Das von Diethelm Wahl, bei dem ich meine Dissertation zur Führungskräfteentwicklung geschrieben habe, ursprünglich für den schulischen Bereich entwickelte KOPING-Verfahren, das wir in vielfältigen Projekten für die Anforderungen der Kompetenzentwicklung mit Blended Learning weiter entwickelt haben, soll gewährleisten, dass selbstgesteuerte und –organisierte Lernprozesse erfolgreich ablaufen. KOPING ist ein Kunstwort, das an das englische Wort „coping“ ( = „bewältigen“, „mit etwas fertig werden“) angelehnt ist. Gleichzeitig bedeutet der Begriff „KOmmunikative Praxisbewältigung IN Gruppen“.
In der Stressforschung werden mit dem Begriff „coping“ die Anstrengungen oder Bemühungen einer Person bezeichnet, die diese zur Bewältigung von Anforderungen, Belastungen oder Konflikten unternimmt. Somit gibt dieser Begriff exakt die Zielsetzung betrieblicher Kompetenzentwicklungsmaßnahmen wieder. Die Lerner sollen befähigt werden, ihre Lernprozesse sowie die Praxis als Mitarbeiter oder Führungskraft zu bewältigen. Das Ziel ist, dass sich die Netzwerkmitglieder in ihren Entwicklungsprozessen gegenseitig unterstützen.
In einer Reihe von Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass Belastungen und Stresssituationen besser bewältigt werden können, wenn die Menschen in ein Netzwerk aus gut funktionierenden sozialen Beziehungen integriert sind, emotionalen Austausch erfahren und sich potentieller Hilfeleistung sicher sind. Deshalb umfasst im in unseren Lernkonzeptionen ein Kurs im Regelfall vier soziale Ebenen :
- Einzelne Lerner sind im KOPING-Verfahren das störanfälligste Element, da ihre Lernprozesse meist eine lange Zeit erfordern. Es besteht deshalb die große Gefahr, dass die anfängliche Motivation aufgrund ungünstiger Rahmenbedingungen, mangelnder Unterstützung durch Vorgesetzte oder Kollegen, menschlicher Bequemlichkeit, anfänglicher Misserfolge oder Fehleinschätzungen nachlässt und im Endeffekt dazu führt, dass sich der Lernerfolg nicht einstellt. Mutzeck bezeichnet diese negativen Faktoren als „Giftpfeile“. Die Lerner benötigen deshalb „Schutzschilde“, die den Kompetenzentwicklungsprozess flankieren, Störgrößen ausschalten und den Transfer sichern.Ein Schutzschild bildet z.B. das Vorausdenken. Die Lerner analysieren dabei bereits im Vorfeld mögliche Problemsituationen und überlegen sich, wie sie in dieser Situation reagieren können. Als wichtigstes Schutzschild haben sich in der Praxis Lerntandems erwiesen.
- Lerntandems bestehen aus zwei, manchmal drei, Lernern, die auf Dauer kooperieren wollen. Durch die Zusammenarbeit mit einer vertrauten Person können es die Lernpartner leichter schaffen, ihre Handlungsroutinen zu unterbrechen und ihre Aufgaben in ihren individuellen Lernprozessen zu lösen. Sie stabilisieren sich sozi-emotional und helfen sich gegenseitig, indem sie verbindliche Vereinbarungen treffen und sich regelmäßig in Jour-fixe treffen.
- Die KOPING-Gruppen bestehen aus meist drei, maximal vier Tandems. Die Gruppen treffen sich regelmäßig oder bei Bedarf, um sich gegenseitig zu motivieren und um ihre Lernprozesse gegenseitig zu unterstützen.
- Der Lernkurs tauscht in der Learning Community bzw. Community of Practice und evtl. in den Präsenzveranstaltungen Lösungen zu offenen Übungsaufgaben aus und gibt sich gegenseitig dazu Rückmeldungen.
Die soziale Unterstützung in Lerntandems und KOPING-Gruppen weist dabei zwei Dimensionen auf:
- Sozio-emotionale Stabilisierung: Die Lernpartner bzw. die Gruppe vermitteln das Gefühl, aufgehoben und umsorgt zu seine und Anteilnahme zu erfahren. Die Lerner werden dadurch motiviert, Verhaltensweisen zu ändern und verpflichten sich auf gemeinsame Ziele, Werte und Normen.
- Konkrete Hilfe: Die Lernpartner bzw. die Gruppe beraten sich bei Problemen und Vorhaben gegenseitig, diagnostizieren Herausforderungen, brechen Handlungsroutinen auf, suchen Alternativen und verdichten gemeinsames Wissen. Sie entwickeln Ideen, tauschen Erfahrungswissen und Informationen aus und nutzen gemeinsam ihre Materialien. In gegenseitiger Absprache übernehmen die Lernpartner konkrete Aufgaben, z.B. Recherchen, deren Ergebnisse sie gemeinsam verarbeiten.
Damit besitzen KOPING-Gruppen eine deutlich andere Qualität als beispielsweise Communities im Netz. Es handelt sich um enge Partnerschaften für einen bestimmten Zeitraum.
Das KOPING-Verfahren hat sich in der Praxis seit nunmehr über 20 Jahren, zunächst ohne Neue Medien, in selbst organisierten Lernprozessen hervorragend bewährt. Es bildet letztendlich die Grundlage dafür, dass die selbstgesteuerten und -organisierten Lernprozesse der Teilnehmer mit einer sehr hohen Erfolgswahrscheinlichkeit behaftet sind. Hinzu kommt, dass die gegenseitige Unterstützung im KOPING-Verfahren wesentlich dazu beiträgt, die notwendige Lernkultur des Lernens in Netzwerken für Kompetenzentwicklungsprozesse aktiv zu fördern. Gleichzeitig wird der Aufwand für das Tutoring in unseren Blended Learning Maßnahmen erheblich reduziert, da die Lerner zunächst versuchen, ihre Lernprobleme mit Lernprogrammen selbst, mit Lernpartnern, in der Lerngruppe sowie im Netzwerk zu lösen. Der Tutor verändert deshalb seine Rolle tendenziell vom Fachexperten zum Lernbegleiter, der insbesondere methodische Unterstützung gibt, bis hin zum E-Coach.
Ihr
Werner Sauter