Nach Dan Pontefract ist betriebliches Lernen allgegenwärtig (pervasive) und umfasst ein kollaboratives, andauerndes, verknüpftes und community-basiertes Handeln.[1] Damit ist sein Lernmodell des “pervasive learning” eine Alternative zum bekannten “70:20:10″-Modell. Dabei stützen sich die Lernprozesse in etwa gleichem Maße auf formelle, informelle und soziale Aktivitäten.[2]
Social Learning umfasst nach dem üblichen, klassischen Verständnis ein breites Spektrum, vom gezielten Erlernen sozialen Handelns, z.B. in Rollenspielen oder in Praxisanwendungen, bis zu kooperativem Lernen in der Learning Community mit Blogs, Wikis oder in virtuellen Klassenräumen. Gleichzeitig ist „Social Learning aber immer mehr die Basis selbstorganisierter Kompetenzentwicklungs-Prozesse. Damit bekommt dieser Ansatz gegenüber den formellen Lernarrangements einen grundlegend veränderten Charakter.
Nach unserem Verständnis ist Social Learning im betrieblichen Kontext durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
Social Learning (E-Learning 2.0) ist kompetenzorientiertes E-Learning mit Social Software (Social Media), das informelles, selbstorganisiertes und vernetztes Lernen umfasst.[3]
Social Learning wird durch den Trend zum Social Business wesentlich gefördert. Zwischenzeitlich nutzt nach einer Studie der Bitkom etwa knapp die Hälfte der Unternehmen, weitgehend unabhängig von der Größe, Social Media.[4] Gleichzeitig garantiert aber Social Media noch kein Social Learning. Dieses Lernen erfordert die Entwicklung der sozialen Kompetenz aller Mitarbeiter und Führugnskräfte zum sozialen Handeln. Es ist durch kooperative und kollaborative Lernformen, die das gemeinschaftliche Lernen in Gruppen fördern, geprägt und nutzt Medien und Werkzeuge, die kooperative und kollaborative Lernprozesse ermöglichen.
Social Learning kann ein alltäglich, bewusst oder unbewusst ablaufender Prozess sein, oder integrierter Teil eines Lernarrangements. Es hilft Menschen, nach eigenen Bedürfnissen und Interessen Social Media auszuwählen und zu nutzen, um online zusammenzuarbeiten und Informationen zu teilen.[5] Der Zugang zu diesen Medien erfolgt über eine Soziale Lernplattform oder zukünftig immer mehr über eine persönliche Lernumgebung, ein Personal Learning Environment.
Dieses soziale Lernen kann sowohl Inhalt des Lernens als auch Gestaltungselement sein:
- Didaktik (Lernziele und –inhalte): Entwicklung der sozialen Kompetenz zum sozialen Handeln mit Empathie, Respekt und Verantwortung.
- Methodik: Kooperative und kollaborative Lernformen, die das gemeinschaftliche Lernen in Gruppen fördern.
- Lerntechnologie: Soziale Lernplattformen mit Medien und Werkzeugen, die kooperative und kollaborative Lernprozesse ermöglichen.
- Lernorganisation: Lernen im sozialen Kontext, z.B. Peer-to-peer Konzepte.
Nach Etienne Wenger kann Lernen unter vier Aspekten in einen sozialen Kontext eingebunden sein, nämlich soziales Lernen als
- Erfahrung
- soziale Handlung
- Entfaltung der Persönlichkeit
- Lernen als Teilhaber.
Grundsätzlich kann deshalb Social Learning in folgenden Ausprägungen in die betrieblichen Lernkonzepte integriert werden:[6]
- Wissensaufbau und Qualifizierung: Die Lerner gestalten ihre Lernprozesse im Rahmen vorgegebener Lernarrangements selbstorganisiert. Sie bringen sich mit ihrem Profil ein und stellen Lösungen, Literatur- oder Linklisten, Forumsdiskussionen, Wikis, Blogs oder Microblogs der aktuellen und der zukünftigem Lerner-Community zur Verfügung. Sie verfolgen im Netz Diskussionen und Konferenzen über entsprechende Hashtags, abonnieren für sie interessante Blogs und fassen diese in Newsreader zusammen, nutzen Bildungskanäle auf YouTube oder TED oder suchen gezielt Lernvideos. Die Lerner bringen sich aktiv in das soziale Netzwerk ein und tauschen dort ihre Lernerfahrungen aus. Auf dieser Basis entwickeln sie ihr persönliches Wissensmanagement.
- Kompetenzentwicklung: Die Lerner erweitern ihre Lernprozesse um den Kompetenzaufbau , indem sie ihre Lernziele und ihre Lernorganisation eigenverantwortlich selbst organisieren, Erfahrungswissen einbringen und mit Netzwerkpartnern analysieren, diskutieren und weiterentwickeln, in kollaborativer Form Aufgabenstellungen aus der Praxis selbstorganisiert bearbeiten, Texte bearbeiten oder kreative Ideen entwickeln. Dazu benutzen sie Blogs, Wikis, Gruppenchats, Webinar-Systeme oder Whiteboards. Für den Wissensaufbau und die Qualifizierung, die für die Kompetenzentwicklung notwendig sind, nutzen sie bei Bedarf die entsprechenden Tools und Open Resources.
