Die aktuelle Situation am betrieblichen Bildungsmarkt wirkt sehr widersprüchlich. Dies haben u. a. auch die Teilnehmer am Corporate Learning 2025 MOOCathon festgestellt:
Die betrieblichen Bildungsbereiche – Learning and Development (L&D) –
- sind in einer beharrenden Position, die insbesondere durch die Akzeptanz und Lernkultur tradierter, formeller Lernkonzeptionen sowie der eher verwaltenden, regulierenden Rolle des Bildungsbereiches geprägt ist,
- befindet sich in einem dynamischen Wandel, der vor allem durch die zunehmend agile Arbeitswelt, die Vernetzung der Lebens- und Arbeitswelt und dem daraus entstehenden Bedarf nach agilen Lernkonzeptionen und innovativen Lernsystemen entsteht.
Es wurde deutlich, dass aktuell sehr große Unterschiede zwischen mittleren Unternehmen und großen Unternehmen, wie z. B. Bosch, Audi oder Continental, in Hinblick auf die Bedeutung und die Ausprägung des Corporate Learning bestehen. Während sich viele große Unternehmen mitten in dem Veränderungsprozess befinden, fehlt den meisten KMU das Verständnis für die Bedeutung des strategischen, kompetenzorientierten Lernens.
Die beharrende Position, vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen, wird nach unseren Erfahrungen durch mehrere Faktoren bestimmt:
- Der Lernerfolg wird nicht dort gemessen, wo er wirksam würde, nämlich am Arbeitsplatz, sondern mit „Happy Sheets“ am Ende der Seminare. Was die gute Stimmung am Ende der gemeinsamen Tage mit dem Kompetenzaufbau im Prozess der Arbeit zu tun hat, konnte mir bisher noch niemand erklären.
- Unsere Lernroutinen wurden seit Jahrzehnten in fremdorganisierten, formellen Lernarrangements verfestigt. Hinzu kommt, dass vielen Entscheidern die Phantasie fehlt, wie Kompetenzaufbau effizient ermöglicht werden kann. Deshalb greifen die meisten dann reflexartig auf vordergründig „bewährte“ LEHRsysteme zurück.
- Über Jahrzehnte hat sich eine Bildungsindustrie, von betrieblichen und überbetrieblichen Bildungsanbietern mit dicken Seminarkatalogen, über Tagungshotels und Trainerteams entwickelt, deren Konzepte vollständig auf die fremdorganisierte LEHRE in Seminarräumen ausgerichtet ist. Ein Wandel zu selbstorganisierten LERNkonzeptionen hätte zur Folge, dass minutiös erstellte Seminar-Ablaufpläne, PPT-Pakete, Textbausteine für Seminarmaterialien und vieles mehr in dieser Form nicht mehr gebraucht werden.
- Die meisten Bildungsplaner und Trainer haben eine hohe Kompetenz für die Gestaltung und Umsetzung von fremdorganisierten LEHRkonzeptionen. Selbstorganisierte LERNarrangements, wie Social Blended Learning, kennen sie meist nur aus der Fachpresse. Deshalb müssten sie in einem ersten Schritt ihre eigene Kompetenz zur Konzipierung, Umsetzung und Begleitung innovativer LERNkonzeptionen aufbauen.
- Häufig verstehen Führungskräfte ihre Rolle immer noch als Vorgesetzter und nicht als Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter. Die Verknüpfung von Arbeiten und Lernen setzt aber voraus, dass die Führungskräfte ihre Rolle als Mentor aktiv ausüben.
- Viele Mitarbeiter empfinden Seminare als angenehme Auszeit aus der Arbeit. Dies wird häufig noch verstärkt, iwenn Weiterbildungsmaßnahmen als Belohnungsinstrument eingesetzt werden.
Andererseits hat die Entwicklung agiler Arbeitssysteme revolutionäre Konsequenzen für das Corporate Learning, die betriebliche und berufliche Aus- und Weiterbildung. Davon sind sowohl große als auch kleine und mittlere Unternehmen betroffen. Die Unternehmensstrategien verändern sich mit wachsender Geschwindigkeit, kleine, autonome Teams, die cross-funktional besetzt sind, agieren in kurz getakteten Zyklen und in permanenter Abstimmung mit Kunden oder Lieferanten; die Arbeitsmethoden werden zunehmend agiler. Dies hat fundamentale Konsequenzen für die Mitarbeiterentwicklung. Unternehmen benötigen Mitarbeiter, die auch zukünftige Herausforderungen in zunehmend digitalisierten, agilen Arbeitsprozessen im Rahmen selbstorganisierter, eigenverantwortlich handelnder Teams kompetent und kreativ lösen können. Dabei besitzen sie den Freiraum, innerhalb selbst definierter Regeln zu üben und zu experimentieren und ihr Erfahrungswissen in Netzwerken weiter zu entwickeln.
Agiles Arbeiten setzt u.a. eine hohe Disziplin, die Einhaltung von Vereinbarungen und einen Rahmen voraus, der alle erforderlichen Tools und Systeme zur Verfügung stellt. Dies entspricht genau dem Ansatz der Kompetenzentwicklung in Social Blended Learning Arrangements, in denen wir die Verbindlichkeit über Lernpartnerschaften (Co-Coaching), Jourfixe oder Projekttagebücher zur Grundlage der selbstorganisierten Lernprozesse in Projekten oder am Arbeitsplatz machen.
Damit ist agiles Lernen aber identisch mit der selbstorganisierten Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit und im Netz.
Dies ist aber in den Strukturen und mit den Kompetenzen klassicher Personalentwicklung nicht mehr zu leisten. Deshalb gehen wir davon aus, dass auch in kleinen und mittleren Unternehmen der Bildungsbereich eine dramatische Veränderung erfahren wird. Die Frage ist nur, in welchen Bereichen dieser Prozess beginnt und wie schnell der Wandel erfolgt.