Die Open Educational-Resources-Bewegung entstand 2001 durch die Open Course Ware-Initiative des MIT und 2002 auf Anstoß der OECD. Mittlerweile werden auch in Deutschland eine Vielzahl von offenen Lernangeboten zur Verfügung gestellt (vgl. dazu beispielhaft „Open Course Workplace Learning 2011“ –http://ocwl11.wissensdialoge.de/ oder Open Course 2012 – http://opco12.de/).
Beim offenen Onlinelernen greifen einzelne Personen auf frei verfügbare Lernressourcen im Netz zurück. Die Lerner können mit oftmals mehreren hundert Lernpartnern gemeinsam über die ganze Welt verteilt lernen und kommunizieren. Diese Open Educational Resources (OER) sind digitalisierte Lehr- und Lernmaterialien, die im Internet zur freien Verfügung stehen. Die Lerner sind frei, Ziele und Inhalte sowie Wissensquellen selbst zu bestimmen und ihre Lernprozesse zu organisieren. Damit ist offenes Onlinelernen eine Ausprägung des Learning on Demand. Es gibt keine Prüfungen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass sich die Lernergebnisse im persönlichen Nutzen der Lerner niederschlagen.
Ein MOOC (Massive Open Online Course) steht jedem Interessenten ohne Kosten offen. Der Begriff „massive“ bezieht sich hierbei auf die angestrebte, aber nicht immer erreichte, große Zahle der Teilnehmer. Die Teilnehmer können in diesem Rahmen OER beispielsweise in Form von Kursen, Textdateien, Bildern, Audios, Videos oder Simulationen, aber auch als Lerninfrastruktur oder Rahmenordnung nutzen. Das Konzept sieht regelmäßige Input-Phasen, die zur Diskussion anregen, sowie Elemente zur Vertiefung und Weiterbearbeitung der Inhalte im Netz vor. Die Lerner organisieren sich selbst online und legen gemeinsam die Ziele und wechselnde Themen, aber auch die Tiefe ihrer Bearbeitung fest. Das primäre Ziel ist nicht, das Wissen einzelner Lerner, sondern das Wissen des Netzwerkes zu entwickeln. Damit baut diese Lösung auf dem Ansatz des Konnektivismus auf.
Diese Lernangebote entstanden überwiegend im universitären Bereich. Ich bin jedoch fest davon überzeugt, dass MOOC bereits Elemente einer Lernlandschaft beinhalten, die in der Zukunft auch die betrieblichen Lernsysteme kennzeichnen werden. Es stellt sich damit die Frage, welche Merkmale von MOOC betriebliche Lernkonzeptionen voranbringen können.
MOOC im betrieblichen Kontext werden durch Lernbegleiter („Facilitator“) organisiert, die zu bestimmten Problembereichen eine Agenda vorschlagen, Verknüpfungen zu internen und externen Wissensquellen organisieren, in Präsenz oder virtuell Veranstaltungen mit Experten planen und Transferaufgaben oder Projekte initiieren, um kompetenzorientierte Lernprozesse zu ermöglichen. Sie begleiten die Lernprozesse indem sie den Lernern Orientierung geben, sie bei der Strukturierung und Organisation ihrer individuellen Lernprozesse unterstützen, Lerntagebücher anregen und das Lernen im Netz ermöglichen. Sie reduzieren die Komplexität der internen und externen Wissensangebote und empfehlen Systeme, Tools und Zugänge zur individuellen Nutzung durch die Lerner.
Damit wandelt sich die Rolle des E-Tutors zum E-Mentor oder Community-Manager, der Erfahrungswissen und Eindrücke meist online an einen Lerner mit dem Ziel weitergibt, ihn in seiner persönlichen oder beruflichen Kompetenz innerhalb oder außerhalb des Unternehmens zu fördern. Die Verantwortung für die Lernprozesse geht voll auf die Lerner über. Für die Steuerung und Flankierung der Lernprozesse bietet sich das bewährte KOPING-Konzept mit Lernpartnerschaften und Lerngruppen an.
In einem MOOC-Lernarrangement werden die Lernprozesse durch folgende Aktivitäten geprägt (vgl. Robes, J., 2012):
- Orientieren (Aggregate): Der Lerner verschafft sich einen Überblick und wählt aus möglichst vielen, digitalen Wegen (z.B. soziale Netzwerke, Blogposts, Wissens-Datenbanken) aus, was für seine individuellen Lernprozesse relevant ist.
- Ordnen (Remix): Er sortiert die Informationen und das dokumentierte Erfahrungswissen in Hinblick auf seine individuelle Problemstellung; er sucht nach Anknüpfungspunkten und Verbindungen zu individuellen Lösungen.
- Beitragen (Repurpose): Der Lerner entwickelt einen eigenen Beitrag mit Lösungsvorschlägen oder Ideen sowie Kommentare zu den Lernthemen bzw. Beiträgen der Lernpartner im Netzwerk.
