Mit Spannung habe ich die neue Auflage der „Mediendidaktik“ von Michael Kerres in die Hand genommen, weil ich sein Standardwerk in der 3. Auflage sehr schätzen gelernt habe. Leider hat sich meine Erwartungshaltung, von ihm eine Darstellungen und kritische Würdigung der aktuellsten Entwicklung im Bereich innovativer Lernformen zu erfahren, nicht wirklich erfüllt. Meine Eindrücke habe ich in folgender Rezension zusammen gefasst.
Thema
Das Lernen mit digitalen Medien hat heute vielfältige Ausprägungen, z.B. als E-Learning, Blended Learning oder Social Learning. Die Entwicklung geht dabei immer mehr dazu, lernförderliche Umwelten zu schaffen. Deshalb will Kerres in der 3. Auflage seines Standardwerkes seine gestaltungsorientierte Mediendidaktik weiter entwickeln. Das Ziel ist, neue Wege eines anderen und besseren Lernens zu ermöglichen, indem die Lernangebote die vielfältigen Möglichkeiten nutzen, um nachhaltig Lernerfolg zu erzielen.
Das Werk ist als Lehrbuch konzipiert, das in die Grundlagen der Mediendidaktik einführt. Es soll in Lehrveranstaltungen pädagogischer und informatischer Studiengänge, in der Weiterbildung und im Selbststudium genutzt werden. Das Buch wendet sich an Lehrpersonen, aber auch an Personen, die Lernmedien und E-Learning-Produkte in Verlagen und Softwareunternehmen, in Bildungseinrichtungen und –abteilungen konzipieren, entwickeln und einführen.
Die „Mediendidaktik“ in der 4. Auflage erhebt den Anspruch, den aktuellen Stand der Forschung zum Lernen mit Medien darzustellen und zu beschreiben.
Autor
Michael Kerres ist seit 2001 Professor für Mediendidaktik und Wissensmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Er leitet das „Learning Lab“ und die Masterprogramme „Educational Media“ und „Educational Leadership“. Davor war er an der Ruhr-Universität in Bochum als Professor für Pädagogische Psychologie tätig. An der Hochschule Furtwangen (Schwarzwald) war er von 1990 bis 1998 als Professor für Mediendidaktik und Medienpsychologie beschäftigt, wo er die „tele-akademie“ als zentrale Einrichtung für wissenschaftliche Weiterbildung aufbaute. Seine Forschungsschwerpunkte sind Lerninnovation und Kompetenzentwicklung in Hochschulen, Didaktisches Design von IT-basierten Lern- und Spielwelten und soziales Lernen im Internet.
Entstehungshintergrund
Das Werk ist die komplett überarbeitete 4. Neuauflage des Titels, der bis zur 2. Auflage „Multimediale und telemediale Lernumgebungen. Konzeption und Entwicklung“ betitelt war, und seit der 3. Auflage den Titel „Mediendidaktik“ trägt. Kerres führt in dem Werk die früheren Überlegungen und Erkenntnisse aus der Arbeit im Learning Lab der Universität Duisburg-Essen zusammen. Dort werden mit Partnern aus Schule, Hochschule und Wirtschaft innovative Lösungen für das Lernen von Morgen konzipiert, entwickelt und evaluiert.
Die neue Auflage enthält einige wenige Aktualisierungen und Korrekturen. Es wurden ein paar Beispiele und Abbildungen hinzugefügt. Hinzugekommen ist die Möglichkeit, entlang der Kapitel 8 bis 15 mit Hilfe eines Online-Angebotes http://lehrbuch.mediendidaktik.de ein mediendidaktischs Konzept zu erstellen und auszuwerten.
Aufbau und Inhalt
Die Struktur des Werkes wurde unverändert aus der 3. Auflage übernommen. Kerres entwickelt zunächst die Grundlagen der Mediendidaktik, danach erläutert er das Vorgehen bei der Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. Dabei liegt der Fokus primär auf der Hochschulbildung. Abgerundet wird das Werk durch einen Leitfaden, der Analyse- und Entscheidungsschritte zur systematischen Ableitung einer mediendidaktischen, formellen Konzeption auf Basis der Parameter des didaktischen Feldes vorgibt. (vgl. meine Rezension zur 3. Auflage).
In der 4. Auflage wurde ein eigener Abschnitt zu Distance Education und Open Learning eingefügt. Der Autor stellt dort die aktuelle Diskussion dieser offenen Lernangebote vor und erläutert den Begriff des Open Access, den freien Zugriff auf Inhalte von wissenschaftlichen Publikationen.
