Lebendige Lern-Communities – ein Widerspruch in sich?

Karlheinz Pape hat in seinem neuesten Blogbeitrag (http://khpape.wordpress.com/2014/01/23/gestalten-von-lern-communities/) eine hervorragende Analyse der Wirkungsweise von Learning Communities dargestellt, die ich Ihnen sehr empfehle. Betrachtet man die unzähligen Erfolgsmodelle von  Communities im Web, stellt man sich zwangsläufig die Frage, warum wir uns im betrieblichen Lernkontext so schwer tun. Ich versuche deshalb, aus den Ausführung von Karlheinz Pape Rückschlüsse für die Gestaltung von Communities im betrieblichen Kontext zu ziehen.

Alle erfolgreichen Communities im Netz sind vollständig selbstorganisiert. Betriebliche Lerner sind aber im Regelfall, teilweise über Jahrzehnte, gewohnt, dass Ihnen jemand die Lernprozesse vorgibt.

Hinzu kommt, dass die Communities im Netz eine kritische Größe von meist mehreren Hundert Teilnehmern überschreiten, während wir in den Unternehmen im Regelfall mit relativ kleinen, sorgfältig ausgewählten „Lerngruppen“, teilweise im einstelligen Bereich, arbeiten. Wenn in solchen Communities nur etwa 10 %, wie es im Netz üblich ist, aktiv sind, entsteht natürlich nur gähnende Leere.

Wer sich in Communities im Netz bewegt wird im Regelfall einen sehr wertschätzenden Umgangston erfahren, während wir im betrieblichen Kontext doch häufig eine Kultur pflegen, in der man seine eigene Kompetenz vor allem dadurch beweist, dass man Fehler der anderen aufdeckt.  Dieser Aspekt wird noch dadurch verstärkt, dass in den Unternehmen, anders als im Netz, Hierarchien eine wesentliche Rolle spielen. Jeder, der in diesem Bereich moderiert, kennt das Phänomen, dass sich die Art und Qualität der Kommunikation oft schlagartig ändert, sobald ein Hierarch den realen oder virtuellen Raum betritt.  Eine wesentliche Rolle spielt weiter das Immun-System von Communities, das eine „Selbstheilung“ durch Interventionen anderer Community-Mitglieder bewirkt, wenn einzelne Teilnehmer sich nicht an die Spielregeln halten.

Was bedeutet dies für die betrieblichen Bildungsplaner? Wir müssen uns von der Vorstellung lösen, dass wir mit fremdgesteuerten Lernsystemen die erforderlichen Lernprozesse im Unternehmen bewirken können. Eine strenge Kausalität zwischen Lehren und Lernen kann nicht aufrechterhalten werden.[1] Es ist vielmehr ein Lernen erforderlich, das als selbstorganisierter, konstruktivistischer Aneignungsprozess verstanden wird, also nicht als Aufnahme belehrender, de facto nicht möglicher Wissensvermittlung.[2] Damit sind wir beim Ansatz der Ermöglichungsdidaktik.

Ermöglichungsdidaktik hat zum Ziel, den Lernenden alles an die Hand zu geben, damit sie ihre Lernprozesse problemorientiert und selbstorganisiert gestalten können.

Wie ein Lernarrangement auf einen Lernenden wirkt, wie er den Input aufnimmt und interpretiert, wie er verarbeitet, was er wahrgenommen hat und wie viel davon später, wenn er sein Wissen anwenden möchte, überhaupt noch zur Verfügung hat, kann nicht geplant werden.[3] Deshalb wird nicht mehr der Anspruch erhoben, man könne Lernprozesse direkt beeinflussen.[4] Auch widerspricht die traditionelle  „Erzeugungsdidaktik“ dem Menschenbild, das im Kontext des Social Business zunehmend gefordert wird und das, wie Karlheinz Pape anschaulich  beschrieben hat, im Web zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Es reicht danach nicht aus, teilnehmerorientierte, kooperative Lernphasen in die Seminare  zu integrieren. Die Lerner müssen vielmehr die Freiheit erhalten, ihre individuellen Lernprozesse ausgerichtet auf ihre Herausforderungen in der Praxis in einem Ermöglichungsrahmen selbstorganisiert in Ihrem Netz zu gestalten. Aus dem bisherigen „Lehrer“ wird der „Lernbegleiter“, der als Bildungsberater und Lerncoach die individuellen Lernprozesse ermöglicht und unterstützt, ohne das Prinzip der Selbstorganisation außer Acht zu lassen.


[1] vgl. Schüßler, I. (2007)

[2] vgl. Arnold, R. (2000); Arnold, R. (2013)

[3] vgl. Schüßler, I. (2007)

[4] Wahl, D. (2006), S. 206

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