The Clash of Generations – Fragen und Antworten zum Corporate Learning 2018

 

Peter Speck von Festo und Detlef Jürgen Brauner vom House of Ventures (HoV) der EBS Business School haben im Verlag Wissenschaft & Praxis ihr neues Herausgeber-Buch „The Clash of Generations“ herausgegeben, in dem sie ihre Zusammenarbeit für innovative Weiterbildungsideen und –konzepte fortsetzen.

Neben einer Reihe anderer Experten habe ich zu sieben Fragen zur Weiterentwicklung des Corporate Learning meine Antworten formuliert, die einen Ausblick auf die kommenden Jahre bilden.

1     Welche Rolle wird zukünftig die formalisierte, institutionalisierte Bildung und Ausbildung spielen angesichts der rasanten Entwicklungen speziell im technischen Bereich, sowie der Anforderungen aus Internationalisierung und Fachkräftemangel?

Die formalisierte, institutionalisierte Bildung wird sich im Zuge der Digitalisierung und der Entwicklung humanoider Computer, die als persönliche Lernpartner fungieren, grundlegend verändern. Der Aufbau des Fachwissens und die Qualifikation werden tendenziell nicht mehr in Seminaren mit ihrer skandalös geringen Umsetzungseffizienz von ca. 7% in der Praxis (vgl. Kirkpatrick & Kirkpatrick) erfolgen. Vielmehr werden die Bildungsanbieter ihren Lernern einen Ermöglichungsrahmen zur Verfügung stellen, in dem diese bei Bedarf das notwendige Fachwissen und problemorientierte Qualifizierungsmodule nach dem Prinzip des Micro-Learning abrufen.

Zentral vorgegebene Curricula, die für alle Lerner einer Zielgruppe gleich sind, werden an Bedeutung verlieren. Die Lerner werden zunehmend individuelle Kompetenzziele im Sinne der Problemlösungsfähigkeit definieren, die als Basis von personalisierten Lernprozessen dienen.

2     Welche Vor- und Nachteile sehen Sie bei der Umsetzung von Mobile Learning und Workplace Learning Ansätzen (Learning Labs, Level und Badges) in der Zukunft?

Workplace Learning bedeutet, dass Arbeiten und Lernen wieder zusammen geführt wird. Damit findet Lernen immer dann statt, wenn der Mitarbeiter eine Herausforderung zu bewältigen hat. Lerner, die direkt bei ihrer Problemstellung abgeholt werden, haben nachweisbar die höchste Lernmotivation (vgl. z.B. Wahl 2011). Außerdem ist dieses Lernen besonders nachhaltig, weil die Erfahrungen, die der Lerner beim Lösen seines Problems sammelt, quasi emotional imprägniert werden und damit als individuelles Wertesystem aufgebaut werden. Dies hilft dem Lerner bei späteren Herausforderungen, Entscheidungen zu treffen und Lösungen zu entwickeln. Für den Lerner entstehen nur Vorteile, weil er im- mer genau das lernt, was er gerade benötigt.

Evtl. könnte er empfinden, dass das Zusammentreffen mit Kollegen in schicken Seminarhotels nicht mehr stattfindet. Deshalb empfehlen wir, auch zukünftig reale Treffen für die Mitarbeiter anzubieten, die der Netzwerkbildung und dem Aufbau von Communities of Practice dienen.

Zwei Hinweise: Mobile Learning sehe ich nicht als eine eigene Lernkonzeption, sondern als notwendige Voraussetzung für Workplace Learning. Den Klammerzusatz „Learning Labs, Level und Badges verstehe ich nicht. Es ist doch gerade das Merkmal von Workplace Learning, dass man auf extrinsische „Motivationsinstrumente“ wie Badges verzichten kann, die eh keine Auswirkung auf die Lerneffizienz haben.

3     Nachdem sich die Lebensarbeitszeit verlängert und damit lebenslanges Lernen durch die Veränderungen eine Bedeutung erlangt, stellen sich neue Herausforderungen für die demografieorientierte Personalentwicklung. Welche Trends und Entwicklungen sehen Sie?

Wir erleben eine Entwicklung zu kompetenzorientierten Lernarrangements im Rahmen von Social Blended Learning und Workplace Learning. Da Kompetenz- entwicklung nur selbstorganisiert erfolgen kann (vgl. Erpenbeck & Sauter 2007), werden sich immer mehr Lernszenarien, die durch Eigenverantwortung und Selbstorganisation geprägt sind, durchsetzen. Dies bedeutet, dass jeder Lerner zukünftig auf Basis von Kompetenzmessungen seine individuellen Lernziele – entsprechend seiner beruflichen Herausforderungen, seiner Kompetenzen und evtl. auch seines Alters – formuliert und auf dieser Grundlage seine personalisierten Lernprozesse plant und umsetzt.

