2007 haben John Erpenbeck und ich das Fachbuch „Kompetenzentwicklung im Netz – New Blended Learning mit Web 2.0“ veröffentlicht. Aufgrund wiederholter Nachfragen haben wir nach dem Auslaufen des Printmediums das Werk als E-Book neu aufgelegt.
In diesem Buch haben wir damals eine gemeinsame Position zur Frage der Kompetenzentwicklung mit innovativen Lernformen entwickelt, die nach wie vor die Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit bildet. Ausgehend von der Frage, was „sind“ Werte und wie werden sie vermittelt, haben wir systematisch die grundlegenden Möglichkeiten heraus gearbeitet, Kompetenzentwicklung möglich zu machen.
Kompetenzentwicklung erfordert echte Herausforderungen, die den Lerner nicht nur wissensbezogen, sondern auch emotional fordern. Voraussetzung dafür sind selbst organisierte Lernprozesse, die durch die Einbindung in ein entsprechendes Lernsystem mit einem Netzwerk aus Lernpartnern und Lernbegleitern geprägt ist.
Methoden der Kompetenzentwicklung weisen gemeinsame Merkmale auf :
- Die Wirklichkeit, d.h. das Lernen am Arbeitsplatz und in Projekten, ist zwingend notwendiges Instrument der Kompetenzentwicklung,
- die Verinnerlichung von Werten bildet den Kern der Lernprozesse,
- Handlungs- und Kommunikationsprozesse in realen Entscheidungssituationen sichern den Kompetenzerwerb,
- die Kommunikation über diese Entscheidungsprozesse mit Lernpartnern und flankiert diese Lernprozesses. Hierbei fördern Web 2.0 Instrumente (Social Software) den Austausch des Erfahrungswissens und die gemeinsame Weiterverarbeitung des Wissens aktiv.
Kompetenzentwicklung nutzt damit eine breite Palette an Methoden, die jeweils bedarfsgerecht zu einem Lernarrangement zusammengefasst werden. Intendierte, d.h. beabsichtigte, Kompetenzentwicklung findet dabei stets in einer kommunikativen Situation statt.
Kern der Kompetenzentwicklung ist der Aufbau von Werten. Dies bedeutet nicht die Weitergabe von Wertwissen, also der ausformulierten Regeln, Werte und Normen individuellen und sozialen Handelns. Werte entstehen vielmehr in Wertungsprozessen. Sie werden in realen Entscheidungssituationen zu eigenen Emotionen und Motivationen umgewandelt und angeeignet. Diesen Vorgang bezeichnet man als Interiorisation (Internalisation) von Werten.
Grundsätzlich können drei Lernrahmen für die selbstorganisierte Entwicklung der Kompetenzen genutzt werden, die teilweise ineinander übergehen und die sich gegenseitig ergänzen:
- Kompetenzentwicklung auf der Praxisstufe ist immer Handlungs- und Erlebnislernen am Arbeitsplatz, beim Kunden oder im Netz. Das Handeln im realen Arbeitsprozess oder im sozialen Umfeld kann dabei mehr oder weniger kompetenzförderlich sein, je nachdem wie der Lernrahmen gestaltet ist. Werte werden dabei stets erfahren, nicht „bloß gelernt“. Erfahrungen werden stets bewertet, sind nicht bloße Erweiterungen von Sachwissen.
- Kompetenzentwicklung auf der Coachingstufe findet in realen betrieblichen Prozessen oder Projekten statt und ergänzt damit die Praxisstufe. Der Coach soll den Gecoachten bei der Ausübung von komplexen Handlungen befähigen, optimale Ergebnisse selbstorganisiert hervorzubringen. Das heißt nichts anderes, als Selbstorganisationsfähigkeiten des Handelns, also Kompetenzen zu entwickeln. Folgerichtig stärkt Coaching in beruflichen Entwicklungsprozessen die Fähigkeit des Coachee zur Selbststeuerung, zur Selbstorganisation im Sinne einer „Hilfe zur Selbsthilfe“. Coaching ist in der Regeln nicht inhaltsorientiert (was wird gelernt?) sondern prozessorientiert (wie wird gelernt?); es geht nicht davon aus, dass Lernen, insbesondere Wert- und Kompetenzlernen durch einen Experten gesteuert werden muss, sondern dass es durch die Fragen, Ziele und Werte des Lerners selbst vorangetrieben wird. Der Lernprozess wird nicht primär vom Wissen, sondern von Reflexion, Wertung und Handlung angetrieben.
