Als ich mich in den vergangenen Wochen mit der Neuauflage des Standard-Werkes von Peter Senge „Die fünfte Disziplin – Kunst und Praxis der lernenden Organisation“ (11. Aufl. 2011, Stuttgart, in 26 Sprachen übersetzt) beschäftigt habe, ist mir bewußt geworden, wie stark unsere kompetenzorientierte Blended Learning Konzeption durch diesen Ansatz mit geprägt worden ist.
Peter M. Senges Entwurf eines neuen Management-Denkens, mit dem er den Begriff und das Prinzip der „Lernenden Organisation“ prägte, ist 1990 zum ersten Mal erschienen und längst zum Klassiker avanciert. Senge postuliert, dass durch die zunehmende Globalisierung und den sich rasch wandelnden Umweltbedingungen die Anforderungen an die Mitarbeiter einer Organisation steigen. Deshalb ist eine permanente Weiterentwicklung der Mitabeiter notwendig. Aber auch die Organisation selbst muss vor allem ein hohes Maß an Flexibilität und Wandlungsfähigkeit aufweisen, sie muss lernen.
Senge beschreibt fünf Disziplinen, die für lernende Organisationen die Voraussetzung bilden. Darunter versteht er ein Set bestimmter Abläufe als Methoden, die erlernt und eingeübt werden müssen.
- „Personal Mastery“ (Persönliche Reife): Die geistige Grundlage einer Organisation. Jeder Einzelne hat die Aufgabe, sich über die Dinge klar zu werden, die wirklich wichtig sind und welche Beiträge er leisten kann.
- „Mentale Modelle“: Unausgesprochene Grundannahmen werden transparent gemacht, so dass sie Gegenstand der Entwicklung werden können.
- „Gemeinsame Vision“: Die Lücke zwischen Vision und gegenwärtiger Realität ist die Quelle kreativer Energie. Deshalb müssen alle Mitglieder der Organisation die gemeinsame Vision verstehen und verinnerlichen.
- Teamlernen“: Funktionierende Teams sind die Keimzellen erfolgreicher Unternehmen.
- „Die fünfte Disziplin Systemdenken“: Die ersten vier Disziplinen müssen systematisch miteinander und mit dem großen Ganzen verknüpft werden. Dies erfordert einen konzeptuellen Rahmen und entsprechende Strukturen. Darin kann sich ein grundlegender Wahrnehmungswandel entwickeln, der sowohl die Einzelnen wie auch die Teams und die gesamte Organisation voranbringt.
Diese Disziplinen sind damit Gestaltungsempfehlungen im Sinn von leitenden Ideen. Sie sind kein „Handbuch“, das einfache Rezepte oder konkrete Strategien zum Umsetzen liefert. Es gibt keine Patentrezepte für den Aufbau der lernenden Organisation. Die hat auch Senge nicht. Es gibt aber vieler Erkenntnisse darüber, wie ein Arbeitsumfeld aussehen muss, das bessere Leistungen ermöglicht und die Arbeitszufriedenheit steigert.
Was kann aus diesem Ansatz für die Konzipierung von kompetenzorientierten Blended Learning System abgeleitet werden?
Senge definiert zwei Ebenen des Lernens:
- Was kann der Lerner tun, welche Ergebnisse erreicht er?
- Welche Fähigkeit hat er, zuverlässig eine bestimmte Qualität von Ergebnissen zustande zu bringen.
Es geht also letztendlich um Kompetenzziele, die sich immer in Handlungen niederschlagen. Daraus leitet Senge die Frage ab, wie das Lernumfeld, die „strategische Architektur“ , die dafür notwendig ist, aussieht. Dieser Lernzyklus umfaßt Ansichten und Annahmen, etablierte Praktiken, Fertigkeiten und Fähigkeiten, ein Beziehungsnetzwerk sowie Bewusstsein und Empfindlichkeiten. Deshalb fördern wir in unseren Blended Learning Arrangements die Netzwerkbildung („Konnektivismus) über Tandem- und Gruppenkonzepte, die Kommunikation über das Learning Management System (z.B. über Foren) sowie die konsequente Einbeziehung von Social Software, z.B. mitttels Projekttagebüchern (Blogs) und Wikis.
