Das Erfahrungswissen aller Mitarbeiter ist ein Schatz der Unternehmen, der heute oftmals im Verborgenen bleibt. Dies wird besonders schmerzhaft deutlich, wenn erfahrene Fachkräfte ein Unternehmen verlassen. Das Tempo, in dem Wissen altert, wird immer höher. Einmal entwickeltes und expliziertes Wissen findet in zukünftigen Herausforderungen immer weniger Anwendungsmöglichkeiten, da sich die Rahmenbedingungen für jede neue Herausforderung grundlegend ändern. Es zeigt sich dabei, dass die gewohnte Methode, in Qualifikationsmaßnahmen formelles Vorratswissen aufzubauen, das im Bedarfsfall häufig dar nicht mehr abgerufen werden kann, diesen Anforderungen immer weniger gerecht wird. Daher und um dem Innovationsdruck von außen gerecht zu werden, müssen permanent neue Lösungen und Ideen entwickelt werden, und zwar gemeinsam – kollaborativ mit allen Mitarbeitern.
Die ursprüngliche Idee des Wissensmanagements in den 1990er Jahren war es, das gesamte Wissen in einer Organisation zu konservieren. In erster Linie wurden dafür technische Lösungen kreiert, die überwiegend durch Experten zentral gefüllt wurden und bei denen der Mensch und soziale Aspekte kaum berücksichtigt fanden. Aus heutiger Sicht ist es deshalb kaum verwunderlich, dass dieser Weg meist von vornherein zum Scheitern bzw. zum „Einschlafen“ verurteilt war. Dieses Wissensmanagement im engeren Sinne ist Informationsmanagement. Auswahl, Reihenfolge und Art der Darbietung werden von zentralen Experten geleistet.
Es leuchtet ein, dass Wissensmanagement den Unternehmen erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen kann. Trotzdem haben die vergangenen Jahrzehnte gezeigt, dass Mitarbeiter im Regelfall nicht bereit sind, ihren persönlichen Wissensschatz mit anderen zu teilen. Deshalb wird Wissensmanagement nur dann integrierter Teil der täglichen Arbeits- und Lernprozesse werden, wenn sich die Unternehmenskultur grundlegend wandelt. Die Erfahrungen zeigen, dass Wissensmanagement, das „top-down“ verordnet wird, keine Chance hat.
Verfolgt man mit Wissensmanagement das Ziel, die Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter im Arbeitsprozess, also ihre Kompetenzen, zu steigern, dann genügt es nicht, nur Informationen mit formellen Charakter anzubieten. Kompetenzen schließen zusätzlich Werte, Regeln, Normen und Erfahrungswissen mit ein. Wissensmanagement wird in diesem erweiterten Sinne weitgehend zum Kompetenzmanagement.
Wissensmanagement im weiteren Sinne ist kompetenzorientiert und umfasst neben dem Wissen im engeren Sinn Werte, Regeln, Normen und Erfahrungen. Hinzu kommen Gefühl, Intuition und Kreativität beim Umgang mit Information und Wissen. Wissen wird demnach mit Werthaltungen verknüpft.[1]
Nicht mehr die Wissensspeicherung, sondern der Wissensfluss kennzeichnet Wissensmanagementsysteme in der erweiterten Form. Dieser bildet die notwendige Grundlage für einen gezielten Kompetenzaufbau der Mitarbeiter im Sinne der Fähigkeit, Problemstellungen im Arbeitsprozess selbstorganisiert und kreativ zu lösen. Deshalb sprechen wir vom kompetenzorientierten Wissensmanagement. Diese Prozesse erfolgen „bottom-up“, indem jeder Arbeits- und Lernprozess Anlass ist, neues, gemeinsames Wissen zu generieren.
