Die Unternehmensberatung Roland Berger hat vor einiger Zeit eine sehr spannende Studie zum Corporate Learning im Umbruch veröffentlicht. Danach liegt die Zukunft des Lernens in der Personalisierung und Individualisierung von Bildung für das lebenslange Lernen. Roland Berger geht davon aus, dass Online-Bildung jede Stufe der Wertschöpfungskette von Corporate Learning und damit die Lernkultur beeinflusst. Lernen und Wissensentwicklung wird nach dieser Studie in den Arbeitsalltag der Beschäftigten integriert.
Bis dahin deckt sich diese Studie mit den Einschätzungen, die auch wir für die zukünftige Lernwelt getroffen haben. Trotz dieser sehr überzeugenden Analyse, hat sich bei mir aber das Gefühl entwickelt, dass die Autorinnen bei ihren Empfehlungen für die Entwicklung des Corporate Learning wieder in ihre gewohnte Denkroutine fremdorganisierter Lernmodelle verfallen sind.
Sie schlagen zwar für den ersten Schritt vor, dass es für jede Analyse des Lernbedarfs in Unternehmen notwendig ist zu verstehen, welche Kompetenzen zur Erreichung strategischer Ziele benötigt werden. Deshalb muss Klarheit und Transparenz über die vorhandenen Kompetenzen der Mitarbeiter geschaffen werden.
Eine Seite weiter entwickeln Sie ein Modell der Wertschöpfungskette im Corporate Learning, das von der Analyse des Lernbedarfs in dieser Form ausgeht, im nächsten Schritt die Konzipierung des Lernangebotes vorsieht, um dann in die 3. Stufe „Wissen und Fähigkeiten vermitteln“ zu gelangen. Dieses Konzept wird durch die Evaluation der Lernerfolge abgerundet.
Es mag zwar wie Wortklauberei wirken, geht aber deutlich tiefer: Die einfache und einheitliche „Übertragung“ des Wissens von Trainern oder Medien auf den Lerner ist nicht möglich, außer man hätte einen „Nürnberger Trichter“ zur Verfügung; die „Wissensvermittlung“ ist ein Mythos. Die Lerngewohnheiten und die kognitiven Strukturen jedes Lerners, aber auch jedes Lehrenden, sind sehr unterschiedlich. Hinzu kommt, dass die Lerngeschwindigkeiten auch in vordergründig homogen wirkenden Gruppen von erwachsenen Lernern bis zum Faktor 1 zu 9 voneinander abweichen können. Deshalb werden Systeme des Wissensaufbaus und der Qualifizierung benötigt, die den Lernern individuelle, selbstgesteuerte Lernprozesse ermöglichen.[1]
Weiterhin verstehe ich nicht, weshalb sich die Autorinnen auf Wissens- und Fähigkeitsziele, die durch „beibringen/einüben“ erreicht werden sollen, konzentrieren. Nachdem sie in der 1. Stufe der Analyse die erforderlichen Kompetenzen ermitteln, ist es doch zwingend notwendig, eine Konzeption der Kompetenzentwicklung anzubieten. Dass diese nur selbstorganisiert durch die Lerner erfolgen kann, haben wir hier vielfach diskutiert. In der Studie wird die Kompetenzentwicklung schlicht ignoriert.
Am Schluss fordern die Autorinnen „Verhaltensänderungen“, wie immer diese bewirkt werden sollen. Dabei geht es doch um „Handlungsänderungen“. Auch diese begriffliche Unterscheidung ist nicht banal. Während Verhalten ohne eine bewusste oder unbewusste Intention und ohne kritische Reflexion erfolgt, bedeutet Handeln zielgerichtetes und bewusstes Agieren. Genau dies ist aber das Ziel der Kompetenzentwicklung.
Schade, während in der Studie bei der Erhebung sehr viel Sorgfalt angewandt wurde, kann dies vor die Entwicklung der Vorschläge nicht gesagt werden
[1] Wahl, D. (3. erw. Aufl. 2013), S. 105