutlich Verbindende herauszuarbeiten. Umso begrüßenswerter ist eine Initiative, die Wissenschaftler aus diesen Bereichen unter der Frage „Was bedeutet eigentlich Ontologie?“ zusammenbrachte (vgl. im folgenden Busse u.a. 2012). Hier kann nicht die Substanz ihrer Publikation wiedergegeben werden, aber zumindest an einem Beispiel auf einleuchtende Weise die ganze Problematik veranschaulicht werden.

Häufig werden Ontologien in der Informatik im Zusammenhang mit dem „Semantic Web“… verwendet. Die Idee, die hinter dem Semantic Web steht, kann anhand eines Beispiels erläutert werden.

Wenn Sie in ein Reisebüro gehen und nach einem kinderfreundlichen Hotel mit Bademöglichkeit am Strand in Norddeutschland fragen, so wird Ihnen der Kundenbetreuer familienfreundliche Hotels anbieten, die Zugang zu einem Nordsee- oder Ostseestrand haben. Er weiß natürlich, dass Nord- und Ostsee die beiden Strandregionen in Norddeutschland sind.

Geben Sie stattdessen „kinderfreundliches Hotel mit Bademöglichkeit am Strand in Norddeutschland“ im World-Wide Web bei Google ein, so finden Sie als ersten Treffer eine Webseite mit der Bewertung eines Hotels in Dubai. Es wurde gefunden, da es neben den Worten „Bademöglichkeit am Strand“ auch die Worte „Deutschland“ und „Kinder“ enthält. Bei näherem Hinsehen werden Sie jedoch enttäuscht feststellen, dass Deutschland das Herkunftsland des Kunden ist, der die Hotelbewertung verfasst hat. Und der ist „Verreist als: Paar, Kinder: keine“ – daher der Treffer für „Kinder“. Der Kundenbetreuer im Reisebüro versteht Ihre Frage – die Google-Suche überprüft dagegen lediglich Übereinstimmungen von Worten. Dies kann als „Syntactic Web“ bezeichnet werden: das sture Abgleichen von Zeichen, ohne Verständnis dessen, was die Zeichen bedeuten. Semantic Web versucht, einen Schritt weiter zu gehen. Eine Semantic Web-Anwendung für Hotelsuche könnte mit der Anfrage „kinderfreundliches Hotel mit Bademöglichkeit am Strand in Norddeutschland“ beispielsweise wie folgt umgehen:

  1. Linguistische Analyse der Anfrage, z.B. „Hotel“ ist ein Nomen, „kinderfreundlich“ ist ein Adjektiv und „mit Bademöglichkeit am Strand“ sowie „in Norddeutschland“ sind adverbiale Bestimmungen.
  2. Synonymersetzung, z.B. „familienfreundlich“ ist so etwas Ähnliches wie „kinderfreundlich“
  3. Schlussfolgern, z.B. Norddeutschland ist ein Teil Deutschlands, liegt an den Meeren Nord-und Ostsee, Meere haben Strände etc.
  4. Abgleichen, d.h. Finden von Hotels, die der Beschreibung möglichst nahe kommen.

Im Gegensatz zum Syntactic Web versucht also eine Anwendung des Semantic Web – ähnlich uns Menschen – zu verstehen und Schlussfolgerungen zu ziehen.“

Semantik (vom griechischen sêma = Zeichen) bezeichnet „die Lehre von der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke oder allgemeiner von der Bedeutung beliebiger Zeichen.

Semantik

Im Sinne der von C.W. Morris 1938 eingeführten Einteilung der Lehre von den Zeichen (Semiotik) in die Teildisziplinen Syntaktik und Semantik und Pragmatik. , gelegentlich sogar für die Semiotik im ganzen. … Ansätze zu Bedeutungstheorien sind so alt wie das Nachdenken über Sprache (Sprachphilosophie) und gehen auf den Beginn von Philosophie und Wissenschaft zurück.“ (vgl. Lorenz 1995). Bereits Platon formulierte eine Abbildtheorie der Bedeutung als Beziehung zwischen Namen und Sachen; bereits Aristoteles unterschied das Herangehen, bei dem Namen wie Sachen behandelt werden von einem, bei dem Sachen wie Namen behandelt werden, also in Gestalt ihrer mentalen, psychischen Repräsentationen. Allein aus diesen verschiedenen Blickwinkeln ergeben sich sehr unterschiedliche Herangehensweisen an die Semantik; deutlich ist, dass zwischen Zeichen und bedeutetem Gegenstand der ausgedrückte Sinn des Zeichens vermittelt. Bedeutung und Sinn werden in unterschiedlichsten theoretischen Bezügen diskutiert und präzisiert; im perspektivischen Sinne scheinen uns besonders die Weiterungen in Richtung einer pragmatischen Semantik wichtig, die Sinnzuschreibungen durch Sprecher und Hörer berücksichtigt und damit den Wertungsaspekt kommunikativer Akte einbezieht. Die Bewertungssemantik thematisiert diesen Aspekt.