- Teilen (Feed Forward): Er teilt seine Beiträge mit anderen Lerner und entwickelt sie mit ihnen zu einem gemeinsamen Wissenspool weiter.
Wir können davon ausgehen, dass die Computer in wenigen Jahren in der Lage sind, mit Hilfe semantischer Systeme die ersten beiden Aktivitätsphasen des Orientierens und des Ordnens zu übernehmen und gezielte Vorschläge für den Lerner zu unterbreiten, so dass sich dieser auf die Aktivitäten des Beitragens und des Teilens konzentrieren kann. Der „Lernpartner Computer“ wird zukünftig das unternehmensinterne Erfahrungswissen sowie das weltweit vorhandene Wissen in Hinblick auf die individuellen Bedürfnisse des jeweiligen Lerners filtern, Vorschläge für entsprechende Lernprozesse entwickeln, diese nach Vorgabe des Lerners organisieren und das persönliche Netzwerk aus Lernpartnern und Experten sowie der notwendigen Ressourcen aktivieren. Es entstehen Netzwerke, die sich laufend optimieren und erweitern. Eine zentrale Rolle spielen hierbei Reflexionen über das Lernszenario,
MOOC werden dabei durch folgende Grundprinzipien geprägt, die dem Kompetenzlernen ähneln . MOOC im betrieblichen Kontext sind
- offen für alle Mitarbeiter und Führungskräfte, evtl. auch Stakeholders, d.h. setzen selbstorganisiertes und problemorientiertes Lernen voraus,
- bauen auf der dezentralen Infrastruktur des Intranets und Internets auf,
- vernetzen die Lerner mit Hilfe von Communities of Practice, Social Media, Social Networks oder RSS,
- bieten aber auch geschlossene Räume, um Lernprozesse im vertraulichen Rahmen zu ermöglichen,
- bieten die persönliche Lerndokumentation im Rahmen von E-Portfolios,
- fordern die aktive Mitwirkung aller Lerner.
MOOC entsprechen damit dem Ansatz der „Ermöglichungsdidaktik“, die wiederum die Voraussetzung des Kompetenzlernen bildet. Die Lerner werden entlastet, weil sie ihre Netzwerkkompetenzen laufend weiter entwickeln und in diesem Lernrahmen gezielt Wissen zur Lösung ihrer Praxisprobleme entwickeln können. Dabei bauen sie auf dem Erfahrungswissen und den Lösungsansätzen auf, die bereits im Vorfeld entwickelt worden sind („Wissensmanagement bottom-up“).
Der langfristige Erfolg der Open-Educational-Resources-Bewegung wird in hohem Maße davon abhängen, ob es gelingt, die Qualität der Inhalte zu sichern, vor allem dann, wenn die Lernmaterialien in einem OER-Projekt frei editierbar sind. Deshalb sind interne Qualitätssicherungsprozesse, Peer-Review-Modelle oder Nutzerbewertungen notwendig, die sicherstellen, dass die Lerner Vertrauen in die Qualität der Inhalte erlangen. Hinzu kommt die Erfordernis, die Inhalte in eine didaktische Lernkonzeption einzubetten, die Kompetenzlernen ermöglicht. Ich sehe gute Chancen, diese Voraussetzungen gerade in einem betrieblichen Kontext, eher noch als im Hochschulbereich, zu schaffen.
Es wird deutlich, dass MOOC einen Kulturwechsel im Sinne des Teilen von Lehr- und Lernressourcen erfordern. Das betriebliche Lernen wird sich in diesem Lernrahmen in radikaler Weise verändern, es entstehen neue Strukturen und Handlungsweisen. Die „Vier-Schritte-Pädagogik“, nämlich „durchgenommen“, auswendig gelernt“, abgefragt“ und „vergessen“, die leider immer noch auch in der betrieblichen Bildung durch viele zentral vorgegebene Curricula, z.B. des DIHK, zementiert wird, passt nicht mehr in diesen Rahmen.
Es lohnt sich trotzdem, mit diesen innovativen Lernansätzen zu experimentieren, da kooperatives und kollaboratives Lernen „massiv“ gefördert wird und damit die Chance besteht, die Wertschöpfung in den Unternehmen zu steigern.
Ihr
Werner Sauter
Bergamin, P., Filk, c. (2012): Open Educational Resources (OER) – ein didaktischer Kulturwechsel?, http://www.ifel.ch/de/publikationen/OER-Bergamin_Filk.pdf
Deimann, M. (2012): Open Education: Offene Bildung und offenes Lernen – mehr als nur eine Alternative für E-Learning, in Hohenstein, a./Wilbers, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning, Köln 2012, Beitrag 7.21
Robes, J. (2012): Massive Open Online Courses: Das Potenzial des offenen und vernetzten Lernens, in Hohenstein, a./Wilbers, K. (Hrsg.): Handbuch E-Learning, Köln 2012, Beitrag 7.22