Entscheidend für den Erfolg des Wissensmanagement ist die Bereitschaft aller Mitarbeiter, ihr Wissen im weiteren Sinne im Rahmen von kollaborativen Arbeits- und Lernprozessen weiterzugeben bzw. zu nutzen. Das Wissen einer Unternehmung wird von allen Mitarbeitern im Prozess der Arbeit entwickelt. Deshalb sind die Rahmenbedingungen und die Arbeits- sowie Lernprozesse so zu gestalten, dass Wissensmanagement im erweiterten Sinne und damit die Entwicklung von Kompetenzen ermöglicht wird.
Wissen wird bei Bedarf „on demand“ selbstorganisiert von den Mitarbeitern recherchiert und in den Arbeits- bzw. Lernprozess integriert. Wird neu generiertes Wissen in der Praxis angewandt, wird es zunehmend verinnerlicht (interiorisiert). Praxistaugliches Wissen wird anschließend im Rahmen der kollaborativen Lösung von Herausforderungen in der Praxis gemeinsam angewandt und damit weitergegeben bzw. verteilt. Es entsteht ein neuer Kreislauf der Wissensgenerierung. Damit entwickelt sich eine gemeinsame Wissensbasis der Organisation. Die Spirale beginnt immer wieder von neuem.
Das Erfahrungswissen der Mitarbeiter kann im Rahmen des kompetenzorientierten Wissensmanagements beispielsweise mithilfe von Lerntagebüchern (Blogs) oder gemeinsamen Arbeits-oder Projekttagebüchern (Wikis) systematisch im Rahmen von Reflexionen erfasst werden, so dass es bei späteren Problemlösungen wieder gezielt genutzt werden kann. Vereinbaren Lernpartner, ihr Erfahrungswissen regelmäßig über diese Instrumente auszutauschen, zwingen sie sich, regelmäßig ihre Erfahrungen zu reflektieren und in einer Weise aufzubereiten, die es ihren Kollegen möglich macht, dieses Erfahrungswissen für sich zu verwerten. Diese wenden die Anregungen in eigenen Herausforderungen an, bewerten die Ergebnisse und geben der Lerngruppe wiederum Rückmeldung. Dadurch entsteht ein dynamischer Prozess des Wissensaustauschs und der gemeinsamen Weiterentwicklung des Erfahrungswissens. Es entwickelt sich kompetenzorientiertes Wissensmanagement „bottom-up“.
Die Arbeits- und Lernkollegen überprüfen laufend auch vergangene Problemlösungen unter dem Aspekt, was, z. B. aufgrund neuer Entwicklungen, zukünftig besser gemacht werden könnte. Sie bauen dabei ein gemeinsames Wertesystem auf, das sich aus der Analyse bisheriger Problemlösungen herleitet.
Kompetenzorientiertes Wissensmanagement erfordert ein System zur Dokumentation und zur Suche von Erfahrungswissen ( z. B. Activity Stream, Dokumente, Blogs, Wikis, Communities …) sowie zum Identifizieren von Experten (Social-Networking-Plattformen) und für problemorientierte Recherchen. Deshalb sind solche Funktionen in Soziale Kompetenzentwicklungs-Plattformen zu integrieren.
Kompetenzorientiertes Wissensmanagement ermöglicht und fördert den Austausch von Erfahrungswissen aller Mitarbeiter. Es dient dem Ziel, die individuelle Kompetenzentwicklung aller Mitarbeiter und Führungskräfte eines Unternehmens zu ermöglichen, um die angestrebte Performanz der Unternehmung zu erreichen. Es wird damit zu einem grundlegenden Element für selbstorganisiertes, kollaboratives Kompetenzlernen.
Die Implementierung von kompetenzorientiertem Wissensmanagement kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sich die Denk- und Handlungsweisen aller Beteiligten, vom Lerner über die Learning Professionals bis zu den Führungskräften, grundlegend verändern. Projekte zur Entwicklung und Implementierung eines kompetenzorientierten Wissensmanagements sind damit als Veränderungsprojekt zu gestalten.
[1] Vgl. Reinmann-Rothmeier, G.; Mandl, H. (1999).