Unsere Konzeption des Social Blended Learning, die sich seit nunmehr zwei Jahrzehnten in vielfältigen Herausforderungen bewährt hat, basiert vor allem auf vier Impulsgebern:
- Mein Freund Prof. John Erpenbeck, der mich seit etwa fünfzehn Jahren in die tiefe Welt der Werte- und Kompetenzentwicklung geführt hat und führt,
- mein Doktorvater Prof. Diethelm Wahl, bei dem ich gelernt habe, wie träges Wissen zu kompetenten Handeln wird,
- Prof. Rolf Arnold, von dem wir den Ansatz der Ermöglichungsdidaktik übernehmen konnten, und
- Prof. Dr. Rolf Th. Stiefel, von dem ich die ersten Impulse für meinen Weg zum Personalentwicklungs-Unternehmer erhalten habe.
Mit Sicherheit haben mich noch viele weitere Experten beeinflusst. Deshalb bitte ich um Nachsicht, wenn ich hier nicht alle aufführe. Erstaunlich ist, dass alle vier genannten Impulsgeber teilweise aus völlig unterschiedlichen Bereichen zum Thema betrieblichen Lernen kamen, trotzdem aber Erkenntnisse entwickelten, die sich völlig decken:
- Dr. John Erpenbeck definierte Kompetenzen als die Fähigkeit, Herausforderungen in der Praxis selbstorganisiert zu bewältigen und Werte als die Kerne von Kompetenzen, die als Ordner selbstorganisierten Handeln dienen. Er machte deutlich, dass Werte und Kompetenzen vor allem In der Praxis und mit Coaching entwickelt werden können.
- Dr. Diethelm Wahl hat heraus gearbeitet, dass in Bezug auf die Begriffe „Lehren“ und Lernen „Bescheidenheit“ am Platz ist. Statt von Instruieren, Unterrichten oder Lehren sollte besser von der Entwicklung bzw. Gestaltung von Lernumgebungen gesprochen werden Lernen muss nämlich jede Person selbst.
- Dr. Dr. h.c. Arnold machte deutlich, dass Belehren und Disziplinieren durch ein selbstorganisiertes Lernen innerhalb eines Ermöglichungsraumes abgelöst werden muss, das nachhaltiger und fruchtbarer ist.
- Rolf Th. Stiefel hat über vier Jahrzehnte dafür gekämpft, dass die Personalentwicklung strategieumsetzend wird. Dies erfordert jedoch den Aufbau zukunftsorientierter Kompetenzen.
In seinem Fachbuch Stiefel (2019): „Schneller lernen als die Konkurrenz. Personalentwicklung als Instrument der Strategieumsetzung“ hat er seine Erfahrungen gebündelt, die sich mit den aufgezeigten Ansätzen optimal ergänzen.
Der Begriff der strategieumsetzenden Personalentwicklung ist eine Denkfigur, die aus der Praxis des Autors als Management-Berater heraus entstanden ist und die nach seiner Einschätzung in der akademischen Personalentwicklung nicht beachtet wird. Stiefel sieht die strategieumsetzende Personalentwicklung als ein neues Paradigma, also als radikal neue Sichtweise und Deutungsmuster, die die relevanten Fragestellungen, die akzeptablen Lösungsversuche und Methoden zu ihrer Beantwortung, die Kriterien für die Qualität der Forschung und insbesondere Erklärungsansätze für einzelne Phänomene bestimmen. Dabei grenzt sich die strategieumsetzende Personalentwicklung grundlegend von der herrschenden Weiterbildungswelt in den Organisationen ab, weil nunmehr die einzelnen Mitarbeiter mit ihren einzigartigen Prägungen die dominante Rolle spielen.
Ausgangspunkt ist die Erfahrung von Rolf Th. Stiefel, dass der Zusammenhang zwischen Strategie, Unternehmenskultur und Ausbildung noch zu wenig erkannt wird. Während sich die Unternehmensstrategie am Ausbau der Stärken orientiert, richtet sich die klassische Weiterbildung am Ziel der Reduzierung der „Defizite“ der Mitarbeiter aus. Mitarbeiterentwicklung erfolgt deshalb häufig im luftleeren Raum, konzipiert nach den Vorstellungen von Fachspezialisten. Sie projizieren ihr Wissen und ihre Wünsche in die Bildungskataloge. Stiefel verweist auf den Business-Bestseller von Peters und Watermann (1982), die die Bedeutung der Unternehmenskultur und die Ausprägung der Werte der Führungskräfte und Mitarbeiter als einzigartigen, schwer imitierbaren Wettbewerbsvorteil betonten. Diese können mit den tradierten Weiterbildungsmethoden nicht entwickelt werden.
Damit stellt sich die Frage, welche Art von Lernen die Unternehmen benötigen, um ihre Strategie umzusetzen und rascher als die Konkurrenz zu lernen.
Diese Neuauflage fällt in eine Zeit der zunehmenden Bedeutungslosigkeit des HR- oder Personal-Ressorts. Die meisten Personalentwicklungs-Abteilungen verfügen nicht über das erforderliche Standing und beschränken sich auf Angebote an Entwicklungsmöglichkeiten, ohne Bezug zur Strategie. Von dieser Entwicklungsstufe aus ist es aber noch ein weiter Weg bis zur vollen Integration der Personalentwicklung in unternehmenspolitische Entscheidungen.
