Nachdem es die Hattie-Studie[1] zur Frage, was guten Unterricht ausmacht, sogar bis in die Zeit [2] schaffte , hat mich die Frage interessiert, was wir daraus für die betriebliche Bildung als Erkenntnis ableiten können. Der neuseeländische Bildungsforscher Hattie in einer immensen Fleißarbeit über 15 Jahre hinweg 800 Metaanalysen, die wiederum 50.000 Einzelstudien zusammenfassen, untersucht. An dieser umfangreichsten Darstellung der weltweiten Unterrichtsforschung haben insgesamt 250 Millionen Schüler teilgenommen. Diese Ergebnisse werden vor allem im schulischen Bereich intensiv diskutiert.
Hattie ermittelte ein Ranking von Unterrichtsfaktoren, die den Unterrichtserfolg beeinflussen. Dabei kam er beispielhaft zu folgenden Ergebnissen:
- Was schadet: Sitzenbleiben (!)
- Was nicht schadet, aber auch nicht hilft: Offener Unterricht, webbasiertes Lehren und Lernen
- Was nur wenig hilft: Geringe Klassengrößen oder entdeckendes Lernen
- Was mehr hilft: Regelmäßige Leistungsangebote oder lehrergeleiteter Unterricht
- Was richtig hilft: Regelmäßiges Feedback, problemlösender Unterricht sowie Zuwendung, Empathie, Ermutigung, Respekt, Engagement und Leistungserwartungen und soziales Miteinander
Bewertet man die Aussagefähigkeit dieser zumindest quantitativ beeindruckenden Studie, sind folgende einschränkenden Faktoren zu beachten:
- Die Analysen beziehen sich ausschließlich auf das angelsächsische Bildungssystem, insbesondere auf den Schulbereich,
- die meisten Untersuchungen, die mit einbezogen wurden, stammen aus den Achtziger- und Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts, so dass wichtige Veränderungen, z.B. im Bereich der neuen Medien ( Blended Learning, Social Learning…), nicht berücksichtigt werden und z.B. das oben kritisch bewertete webbasierte Lehren und Lernen sicherlich nicht mit den heutigen Ansätzen des Blended Learning und Social Learning vergleichbar ist,
- die Zielsetzung, Methodik und empirische Qualität der einbezogenen Studien ist naturgemäß sehr unterschiedlich,
- Querverbindungen zwischen den einzelnen Faktoren bleiben unberücksichtigt.
Ich bin mir der Gefahr sehr wohl bewusst, dass man sich aus solchen Untersuchungen gerne das herauspickt, das mit den eigenen Vorstellungen am stärksten korreliert. Trotzdem versuche ich, einige Erkenntnisse für unsere Arbeit in der betrieblichen Bildung daraus zu ziehen:
- Es kommt vor allem auf den Lehrer an, der nicht nur als Lernbegleiter und Lernarchitekt („facilitator“), sondern vor allem als Regisseur von Lernarrangements agiert.
- Frontalunterricht funktioniert, aber nur wenn der Lehrer wenig redet, also Lernprozesse der Lerner durch seine Inputs ermöglicht.
- Die Struktur der Lehr- und Lernprozesse, d.h. eine klare Zielsetzung und eine stringente Lernsteuerung, immer aus der Perspektive der Lerner, machen den Lernerfolg aus.
- Regelmäßiges Feedback für die Lerner, aber auch die Lehrer, ermöglicht eine dynamische und damit bedarfsgerechte Gestaltung der Lehr- und Lernprozesse.
- Den größten Effekt weisen systematische Selbsteinschätzungen der Lerner auf, wie wir sie u.a. im Rahmen der Kompetenzmessungen nutzen.
- Entscheidend ist nach Hattie aber die emotionale Seite des Lernens.
Diese Erkenntnisse bestärken mich in der Überzeugung, dass der Ansatz der Ermöglichungsdidaktik nach Arnold, Lernarrangements mit klarer Zielsetzung und verbindlicher Steuerung, regelmäßige Rückmeldung der Lernerfolge (von Tests bis zu Kompetenzmessungen und Evaluationen), aber insbesondere der emotionale Aspekt des Lernens entscheidend für den Lernerfolg sind.
Dies korrespondiert mit unserem Eindruck, dass die Weltanschauung von der Wissensgesellschaft zunehmend einer Anschauung von der Welt als Kompetenzgesellschaft, wie es Jürgen Mittelstraß vielfach hervorhob, weicht. Damit kommen Regeln, Normen, Werte und die Prozesse ihrer Aneignung und Wirkungsweise wieder voll ins Spiel. Die Aneignung von Regeln, Normen und Werten in Form von eigenen Emotionen und Motivationen, die Wertinteriorisation, wird zukünftig immer wichtiger. Das haben wir immer wieder hervorgehoben. Analysieren Sie als Eltern, Erzieher, Lehrer, Weiterbildner, Coaches, Mentoren, Trainer, Tutoren ihr Tun. Und finden Sie den Punkt emotionaler Begeisterung, Beunruhigung, Irritation, kurz: Labilisierung, heraus, der Kompetenzentwicklung ermöglicht, wenn auch nie garantiert.
So endet unser in wenigen Wochen erscheinende, neue Buch zur Zukunft des Lernens von John Erpenbeck und mir mit dem Satz:
Ohne Gefühl geht gar nichts!
[1] Hattie, John A.C. (2009): Visible Learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement, London, New York; vgl. dazu auch Steffens, U., Hofer, D. (2011): Zentrale Befunde aus der Schul- und Unterrichtsforschung – ein Bilanz aus 50.000 Studien, abgerufen unter: http://qualitaetsentwicklung.lsa.hessen.de/irj/IQ_Internet?rid=HKM_15/IQ_Internet/nav/fe1/fe1774aa-6cc3-31f0-12f3-1e2389e48185,df850632-d228-1431-79cd-aae2389e4818,,,11111111-2222-3333-4444-100000005003%26overview=true.htm&uid=fe1774aa-6cc3-31f0-12f3-1e2389e48185
[2] Die Zeit 2/2013 ‚S. 55 f.