Kompetenzentwicklung durch Kompetenztraining?

Es begegnen einem in der betrieblichen Bildungslandschaft immer wieder Begriffe wie „Kompetenzakademie“ oder „Kompetenztraining“. Auch  Volker Heyse und John Erpenbeck haben für Ihr Standardwerk diesen Titel gewählt. Ist dies nicht ein Widerspruch in sich selbst? Schließlich kann man Kompetenzen, anders als Wissen und Qualifikation, nicht vermitteln.

Den Kern der Kompetenzen bilden Werte, die in Wertungsprozessen entstehen. Sie werden in realen Entscheidungssituationen zu eigenen Emotionen und Motivationen umgewandelt und angeeignet. Werte können deshalb nicht in Seminaren oder über Bücher erworben werden. Es ist vielmehr ein Prozess der sogenannten emotionalen Labilisierung erforderlich. Darunter versteht man das Erleben und Bewältigen von Dissonanzen, also innerer Widersprüche, weil die vorliegenden Erfahrungen und Informationen zur persönlichen Einstellung bzw. zu getroffenen Entscheidungen im Widerspruch stehen. Diesen Vorgang bezeichnet man als Interiorisation (Internalisation) von Werten. Solche Prozesse können nur in der Realität, nicht aber in Übungen und Fallstudien, erlebt werden. Dies hat weitgehende Konsequenzen für die Gestaltung der Lernprozesse in Kompetenzentwicklungssystemen.

Herkömmliche Weiterbildungsmaßnahmen in Form von Seminaren oder Verhaltenstrainings haben in der Regel nur ein geringes Potenzial, um kontinuierliches Lernen und berufliche Kompetenzentwicklung zu fördern, da sie ein selbstmotiviertes und –organisiertes Lernen nicht ausreichend fördern. Um entsprechende Lernprozesse anzuregen und zu fördern, bedarf es daher des verstärkten Einsatzes von Lernumgebungen, die nach Prinzipien des problemorientierten Lernens gestaltet sind, um motiviertes, anwendungsnahes Lernen zu unterstützen. Selbstorganisiertes Lernen setzt wiederum Techniken zur Selbstreflexion voraus, um erfahrungsbasiertes Arbeitshandeln zu optimieren, benötigt Coaching- und Mentoringkonzepte, um das individuelle berufsbezogene Verhaltens- und Einstellungsrepertoire zu reflektieren und zu modifizieren, und erfordert Lernumgebungen, die auf kollaborativen Lernprozessen beruhen, um selbstgesteuertes, kooperatives Lernen zu fördern. Solche Lernprozesse basieren damit auf dem Austausch des Erfahrungswissens in den Netzwerken der Lerner. Lernen wird damit zu einem Prozess der Netzwerkbildung (Konnektivismus).

Sofern ein Lernprozess auf die Erweiterung der selbstorganisierten Handlungsfähigkeit und langfristig stabile Entwicklungseffekte gerichtet ist, ist jedes entsprechende Training auch Kompetenztraining. Der Begriff Kompetenztraining ist nach meinem Verständnis aber trotzdem nur bedingt geeignet, diese Lernprozesse zu beschreiben. Er erinnert er doch zu sehr an die traditionelle Aus- und Weiterbildung, die ja beim Wertlernen so gerade nicht funktioniert. Deshalb bevorzugen wir den Ausdruck der –  intendierten –  „Kompetenzentwicklung“.  Das Gleiche gilt für den Begriff der „Kompetenzakademie“, die zu sehr nach Wissensvermittlung und Qualifikation und Fremdsteuerung klingt.  Hier bietet sich nach unserer Sicht eher der Begriff „Kompetenzzentrum“ an, weil er besser die Selbstorganisation der Lerner, die sich dort aktiv treffen, widerspiegelt.

Auch wenn dies wie Wortglauberei wirkt, glaube ich, dass es doch wichtig ist, gerade bei der Wahl dieser zentralen Begriffe auf die Botschaft zu achten, die die meisten Menschen damit assoziieren.

Ihr

Werner Sauter

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