Das Buch „Erfolgsfaktoren der Weiterbildung“ von Dr. Sabine Remdisch, Professorin für Personal- und Organisationspsychologie und Leiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana Universität Lüneburg, und Christian Otto, Doktorand an diesem Institut, hat mich neugierig gemacht. Ich hoffte, eine Antwort auf die Frage zu finden, welchen Beitrag Hochschulen zum Corporate Learning leisten können.
Das Konzept des Lebenslangen Lernens hat dazu geführt, dass neben den traditionell Studierenden auch Umsteiger, Quereinsteiger, Neuanfänger, Berufserfahrene und Noch-einmal-Studierende, die in diesem Werk als „Learning Professionals“ bezeichnet werden, die Hochschulen besuchen. Diese Zielgruppe benötigt aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitssituation nach Meinung der Autoren grundlegend andere Lehrprozesse und eine angepasste Studiengestaltung. Dies gilt für die Organisation der Lernzeiten, die Auswahl von Lehrenden mit Praxishintergrund, die Methodik und praxisnahe Bildungsformate. Eine besondere Bedeutung kommt dem Transfer des Gelernten in die Praxis zu. Die Autoren wollen eine Brücke zwischen wissenschaftlichen Grundlagen und Erfahrungen von Praktikern schlagen, um die Wirkfaktoren zu untersuchen, die zu einem erfolgreichen berufsbegleitenden Studium führen.
Lebenslanges Lernen erfordert Weiterbildungskonzepte, die die Grenzen formalisierter Bildungslaufbahnen überwinden. Dieser Aussage der Autoren kann man nur zustimmen. Das Ziel der Autoren ist es weiterhin, das Konzept offener Hochschulen enger mit der Arbeitswelt zu verknüpfen, um damit der berufsbegleitenden Weiterbildung neue Chancen zu eröffnen. Dafür sind personalisierte und transferorientierte Studienprogramme erforderlich.
Auf Basis empirischer Erhebungen analysieren die Autoren, welche individuellen Voraussetzungen und Strategien notwendig sind, damit vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels Learning Professionals ihr berufsbegleitendes Studium erfolgreich gestalten können. Daraus wollen sie einen Vorschlag für die Gestaltung berufsbegleitender Weiterbildung ableiten.
Im ersten Abschnitt arbeiten die Autoren die Chancen Lebenslangen Lernens für die Lernenden, die Unternehmen sowie die Hochschulen als Anbieter von Weiterbildungskonzepten für Learning Professionals heraus. Sie analysieren die Chancen des Konzeptes „Offene Hochschule“ sowie von berufsbegleitenden Studiengängen. Ergänzt werden diese eher grundsätzlichen Erläuterungen durch Beiträge von Beteiligten, die an eine Werbebroschüre erinnern. Die Autoren beschränken dabei ihre Überlegungen auf arbeitsbegleitendes Lernen und ignorieren die Entwicklung des Corporate Learning zu Konzepten des arbeitsintegrierten Lernens , bei dem Arbeiten und Lernen in Social Blended Learning und Workplace Learning Konzeptionen zusammen wachsen. Obwohl die Digitalisierung der Arbeits- und Lebenswelt mehrfach angesprochen wird, spielt die Digitalisierung der Lehr-Lernkonzepte keine Rolle. Auch die zentrale Rolle der Führungskräfte in betrieblichen Bildungsprozessen wird gerade mal in einem Satz gestreift
Aus der Auswertung von Presseartikeln (!) leiten die Autoren vor allem zwei Forderungen an die Offene Hochschule ab. Die MINT-Studierenden (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) müssen danach entweder durch Brückenkurse oder Begleitangebote besser betreut werden und die akademische Weiterbildung muss zu einem neuen Standbein der Hochschulen werden.
Die Chancen für ein erfolgreiches berufsbegleitendes Studium wurden mit Hilfe empirischer Studien auf Basis von Fragebögen, Interviews und Dokumentenanalysen bei ausgewählten Learning Professionals untersucht. Dabei wurden die Gründe für die Aufnahme eines Studienganges, die besonderen familiären und beruflichen Herausforderungen, die notwendigen Unterstützungsangebote sowie die Lehr-Lernformen für den Wissenstransfer an den Arbeitsplatz erfragt.