Die größte Herausforderung zur Entwicklung der lernenden Organisation ist die Gestaltung effektiver Infrastrukturen, die den Menschen helfen können, Lernen und Arbeiten zu integrieren. Lernende Infrastrukturen (Reflexionen, Übungsfelder, Kommunikationstechnologien) sind damit ein Schlüsselelement für die Entwicklung effizienter Lernstrategien. Stabile Lerninfrastrukturen benötigen deshalb „Praxis- und Übungsfelder“, die reale Herausforderungen für die Lerner darstellen. Das Lernen im Sinne der Kompetenzentwicklung wird deshalb in unseren Blended Learning Arrangements nicht dem Zufall überlassen, sondern über Transfer- und Projektaufgaben konsequent initiiert. Echte Lernprozesse sind dadurch gekennzeichnet, dass man etwas Neues ausprobiert und dabei auch Fehler machen kann.
Aus der systematischen Diskussion und Weiterentwicklung des dabei gewonnen Erfahrungswissens entwickelt sich die lernende Organisation. Es werden Strukturen benötigt, die es ermöglichen, entwickelte Fertigkeiten an andere weiter zu geben, um deren Kompeternzentwicklungsprozesse zu ermöglichen. Des halb kommt der Kommunikation und Dokumentation von Erfahrungswissen in unseren Lernkonzepten ene zentale Bedeutung zu.
Für die Förderung organisationalen Lernens gibt es zwei Ansatzpunkte, die Sonja Raddatz in ihrer neuen Dissertation schlüssig hergeleitet hat:
- Rahmen: Welche Richtung und was soll gelernt werden, welches Lernen und welche Lernergebnisse werden belohnt, welche Regeln sind dabei zu beachten und welche Ziele werden verfolgt?
- Struktur der lernenden Organisation: Die Selbstbeschreibung, die Identität, Ziele und Strategien, Prozesse, Kommunikationsstrukturen und operative Handlungen. Diese Entwicklungen verändern die Organisation und darüber hinaus auch die Individuen, die beteiligt sind.
Im Gegensatz zu den gängigen Modellen der Lernenden Organisation ist das Ziel dabei bewusst offen gehalten und kann sich im Zeitablauf immer wieder verändern. Damit die Beiträge der Mitarbeiter zur Lernenden Organisation gefördert werden, sind neue Lernformen erforderlich, die Selbstreflexion, Wertschätzung, der Aufbau von Spirit und eine positiven Fehlerkultur fördern. Diese Anforderungen können in kompetenzorientierten Blended Learning Arrangements sehr gut erfüllt werden, weil diese auf Selbstorganisation und Lernen in Netzwerken basieren.
Die Führungskräfte müssen lernen, mit der „Unlenkbarkeit“ dieses Systemes umzugehen, sie müssen akzeptieren, dass Einzelne Macht an die Organisation abgeben müssen und dass sich die Definition von Kompetenz verändert. Die Lernziele verschieben sich von von Tools und fachlichen Inhalte zu kombinatorischem Wissen, Netzwerkwissen und Relevanzwissen und letztendlich zu Kompetenzen.
Senge sagt, dass ein großer Lehrer ein Mensch ist, der andere dazu befähigt, zu lernen Raum für das Lernen schaft und andere einlädt, diesen Raum zu betreten. Um ein echter Lehrer werden zu können, muss man zunächst Lernender sein. Deshalb starten wir die Entwicklung und Einführung innovativer Lernsysteme im Regelfall mit einer projektorientierten Kompetenzentwicklungsmaßnahme für die Bildungsplaner und Trainer. Erst wenn diese solche Lernsyysteme als Lerner selbst erlebt haben, sind sie in der Lage, entsprechende Lernräume zu gestalten und weiter zu entwickeln.
Peter M. Senge (11. Auflage 2011): Die fünfte Disziplin – Kunst und Praxis der lernenden Organisation, Stuttgart
Sonja Radatz (2011): Wie Organisationen das Lernen lernen. Entwurf eines epistemologischen Theoriemodells „organisationalen“ Lernens aus relationaler Sicht. Schneider Verlag Hohengehren, Baltmannsweiler