Diese essentielle Neuausrichtung erfordert auch eine neue Begrifflichkeit, damit dieser Bereich nicht immer wieder vom Schatten der Vergangenheit eingeholt wird. Personalentwicklung ist zukünftig unter investitions-theoretischen Überlegungen zu gestalten: Wo muss im Unternehmen in die Entwicklung von Mitarbeitern investiert werden, um dauerhafte Wettbewerbsvorteile gegenüber Mitkonkurrenten im Markt zu erzielen? Es muss deshalb nicht mehr jede Unvollkommenheit beseitigt werden. Damit rücken Modebedarfe wie Rhetorik oder Zeitmanagement in den Hintergrund.
Personalentwicklung hat folglich zwei große Zielsetzungen:
- Führungskräfte die Bewältigung aktueller Herausforderungen zu ermöglichen,
- mit den richtigen Führungskräften die Organisation für die Bewältigung zukünftiger Herausforderungen kompetent zu machen.
Daraus leiten sich drei Interventionsebenen ab:
- Führungskräfte als Individuum
- Führungskräfte mit ihrem eigenen Team
- Führungskräfte als Team
Aufbau und Inhalt
Der Autor führt in das Thema mit der Methode einer reflektierten, persönlichen Arbeitsbiographie ein. Nachdem er seinen persönlichen Zugang zu dem Thema beschrieben hat, behandelt er zunächst die grundlegende Frage der strategieumsetzenden Personalentwicklung (PE) als eine Form der strategischen PE-Welle. Aus der Kombination von Zielen und Interventionen entstehen sechs PE-Geschäftsfelder:
- Entwicklung von Mitarbeitern und Führungskräften, die Schlüsselpositionen besetzen,
- Entwicklungsprogramme für Schlüsselabteilungen und Projektteams, die für die Strategieumsetzung besonders wichtig sind,
- Großflächige Veränderungsprogramme mit dem gesamten Management,
- Förderungsprogramme zur personellen Zukunftssicherung über den Aufbau zukunftsorientierter Kompetenzen,
- Weiterentwicklung der organisationalen Lernfähigkeit von Arbeitsgruppen und Abteilungen,
- Systeme zur Förderung von zukünftig erwünschtem Management-Verhalten.
Er betont das Arbeitsprinzip, für jedes PE-Projekt einen Steuerkreis meist oberer Führungskräfte zu schaffen, die gleichzeitig als Sponsor und Promotor wirken, die regelmäßige Diskussion aktueller Entwicklungen in den PE-Projekten mit der Geschäftsführung sowie das organisationsinterne Marketing der PE-Maßnahmen.
Im Kapitel über die Prämissen der strategieumsetzenden PE wird vor allem deutlich, dass die strategieumsetzende Positionierung der PE neue Lernformen und Architekturen des Lernens erfordert und die kollektive Entwicklung aller Mitarbeiter mehr als die Summe der individuellen Entwicklung der Mitarbeiter ist.
Das Ziel ist deshalb ein Zuwachs an individuellen Lernfähigkeiten und eine Lernkulturveränderung in Richtung Lernender Organisation.
Diese Prozesse werden von Geschäftsführung aktiv unterstützt, die PE entwickelt sich zum PE-Unternehmen, das Lerndesigns schafft, deren Wirkkräfte von außen nicht oder nur schwer erkennbar sind.
Im kurzen Kapitel über die Erfolgskonzepte der strategieumsetzenden PE arbeitet der Autor heraus, dass es vor allem auf die Konzentration auf wenige, für das Unternehmen wichtige Projekte ankommt, um sichtbare Ergebnisse zu schaffen. Dabei entsteht Unruhe und Betroffenheit sowie häufig auch Unzufriedenheit im Unternehmen.
Deshalb benötigt der Personalentwickler ein Wertesystem, das es ihm ermöglicht, nach seinen Überzeugungen zu handeln.
Typische Produkte und Serviceleistungen der strategieumsetzenden PE werden im nächsten Abschnitt beschrieben. Am Anfang steht der strategische Bedarfsklärungs-Workshop, um die Frage zu beantworten, wo im Unternehmen Ressourcen investiert werden müssen, um die strategischen Ziele zu erreichen und die wichtigsten Wettbewerber in die Schranken zu verweisen. Dies erfordert einen idealerweise externen Moderator, der als methodischer Informationsbeschaffer, als Steuermann der Prozesse, als Klärer und Hinterfrager sowie als Konfliktlöser und Moderator agiert.
In differenziert besetzten Workshops zur strategischen Aufgabenanalyse werden zunächst Schlüsselpositionen und die Kompetenzanforderungen an deren Inhaber identifiziert. Deren Entwicklung kann im zweiten Schritt u. a. durch frühzeitige Arbeit an komplexen Projekten und einer laufenden Steigerung der Herausforderungen sowie der Bildung von Netzwerken gefördert werden.
