„Meiner Meinung nach sollte man (bei VW) kritisieren, dass nicht die Kultur vorhanden war, unrealistische Ziele ablehnen zu dürfen oder eigene Fehler offen zu benennen und aus diesen zu lernen. Die Manager ließen lieber die Software manipulieren als ihrem Chef zu beichten, dass die vorgegebenen Abgaswerte nicht zu erreichen sind. Das Resultat dieser Fehlerkultur ist Milliarden Euro schwer und bedrohte die Existenz des Autobauers…. Die Organisationskultur wird für VW die größte Herausforderung beim Thema New Work werden.“
Carsten C. Schermuly, 2019, S. 302
McKinsey hat in einer Studie (2020) festgestellt, dass die Veränderung der Unternehmenskultur mit großem Abstand als die größte Herausforderung in der Unternehmenstransformation gesehen wird. Gleichzeitig bestimmen die Organisationskultur, das Arbeitsklima und das persönliche Umfeld mit großem Abstand die Attraktivität als Arbeitgeber.
McKinsey & Co. 2020
Wie erreicht man eine Kultur, die durch Zusammenhalt und ein Wir-Gefühl geprägt ist und somit ohne eine strikte Kontrolle auskommt? Wie bringt man alle Mitarbeitenden dazu, selbstorganisiert nach Lösungen zu suchen, zu interagieren und mit ihren Kollegen zu kooperieren, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen?
Der Kulturbegriff ist einer der am umfangreichsten diskutierten und am wenigsten klaren. In Organisationen wird eine Einigung darüber erzielt, welches Handeln gut und richtig und welches weniger gut und falsch ist. Aus der Kultur bilden sich somit Verfahrensweisen und Handlungen heraus, die durch Selbstorganisation bestimmt sind. Dies benötigt sogenannte Ordner, gewissermaßen Haltegriffe oder Kanalisierungen, die bestimmen, in welche Richtung sich eine Entwicklung bewegt. Diese Ordner müssen sich im Handeln der Unternehmen auf den Ebenen Organisation, Team und Mitarbeitende herausbilden. Wir bezeichnen sie als Werte, die das selbstorganisierte Handeln bestimmen und damit Kerne von Kompetenzen sind.
Werte und Kompetenzen fließen damit direkt in die Organisationskultur ein.
Der Begriff der Kultur ist ein Wertebegriff (Weber 1989).
Kultur bezeichnet im weitesten Sinne alles, was der Mensch selbst gestaltend hervorbringt im Unterschied zu der von ihm nicht geschaffenen und nicht veränderten Natur. Jede Organisation muss dabei zwei Herausforderungen meistern: die Anpassung an die Umwelt und die Sicherung des internen Zusammenhalts.
Organisationskultur ist ein System von gemeinsamen Werten sowie Normen und Denkhaltungen, die die Entscheidungen sowie das Handeln der Mitarbeiter auf allen Ebenen einer Organisation prägen und die sich als „gemeinsames mentales Modell“ erweist. (vgl. Homma, Bauschke, Hofmann 2015)
Damit unterscheidet die Organisationskultur eine Organisation von anderen (Schermuly, 2019, S. 296). Es geht also um die kollektiv geteilten Selbstverständlichkeiten und Grundannahmen, die nicht mehr hinterfragt werden und das Wahrnehmen, das Denken, die Gefühle und das Handeln der Mitarbeiter leiten (vgl. ebenda).
Organisationskultur ist dem entsprechend ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit Problemen weitergegeben wird (vgl. Homma, N., Bauschke, R., Hofmann, L. 2015).
Werte und Kompetenzen prägen maßgeblich die Organisationskultur
Eine wirklich wirksame Organisationskultur ist also ohne Kompetenz- und Wertemanagement nicht denkbar. Die Werte, die Kultur und die Kompetenzen auf Organisationsebene, und damit die Performanz der Organisation, bilden sich in einem eigenen, organisationsübergreifenden Prozess heraus. Es entwickelt sich das „Ganze“, das viel mehr ist, als die Summe der Mitarbeiter und Teams (vgl. Radatz 2011 90 ff.). Deshalb gehen wir wie folgt vor:
- Wir erfassen zunächst die Werte und Kompetenzen auf Organisationsebene, was uns weiter gehende Einschätzungen ermöglicht.
- Wie schätzen alle Mitarbeiter die Ist-Ausprägung der 16 Werte und Kompetenzen in der Organisation ein?
- Welche Ausprägungen dieser Werte und Kompetenzen wünschen sich die Mitarbeiter bzw. halten sie für erforderlich, um die Zukunft der Organisation zu sichern?
- Was sind die Kernwerte und Kernkompetenzen der Organisation?
- Welche Organisationswerte und -kompetenzen erweisen sich, z. B. in Hinblick auf agile Arbeitsprozesse, als besonders wirkungsvoll und letztlich nutzbringend?
- Welche Unterschiede zeigen sich in der Einschätzung der Werte und der Kompetenzen zwischen verschiedenen Mitgliedern der Organisation, z. B.