- Kompetenzentwicklung auf der Trainingsstufe erfolgt in einem didaktisch-methodisch durchdachten Lernkonzept, das die Realität nutzt, um Kompetenzentwicklung zu ermöglichen. Der Trainer reflektiert die Kompetenzentwicklungsprozesse, nimmt die Wertkommunikation bewusst wahr und verortet sie. Deshalb weicht der Begriff des Kompetenztrainings, wie wir ihn hier benutzen, deutlich von tradierten Trainingsmaßnahmen ab, die ausschließlich der Qualifizierung oder gar Informationsvermittlung dienen. Insbesondere rechnen wir Fallstudien, Rollenspiele oder Planspiele nicht zum Kompetenztraining, weil sie für die Lerner keine realen Herausforderungen bilden und damit keinen Prozess der emotionalen Labilisierung bewirken. Sie können jedoch dazu beitragen, die notwendigen Voraussetzungen für die Kompetenzentwicklung im Bereich des Wissens und der Qualifizierung zu schaffen. Das Kompetenztraining kann dagegen nur über die Lösung von Problemstellungen aus der Praxis, z.B. in Form einer Feuerwehrübung mit einem brennenden Haus, oder realistischen Herausforderungen im Rahmen von Simulationen erfolgen, bei denen die Lerner weitgehend vergessen, dass diese nicht real sind. Ein Beispiel dafür kann der Flugsimulator der Lufthansa sein. Erst wenn tatsächlich eine emotionale Labilisierung bewirkt wird, kann man von Kompetenztraining sprechen. Ansonsten handelt es sich um eine Qualifizierung, also eine notwendige Voraussetzung der Kompetenzentwicklung. In diesem Fall wäre das Training nicht zu Ende gedacht worden, das eigentliche Ziel bleibt dem Zufall überlassen.
Kompetenzentwicklung via Praxis, Kompetenzcoaching und Kompetenztraining weisen eine große potenzielle Methodenvielfalt auf, die bedarfsgerecht in den jeweiligen Lernrahmen verankert werden kann. Die Auswahl der Methoden liegt letztendlich in der Verantwortung des Lerners, der sich dabei an seinen individuellen Kompetenzzielen orientiert und von seinem Lernbegleiter oder seiner Führungskraft beraten wird.
Wir haben in unserem Buch einerseits das sozialhistorisch-philosophische Fundament des Kommunikations- und Lernwandels skizziert. Andererseits haben wir bereits konkrete Methoden und Instrumente des Web 2.0 zusammengetragen und sie auf ihre Möglichkeiten zur Kompetenzentwicklung hin „abgeklopft“. Wir sehen auf einen Blick, dass es für alle Grundkompetenzen – personale, aktivitätsbezogene, fachlich-methodische und sozial-kommunikative – Methoden und Instrumente im Web 2.0 gibt, die eine oder mehrere dieser Grundkompetenzen stark berühren. Wir haben weiter heraus gearbeitet, dass es keine Methoden und Instrumente gibt, die kaum Dissonanz- und Labilisierungspotenziale aufweisen, also zur Kompetenzentwicklung prinzipiell ungeeignet sind.
Unsere Schlussfolgerung ist deshalb, Social Software ist Kompetenz-Lernsoftware.
P.S. Sie können das E-Book unter epubli.de – Kompetenzentwicklung im Netz beziehen.