Großflächige Veränderungsprojekte können mit einem multiplen Strang-Konzept bearbeitet werden, bei dem geklärt wird, wie man angestrebte Veränderungen erreicht, wie das Projekt und die Ziele kommuniziert werden, wie die Entwicklung überprüft und evtl. angepasst werden kann, wie es den Mitarbeitern ermöglicht wird, sich zu entwickeln und wie das neue Lernen in der Unternehmenskultur verankert wird. Eine besondere Rolle spielt dabei der Ansatz des Korridorthemas, das ausgewählte, strategieorientierte Themen kaskadenförmig von oben nach unten über die gesamte Organisation bearbeitet. Unternehmen, die mit dieser Bearbeitungsmethodik Veränderungsmanagement betreiben, sind nach Stiefel schneller als ihre Mitbewerber im Markt und entwickeln einen hohen Imitationsschutz.
Förderungsmaßnahmen sind Entwicklungsmaßnahmen, die Mitarbeiter auf zukünftige Positionen vorbereiten, auch wenn noch nicht feststeht, wann und in welcher Situation dies genutzt wird.
Dieser Ansatz der strategieumsetzenden Kompetenzerweiterung steht damit im Widerspruch zur gängigen PE, die auf die Bewältigung von Herausforderungen in der gegenwärtigen Arbeitssituation gerichtet ist. Im Fokus der Entwicklung steht primär die Unternehmung.
Der Autor hebt hervor, dass Führungskräfte, die in Management-Instituten oder in einer Business-School ständig General Management Fälle diskutieren und mit kühnen Analysen strategische Optionen vorbereiten, verkennen, dass Führen vor allem Management von Kultur in Unternehmen ist. Wirksame Förderungsprogramme erfordern nach Stiefel deshalb folgende Stränge:
- Development Assessment: Standortbestimmung durch Erstellung eines Kompetenzprofils mit individuellen Kompetenzzielen
- Kognitiver Selbstlernstrang: Das notwendige Wissen wird bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt.
- Organisierter Lern- und Entwicklungsstrang: Eröffnungs-Workshop zur Planung des selbstorganisierten Lernens und zur Entwicklung der Lernkultur
- Projekt-Lernstrang: Tatsächliche Veränderung im eigenen Gestaltungsbereich
- Selbstlernstrang: Strukturierte Reflexion, z. B. mit einem Lerntagebuch
- Evaluierungsstrang: Regelmäßige Auswertungsgespräche
- Beziehungsstrang: Soziales Lernen
All diese Elemente haben wir in unserem Social Blended Learning Konzept integriert.
Über die Leitsätze der strategieorientierten Förderungsarbeit kommt der Autor zur Frage, wie die organisationale Lernfähigkeit von Schlüsselabteilungen gesteigert und verhaltensproduzierende Systeme konzipiert werden können.
Danach entwickelt der Autor eine handlungsleitende Skizze mit Beobachtungen und Empfehlungen aus der Praxis zur Implementierung der strategieumsetzenden PE. Dabei wird deutlich, dass strategische PE-Arbeit den „PE-Unternehmer“ erfordert, die auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung und den Beraterteams agieren. Stiefel entwickelt hierfür das Bild eines CLO – Chief Learning Officer. Die Anforderungen an strategieumsetzende PE-ler werden im nächsten Kapitel ausführlich hergeleitet.
Abschließend behandelt der Autor die Probleme mit der strategieumsetzenden PE, die vor allem darin liegen, dass PE ein vernachlässigtes Fachgebiet ist und einige Leiter-Typen der PE an persönlichen und fachlichen Unzulänglichkeiten scheitern. Im Anschluss daran beantwortet der Autor auf über 100 Seiten Fragen, die ihm aus der PE-Praxis gestellt wurden. Im Anhang findet der Leser Fragenkataloge zur Bewertung der strategieumsetzenden Entwicklungsarbeit sowie zur beruflichen Standortbestimmung.
Fazit
Auch wenn das Fachbuch von Rolf Th. Stiefel auf einem älteren Vorläuferbuch basiert, ist es aktueller denn je. Nach wie vor finden wir in den meisten Unternehmen Lehrkonzepte nach dem Prinzip des Vorratslernen, die sich als völlig ineffizient erwiesen haben. Die Lösungsansätze, die der Autor in seinem neuen Buch vorstellt, sind dadurch geprägt, dass sie aus über vierzig Jahren Beratungserfahrung in vielfältigen Organisationen entstanden sind. Obwohl sich Rolf Th. Stiefel nicht direkt mit digitalen Lernmedien beschäftigt, ist er hochaktuell. Die Veränderungen, die er fordert, leitet er in einer schlüssigen Argumentation ab und unterlegt sie mit sehr anschaulichen Praxisbeispielen. Deshalb ist dieses Fachbuch ein „Muss“ für alle Personalentwickler, aber insbesondere für die Entscheider in den Unternehmen, da betriebliches Lernen konsequent als Element der Strategieumsetzung verstanden wird. Hinzu kommt, dass sich das Buch durch die vielen Praxisbeispiele einfach auch gut liest.
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