Ohne Gefühl geht gar nichts.

Gefühle spielen eine besondere Rolle beim raschen Reagieren, also beim „Handeln unter Druck“.

Diethelm Wahl [1]

Die Swiss eLearning Conference 2014 stand unter dem Motto „Emotions in Learning“. Dieser relativ selten thematisierte Aspekt des Lernens wird vor allem in Hinblick auf den Ansatz der Kompetenzentwicklung immer wichtiger. Deshalb will ich mir ein paar Gedanken zu Emotionen und Lernen machen.

Während das 20. Jahrhundert auf die einleuchtend-verrückte Idee von der Wertfreiheit der Wissenschaft kam, scheint heute der Handlungsgrund immer mehr einbezogen. Die Weltanschauung von der Wissensgesellschaft weicht zunehmend einer Anschauung von der Welt als Kompetenzgesellschaft, wie es Jürgen Mittelstraß vielfach hervorhob. Die Aneignung von Regeln, Normen und Werten in Form von eigenen Emotionen und Motivationen, die Wertinteriorisation, wird dabei zukünftig immer wichtiger.

Emotionen stellen einfach strukturierte Gefühle dar, die Umweltereignisse und Objekte, also Erfahrungen und Wahrnehmungen des Menschen erst einmal in einer ganz bestimmten Art bewerten; sie geben den Dingen um uns herum sozusagen ihre Bedeutung für uns und unsere innere Bedürfnislage”.[2] Gegenüber den Begriffen Gefühl, d.h. Betonung der der subjektiven Wahrnehmung, Affekt mit dem Beiklang des Heftigen oder Unkontrollierbaren und Stimmung oder Gemütsbewegung hat der Begriff der Emotion den Vorteil, dass er zur umfassenden Beschreibung emotionaler Prozesse benutzt werden kann.“ [3]

Schwierig wird diese Betrachtung, weil Emotionen auf eine ganze Reihe von psychischen Zuständen und Prozessen einwirken, diese umgekehrt aber die Emotionen selbst beeinflussen oder verändern. Emotionen bewerten Zustände und Ereignisse, sie erzeugen Handlungsbereitschaft, positiv bewertete Zustände und Ereignisse herbeizuführen, sie werden vom Handelnden erlebt, zuweilen mit heftigen körperlichen Begleiterscheinungen.[4] Emotionen münden in aller Regel in umfassendere Motivationen. Insofern erfordert Handeln emotional-motivale Voraussetzungen, die nicht zu trennen sind.

Die entscheidende, für die Kompetenzaneignung zentrale Frage ist: Wie werden Regeln, Werte und Normen für uns zu etwas Eigenem, Handlungsleitenden, zu eigenen Emotionen und Motivationen? Es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als die Drehscheibe jeder Kompetenzentwicklung, auch und vor allem der Kompetenzentwicklung im Netz. Kompetenzentwicklung erfordert Lernprozesse, in denen Werte – die Resultate von Wertungsprozessen – via Entscheidungssituation, kognitive Dissonanz und emotionale Labilisierung zu eigenen Emotionen und Motivationen umgewandelt und angeeignet werden. Das Ziel ist, diese Werte zu interiorisieren. Dies bedeutet, dass Denk- und Handlungsweisen der Lerner langfristig verändert werden.

Handeln wird nicht nur durch Kognitionen, sondern auch durch Emotionen bestimmt. Diese sind wiederum eine wesentliche Voraussetzung der Labilisierungsprozesse. Damit diese Prozesse zustande kommen, sind vielfältige Wechselprozesse zwischen Kognitionen und Emotionen erforderlich. Deshalb ist es für Kompetenzentwicklungsprozesse notwendig, kognitive und emotionale Strukturen und Prozesse aktiv und nachhaltig zu verändern.

Durch Konflikte werden vorhandene Emotionen und Motivationen aktiviert oder entstehen neu. Emotionen und Motivationen sind Wertungen des konkreten Individuums – unabhängig davon, ob sie in Sprachform (als inneres Sprechen oder als Äußerung) umgesetzt sind oder nicht. Emotionen und Motivationen können gespeichert werden.

Besonders interessant finde ich in diesem Kontext die Präsentation von Nicole Becker „Neu(ro)modisch lernen? Fakten und Mythen über die Neurobiologie des Lernens“, die sie auf der Swiss eLearning Conference 2014 gehalten hat. Immer wieder erklären Hirnforscher in häufig populärwissenschaftlichen Werken, wie neurobiologische Erkenntnisse angeblich dazu beitragen, Lernprozesse zu verstehen.[5] Leider kann man aus dieser „Neurodidaktik“ keine wirksamen Lern- und Lehrstrategien ableiten.[6]. Die bisher vorliegenden Befunde der neurophysiologischen Lernforschung sind nur selten eindeutig interpretierbar.

Lernen ist im Endeffekt eine Entwicklung der Handlungsweisen der Menschen und damit kein Vorgang, der auf das Gehirn beschränkt ist. Nicht das Gehirn lernt, sondern der Mensch. Das Gehirn ist also nur ein, wenn auch entscheidendes, Teilsystem, das um weitere Faktoren, z.B. das Vorwissen und die Erfahrungen, erweitert werden muss, um Lernen zu verstehen. Es ist deshalb kurzfristig nicht zu erwarten, dass Lernen mit Hilfe der Gehirnforschung optimiert werden kann. Realistisch können wir gerade mal davon ausgehen, dass wir zukünftig typische Hirnfunktionen besser verstehen können.[7]

Wir haben den Eindruck, dass die Neurowissenschaft uns heute noch sehr wenig darüber sagen kann, wie das Gehirn Wahrnehmungen und Informationen verarbeitet, wie Emotionen und Denkprozesse entstehen und wie Erfahrungen interiorisiert werden, d.h. wie Kompetenzlernen tatsächlich stattfindet. Aber genau dies sind die spannenden Fragen für die Kompetenzentwicklung in der Zukunft.

Jedes Gehirn ist einzigartig. Dies gilt auch für das Lernen. Wir müssen uns deswegen bei der Erklärung von Lernvorgängen vor allem auf Erkenntnisse der Pädagogik und der Entwicklungspsychologie konzentrieren.

Deshalb haben John Erpenbeck und ich in unserem gemeinsamen Buch als letztes, erstes Gebot für die Gestaltung von Lernarrangements formuliert:

Ohne Gefühl geht gar nichts!

 

[1] Wahl, D. (3. erw. Aufl. 2013), S. 216

[2] Rost, W.(1990), S.42

[3] nach Merten, J. (2003), S. 12

[4] Oatley, K., Jenkins, K. M. (1996)

[5] vgl. u.a. Spitzer, M. (2012) oder Hüther, G. (2006)

[6] Becker, N. (2014)

[7] ebenda S. 126

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