- Social Workplace Learning: Angelehnt an die Struktur der cMOOC wird den Lernern ein kompetenzorientierter Ermöglichungsrahmen im virtuellen Raum zur Verfügung gestellt, teilweise bauen sie ihn auch auf eigene Initiative auf, indem sie unter Nutzung Sozialen Medien individuelle Lernprozesse gestalten können. Im Mittelpunkt stehen dabei die Beiträge aller Teilnehmer, die sich über Soziale Medien mit einer teilweise hohen Dynamik selbstorganisiert und ohne lokale Bindung austauschen. Die „Lehrenden“ wandeln ihre Rolle zu „Wegweisern“ und „Lernbegleiter“. Social Learning verändert damit auch das Workplace Learning, weil damit persönliche Netzwerke des kollaborativen Arbeitens und Lernens im täglichen Arbeitsprozess geschaffen werden.[7] Die Mitarbeiter können laufend relevante Informationen aus ihrem beruflichen Umfeld erfahren und entwickeln ihren Wissensstand aktuell, sie arbeiten und lernen kollaborativ indem sie im Netz Lösungen für ihre beruflichen Herausforderungen erarbeiten, teilen ihr Erfahrungswissen und Erkenntnisse mit anderen und erweitern damit ihre Lernmöglichkeiten.
In Social Learning Arrangements werden die Inhalte immer mehr von den Lernern selbst entwickelt. Deshalb werden Systeme zur Entwicklung des Contents benötigt, die es möglich machen, Erfahrungswissen verständlich und rasch durch die Lerner selbst als „User Generated Content“ aufzubereiten. Die Nutzer Sozialer Lernplattformen sind damit nicht nur passive Rezipienten sondern auch aktive Content-Produzenten. Diese selbst entwickelten Lerninhalte bilden wiederum den Kern von Kompetenzentwicklungsprozessen.[8]
In betrieblichen Lernsystemen ist es sinnvoll, die Entwicklung von User Generated Content nicht dem Zufall zu überlassen, sondern durch Vereinbarungen zu Lerntagebüchern, Austausch von Erfahrungsberichten oder konkreten Arbeitsaufträgen in der Lerngruppe zu initiieren. Dadurch verschwimmen die klassischen Grenzen zwischen Fachautoren und Lernern. So erlauben es beispielsweise Blogs jedem Mitarbeiter sein eigener Verleger zu werden, Wikis führen z.B. aus Projekten heraus zur Ad-hoc-Autorenteams oder Podcasting ermöglicht das Produzieren und Anbieten von Audio- oder Videodateien über das Internet. Die Lerner benötigen dafür die Freiheit, innerhalb ihres Ermöglichungsrahmens entsprechend aktiv zu werden und die Zuversicht, von ihren Lernpartnern oder Experten eine Rückmeldung zu erhalten.[9] Deshalb sind Vereinbarungen im Rahmen des Co-Coaching oder in der Lerngruppe von zentraler Bedeutung.
Parallel ist es erforderlich, ein System zu entwickeln und mit den Lernern zu vereinbaren, das die Qualität der Inhalte sicher stellt. Die Mitarbeiter nehmen Content von Lernpartnern nach unseren Erfahrungen anders wahr als redaktionell aufbereiteten Content. Da diese Inhalte aus dem gleichen Erfahrungsumfeld stammen, können sie für Problemlösungen als besser geeignet erscheinen als standardisierte Fachinhalte. Damit bildet User Generated Content eine wichtige Erweiterung der formellen Lerninhalte.
Social Learning im Unternehmen ermöglicht netzbasiertes Workplace Learning durch die Verknüpfung von kollaborativem Arbeiten und Lernen, fördert die Netzwerkbildung und unterstützt den individuellen Kompetenzaufbau der Mitarbeiter. Da auch hierbei veränderte Handlungsweisen aller Beteiligten erforderlich sind, wird dieser Veränderungsprozess langfristig sein.
[1] vgl. Pontefract, D. (2013)
[2] vgl. Garg A. (2013), Kuhlmann, A.; Sauter, W. (2008) S. 126
[3] vgl. Robes, J. (2012), S.3
[4] Bitkom (2012 a), S. 6
[5] vgl. Back, A., Gronau, N., Tochtermann, K. (Hrg.) (3., vollständig überarbeitete Auflage 2012)
[6] vgl. Robes, J. (2012), S. 3 f.
[7] vgl. Hart, J. (2013c)
[8] Bauer, C.A. (2011) S. 11. ff.
[9] vgl. Hoberg, A.; Gohlke, P. (2011), S. 65