Neu hinzugekommen ist der Abschnitt Computerunterstützung für das didaktische Design, in dem Kerres die Möglichkeiten und Grenzen der aktuellen Computersysteme im Rahmen der didaktischen Planung erörtert. Im Abschnitt des spielerischen Lernens diskutiert der Autor nunmehr die Möglichkeiten, mit Game Based Learning und Gamification, dem Einbau von Spielelementen in eine Lernanwendung, Motivation der Lerner zu erzeugen. Neu ist dabei die Erörterung der Frage, wie das Lernen zeitlich getaktet werden kann und ob eine feste Taktung oder ein freier Modulabruf günstiger ist
Das bisherige Kapitel „Kooperative Methoden“ lautet nunmehr „Kooperation und Kollaboration“, so dass die Erwartung geweckt wird, Möglichkeiten des kollaborativen Lernens mit neuen Medien vermittelt und diskutiert zu bekommen. Um so mehr überrascht es, dass dieser Abschnitt bis auf marginale Umstellungen nahezu unverändert aus der 3. Auflage übernommen wurde. So werden wieder sehr ausführliche kooperative Lernformen im Rahmen formeller Lernszenarien erklärt. Über den Unterschied zwischen kooperativem und kollaborativem Lernen oder gar die Merkmale, Gründe und Hindernisse sowie die Gestaltung kollaborativer Lernszenarien erfährt man leider überhaupt nichts. Dabei nimmt die Bedeutung dieser Lernform enorm zu.
Nachdem in den vergangenen zwei Jahren verschiedene Formen von MOOC – Massive Open Online Courses – von einer Vielzahl von Hochschulen weltweit mit teilweise sehr großem Erfolg angeboten worden sind und zwischenzeitlich Elemente dieser Lernrahmen auch in der betrieblichen Bildung integriert werden, erstaunt es bei einer Neuauflage 2013 doch sehr, dass diese Begriff nur in einem Satz erklärt wird und ansonsten nur einmal in einem Halbsatz erwähnt wurde. Ich bin der Meinung, eine ausführliche Darstellung und kritische Würdigung dieses Ansatzes hätte in dieses Werk gehört. Auch sucht man Ansätze wie Learning Analytics oder Workplace Learning vergebens.
Ergänzt wird das Buch durch einen online-basierten Didaktikcheck ( http://didaktikcheck.de). Mit diesem Angebot kann man ein didaktisches Konzept erstellen und auswerten. DidaktikCheck prüft, ob ein Konzept plausibel ist und weist auf mögliche Schwächen hin. DidaktikCheck basiert auf einem Ratgebersystem, in dem zentrale Aussagen des Lehrbuches Mediendidaktik hinterlegt sind. Für die Entwicklung eines formellen Lernangebotes ist dieser zusätzliche Service hilfreich.
Fazit
Wie bereits in meiner Rezension zur 3. Auflage dargestellt, ist die „Mediendidaktik“ von Kerres ist mit ihrer fundierten und umsetzungsorientierten Darstellung das deutschsprachige Standardwerk zu diesem Themenbereich. Der Autor stellt die Zusammenhänge in einer sehr gut verständlichen und ausgewogenen Form, wenn auch manchmal sehr stark auf studentische Leser fokussiert, dar und vermittelt ein breites Bild des aktuellen Standes. Die Erweiterungen und Aktualisierungen in der 4. Auflage bewegen sich jedoch in einem sehr bescheidenen Rahmen, so dass gegenüber der 3. Auflage kaum ein nennenswerter zusätzlicher Erkenntnisgewinn möglich ist.
Für Leser aus dem Bereich der betrieblichen Bildung ist das Werk nur noch dann wirklich empfehlenswert, wenn sie Lösungen für formelle, mediengestützte Lernprozesse suchen. Leider ignoriert Kerres in seinem Werk die aktuellen Entwicklungen im betrieblichen Lernen zur Integration von Arbeiten und Lernen (Collaborative Learning, Workplace Learning), aber auch zu Übernahme von Elementen der MOOC vollständig. Unverständlich bleibt auch, dass er die aktuelle und intensive Diskussion um MOOC und deren verschiedenen Ausprägungen hier nicht aufgreift, obwohl diese häufig zu den wichtigsten Innovationen der vergangenen Zeit gezählt werden (vgl. u.a. Horizon Report 2013).