Ontologie

Während man sich unter der Bedeutung eines Wortes oder eines Satzes unabhängig von aller Sprachwissenschaft oder Logik noch halbwegs etwas vorstellen kann, ist das bei der Ontologie, bei der „Lehre vom Sein“ (vom griechischen to on = das Seiende, logos = die Lehre) kaum der Fall. Die Philosophen sind sich völlig uneinig was „das Sein“ sein solle und haben unterschiedliche Sichtweisen entwickelt ( vgl. Meixner & Strobach 2012). Viel früher als der im 17. Jahrhundert entstandene Begriff wurde die dahinter liegende Problematik bereits von Aristoteles (Metaphysik) klar erfasst, der nach einer „ersten Philosophie“ suchte, die sich mit den grundlegenden Prinzipien und Ursachen des Seienden beschäftigen und nach dem ersten Einheitsgrund alles Seins suchen sollte. Für Platon war das Sein ideelles Sein, seine Ideenlehre eine Ontologie. Die Ontologie (als Lehre vom Seienden als solchem) wurde von Thomas von Aquin der Theologie (als Lehre vom höchsten Seienden) gegenübergestellt. Kant ersetzt die Frage nach den ersten Ursachen des Seienden durch die nach den ersten Elementen und Bedingungen all unserer Erkenntnis. Husserl entwickelt mit seiner Phänomenologie den Versuch, dem Sein und verschiedenen Seinsregionen auf die Schliche zu kommen. Heidegger ersetzt die Frage nach dem Sein als solches durch die Frage nach dem Sein des Seienden. Seine Fundamentalontologie weist viele Verbindungsmöglichkeiten zu dem modernen Ontologieverständnis der Cloud & Co. – Bewohner auf, auch wenn er sie selbst später als szientistisch ablehnte. Nicolai Hartmann schließlich schuf eine aus den Realverhältnissen abgeleitete Ontologie, die empirisch orientiert ist und noch heute beeindruckt, und übrigens Konrad Lorenz bei seinem verhaltensbiologischen Nachdenken über qualitative Entwicklungssprünge („Fulgurationen“) mit leitete.

Ontologien sollen die Kommunikation zwischen Computeranwendungen untereinander, zwischen Computeranwendungen und Menschen, aber auch zwischen Menschen verbessern beziehungsweise ermöglichen. Dabei geht es immer um eine konkrete Anwendungsdomäne, z.B. Touristik, Biologie oder Rechtswesen. Ontologien bilden somit eine Verständigungsbasis und wirken so der möglichen babylonischen Sprachverwirrung entgegen (vgl. Pickert 2016).

Ontologien sind also von großer Bedeutung für die Möglichkeiten, unterschiedliche Denkbereiche zu integrieren, die neue Welt der Digitalisierung, der Kompetenzgesellschaft, die neue Bildungswelt umfassender und tiefer zu verstehen. Die Informatiker verstehen, dass sie auf den Schultern der Philosophen stehen, die Philosophen begreifen, dass in jener ihnen oft verschlossenen Welt der Informatiker Probleme menschheitlichen Denkens neu behandelt und zukunftsoffen gelöst werden. Kompetenzentwicklung im Netz baut auf eine weit in die Vergangenheit reichende, imposante Kultur. Sie trägt zugleich dazu bei, diese Kultur bewusst anzunehmen und in der kommenden Kompetenzgesellschaft kreativ weiter zu entwickeln.

Auszug aus:

Erpenbeck , J. & Sauter, W. (Hrsg.) 2017: Kompetenzentwicklung im Netz, Schäffer Poeschel Verlag Stuttgart

Literatur:

Busse, J., Humm, B., Lübbert, C., Moelter, F. & 6 weitere Autoren (2012): Was bedeutet eigentlich Ontologie? Ein Begriff aus der Philosophie im Licht verschiedener Disziplinen. Wiesbaden. Zit. nach: http://www.springerlink.com/openurl.asp ? genre=article&id=doi:10.1007/s00287-012-0619-2, abgerufen am 07. 07. 2016

Künne, W.(2007): Abstrakte Gegenstände: Semantik und Ontologie (Klostermann Rote Reihe). Darmstadt

Meixner, U. & Strobach, N. (2012): Einführung in die Ontologie. Darmstadt

Michl, W. (2015): Erlebnispädagogik. Stuttgart;

Morris C. W. (1964): Signification and Significance. A Study of the Relations of

Signs and Values. Cambridge.

  1. Pickert (2016): „Einführung in Ontologien“. Abgerufen unter http://www.dbis.informatik.hu-berlin.de/dbisold/lehre/WS0203/SemWeb/artikel/2/Pickert_Ontologien_final.pdf am 10. 07. 2016

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