– verschiedener Altersgruppen,
– unterschiedlicher Bildungsniveaus,
– unterschiedlicher Herkunft,
– unterschiedlicher Regionen oder Länder,
– unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche, z. B. Produktion, Verwaltung, Vertrieb, verschiedener Hierarchien,
– unterschiedlichen Geschlechts,
– verschiedener Religionen…?
Auf dieser Grundlage können folgende Fragen analysiert werden:
- Welche Werte- und Kompetenzausstattungen sind für die zukünftigen Herausforderungen der Mitarbeiter oder Teams günstig, und wann durchkreuzen andere angestrebte Erfolge?
- Welche Werte und Kompetenzen machen die Mitarbeiter erfolgreich und zufrieden, welche lassen sie in Widerspruch zu anderen oder zu den Verhältnissen geraten, fördern oder verhindern die Entstehung notwendiger Kompetenzen?
- Wie wirken sich diese Unterschiede in der Praxis der Organisation aus?
- Welche Ansatzpunkte gibt es zur Optimierung der Organisationskultur?
Da die Organisationswerte und -kompetenzen maßgeblich die Organisationskultur bestimmen, ergibt diese Erfassung eine klares Bild über die aktuelle und die gewünschte Ausprägung des gemeinsamen „mentalen Modells”, und damit der Kultur, in der Organisation.
Das unternehmensweite Kulturmanagement leitet sich direkt aus den strategischen Anforderungen ab. Deshalb kommt der oberen Führungsebene eine zentrale Bedeutung als Initiator und Begleiter von Prozessen des Werte- und Kompetenzaufbaus in der Organisation zu. Das Top-Management initiiert das organisationsweite Kulturmanagement und sichert den Rahmen für eine erfolgreiche Umsetzung. Gleichzeitig macht es die hohe Bedeutung der Werte und Kompetenzen für den Erfolg der Organisation deutlich.
Ein agil organisiertes Werte- und Kompetenzmanagement-Team agiert als Motor des gezielten Wertewandels und der Kompetenzentwicklung, das die Strategie des Kulturmanagements definiert und einen unternehmensweiten Prozess zur gezielten Entwicklung der Werte und Kompetenzen initiiert.
In einem mehrmonatigen digital gestützten Kommunikationsprozess wird ein organisationsweiter Austausch über die Werte und Kompetenzen auf individueller, teambezogener und organisationaler Ebene sowie das Werte- und Kompetenzmodell ermöglicht. Anschließend werden die Ergebnisse aus diesen Erörterungen in einem mehrtägigen Workshop mit bis zu 30 Teilnehmer zu einer Mission zusammengeführt. Im Rahmen dieses Kommunikationsprozesses können alle Mitarbeitenden den Prozess des Kulturmanagements über eine Kommunikationsplattform verfolgen und sich selbst aktiv in die Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbringen.
Das Werte- und Kompetenzmanagement-Team definiert zum Ende des Workshops in Abstimmung mit den Teilnehmenden und der Geschäftsführung Korridorthemen (Schwerpunktthemen) im Werte- und Kompetenzbereich der Organisation, die von besonderer Bedeutung für die Organisation sind. Mit dem Begriff des Korridorthemas soll zum Ausdruck kommen, dass eine gemeinsame Marschrichtung, gleichsam wie auf einem Gang, von oben nach unten durchgesetzt wird. In diesem Gang gibt es Türen, durch die die einzelnen Führungskräfte und Mitarbeiter ihre Probleme in den Korridor einbringen und bearbeiten können (vgl. Stiefel 1999, S. 72 ff.).
Damit wird ein Prozess der gezielten Kulturentwicklung in der ganzen Organisation angestoßen, der auf dem Prinzip der Selbstorganisation basiert.
Literatur
Homma, N., Bauschke, R., Hofmann, L. : Einführung Unternehmenskultur: Grundlagen, Perspektiven, Konsequenzen. Berlin (2015)
McKinsey. & Co. (2020): Doing vs. Being: Practical lessons on building an agile culture, abgerufen unter https://www.mckinsey.com/~/media/McKinsey/Business%20Functions/Organization/Our%20Insights/Doing%20vs%20being%20Practical%20lessons%20on%20building%20an%20agile%20culture/Doing-vs-being-Practical-lessons-on-building-an-agile-culture-v3.pdf am 23. 02. 2021
Radatz, S. Wie Organisationen das Lernen lernen. Entwurf einer epistemologischen Theoriemodells „organisationalen“ Lernens aus relationaler Sicht, Hohengehren (2011)
Schermuly, C: New Work – Gute Arbeit gestalten, Freiburg (2. Aufl. 2019)
Stiefel, R. Th.: Personalentwicklung in Klein- und Mittelbetrieben. Innovationen durch praxiserprobte PE-Konzepte, Leonberg (1999)
Weber, M.: Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Rationalisierung und entzauberte Welt. Schriften zur Geschichte und Soziologie. Leipzig (1968)