Im zweiten Abschnitt werden auf dieser Basis die Merkmale des Studierendentyps „Learning Professionals“ heraus gearbeitet. Diese Lernergruppe ist älter als traditionell Studierende, während des Studiums berufstätig, lebt häufig in einer Partnerschaft und hat Kinder. Finanzielle und organisatorische Probleme im Rahmen des Studiums spielen eine größere Rolle. Sie verfolgen nach ihren individuellen Merkmalen und ihrer beruflichen Vergangenheit unterschiedliche Pläne im Studium und weisen ein anderes Lernverhalten auf als traditionelle Studierende, das von einer stärkeren „Verausgabungsbereitschaft“ geprägt ist. Auffallend ist u.a., dass Bachelorstudierende meist eine berufliche Neuorientierung und den Wechsel in ein anderes Betätigungsfeld suchen, während die Masterstudierenden häufig einen direkten beruflichen Aufstieg anstreben.
Im dritten Abschnitt entwickeln die Autoren die Erfolgsfaktoren für berufsbegleitendes Lernen der Learning Professionals. Dabei orientieren sie sich an folgenden Kriterien für den Studienerfolg: Erfolgreicher (formeller) Abschluss, Studienleistung (Noten), Studienzufriedenheit, Theorie-Praxis-Transfer und Kompetenzen, die jedoch nicht definiert werden. Sind damit wirklich Kompetenzen im Sinne von Selbstorganisationsdispositionen gemeint, wie sie in der Praxis benötigt werden, um herausfordernde Problemstellungen selbstorganisiert lösen zu können? Offensichtlich beschränken sich die Autoren auf den Bereich formeller Weiterbildungsmaßnahmen, so dass Kompetenzen im Sinne von Handlungssicherheit in der Praxis wohl nicht gemeint ist.
Schließlich mündet das Buch im vierten Abschnitt in ein „Modell für den Studienerfolg“ der Learning Professionals, das von der Verausgabenbereitschaft über Studieninteresse und Lernstrategien bis zur Unterstützung im privaten und beruflichen Umfeld reicht. Leider bleiben die Hinweise zur Umsetzung dieses Modells mit einer guten halben Seite auf einem sehr oberflächlichen Niveau. Das Buch schließt mit einem Selbsttest, der als Online-Self-Assessment gestaltet ist, mit dem die Studierenden ihre Stärken und Schwächen besser einschätzen und überprüfen können sollen.
Fazit
Das Fachbuch hat mich enttäuscht. Es ist von Anfang bis zum Ende aus dem Blickwinkel der Hochschullehre geschrieben worden. Daraus ergibt sich auch die irritierende Bezeichnung der Lerner, die im Berufsleben stehen, als „Learning Professionals“. In der betrieblichen Praxis und in der überwiegenden Literatur zum Corporate Learning werden als Learning Professionals vielmehr die Personalentwickler, die Bildungsplaner sowie die Trainer bezeichnet, die betriebliche Bildungssysteme professionell planen, gestalten und implementieren.
Die Frage, welche Erfordernisse sich aus den Entwicklungen in der Arbeitswelt, insbesondere im Zuge der Digitalisierung, für die Gestaltung des Lebenslangen Lernens ergeben, ist in diesem Werk völlig in den Hintergrund gerückt. Die Autoren thematisieren nicht, welche Konsequenzen sich für die Didaktik von Weiterbildungsmaßnahmen ergeben. Deshalb bewegen sich die Autoren ausschließlich im Bereich der Methodik formeller Lehrformate, obwohl für den Aufbau von Kompetenzen im Arbeitsprozess die Integration von Arbeiten und Lernen erforderlich ist und formelle, berufsbegleitende Qualifikationen nur eine untergeordnete Bedeutung spielen. Spannend wäre es gewesen zu erfahren, welche Rolle Hochschulen zukünftig bei der Ermöglichung informeller Lernprozesse mit dem Ziel des Kompetenzaufbaus im Prozess der Arbeit und im Netz spielen können. Wie muss in einer zunehmend digitalisierten Arbeitswelt die Didaktik und der Ermöglichungsrahmen für das betriebliche Lernen gestaltet werden? Wie verändern sich die Rollen der heutigen Lehrenden? Welche Anforderungen ergeben sich für die Lernbegleiter? Wie wird zukünftig der Lernerfolg im Rahmen Lebenslangen Lernens gemessen?
All diese Fragen sind nicht einmal im Ansatz angesprochen worden. Damit ist dieses Fachbuch ein Beleg dafür, dass es den meisten Hochschulen nicht gelingt, sich in die Sichtweise und Bedürfnisse der Unternehmen und deren Mitarbeitern, also den Lernern im zunehmend digitalisierten Berufsleben, zu versetzen.