Hierbei wird er von Lernpartnern, Communities und professionellen Lernbegleitern, aber auch zunehmend von digitalen Systemen (Personal Learning Environment, Humanoide Computer als persönliche Lernpartner) unterstützt.

4     Durch das rasante Tempo der Digitalisierung nimmt der Handlungsdruck – auch bei mittelständischen – Unternehmen zu: Welche Rolle spielen Gründermentalität sowie die Bereitschaft, die Unternehmenskultur wie auch die Produktionsprozesse zu verändern?

Der Handlungsdruck zur Veränderung der Lernsysteme wird erst entstehen, wenn sich die Arbeitswelt im Zuge der Digitalisierung und Disruption verändert hat. Mit Vorträgen, Broschüren oder Gesprächen wird man kaum eine Veränderung bewirken.

Da die Lernwelt die Mitarbeiter auf die heutigen und zukünftigen Herausforderungen in der Arbeitswelt vorbereiten soll, ergibt sich zwangsläufig der Änderungsbedarf im Bildungsbereich. Dies bedeutet, dass die Veränderung der Unternehmenskultur einhergeht mit der Entwicklung der Lernkultur, hin zur selbstorganisierten Kompetenzentwicklung mit Systemen der Kollaboration und Kommunikation, wie sie im Arbeitsprozess eingesetzt werden.

Nach unseren Erfahrungen kann eine Gründermentalität insbesondere im Veränderungsprozess sehr hilfreich sein. So haben wir z.B. im Projekt Next Education der Deutsche Bahn AG die Projektarbeit wie in einem Start-up Unternehmen gestaltet. Das Projekt hatte ein eigenes Budget, Entscheidungen über Pilotprojekte wurden im Projektteam (ohne weiteren Genehmigungsprozess) getroffen, es durften ausdrücklich auch die Grenzen von Lösungen ausgetestet werden, d.h. Fehler waren erlaubt.

5   Die Zukunft wird geprägt sein von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz (VUKA): Welche Auswirkungen hat das auf die Bildung von morgen?

Unsere Gesellschaft sowie die Arbeits- und damit die Lernwelt werden sich durch diese Entwicklungen dramatisch verändern. In den kommenden Jahren wird ein Großteil der Routinetätigkeiten durch Maschinen oder Software übernommen werden (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. 2015). Mitarbeiter werden sich zunehmend mit der Steuerung von vernetzten Systemen auseinandersetzen müssen und in der Lage sein, digital vernetzte Systeme und deren informationstechnische Infrastruktur zu verstehen und das eigene Arbeiten und Lernen in virtualisierten Arbeitsprozessen und Kommunikationsstrukturen zu gestalten (McKinsey Digital 2016).

Die Maschinen passen sich zunehmend den Menschen an, und nicht umgekehrt. Intelligente industrielle Assistenzsysteme mit multi-modalen Benutzerschnittstellen bringen auch digitale Lerntechnologien direkt an den Arbeitsplatz und zu den Menschen (vgl. Erpenbeck & Sauter 2013, 2017). Die Anforderungen an die Weiterbildung werden sich dadurch dramatisch weiter wandeln (vgl. Erpenbeck & Sauter 2016).

Deshalb gewinnen Geschäftsmodelle von Weiterbildungsanbietern mit einer Verlagerung von Wissens- zu Kompetenzzielen auf Basis einer Ermöglichungsdidaktik (vgl. Arnold 2017), vom formellen und fremdgesteuerten Lehren zum informellen und selbstorganisierten Lernen und einer Rückbesinnung auf Lernen in realen Herausforderungen sowie das Lernen im Netz an Bedeutung (vgl. Erpenbeck & Sauter 2017).

Dieses agile Lernen ist vor allem durch folgende Merkmale geprägt:

  • Skalierbarkeit: Die Lernprozesse entstehen bei Bedarf, so dass Lernen „on demand“, je nach Herausforderung, möglich ist. Deshalb werden die personalisierten Lernprozesse in eine Serie von Paketen (‚Inkremente‘) zerlegt, die jeweils in kurzen Zyklen entstehen und umgesetzt werden.
  • Flexibilität und Dynamik: Agile Lernsysteme sind durch ein hohes Maß an Flexibilität und große Robustheit gegenüber Herausforderungen geprägt, auch wenn sie noch unbekannt sind.
  • Aktualität: Formelles Wissen und Erfahrungswissen der Lerner müssen sich in einem dynamischen Prozess laufend weiterentwickeln.
  • Strukturelle Anschlussfähigkeit: Das Lernsystem wird in die Strukturen, Prozesse und in die IT-Infrastruktur des Unternehmens integriert.
  • Fokussierung auf die Lernenden: Agile Lernmethoden rücken den Men- schen, Lerntandems und -gruppen sowie deren persönliche Interaktion in den Mittelpunkt.
  • Lernen im Netz: Agiles Lernen basiert auf effizienter Kollaboration, d.h. der gemeinsamen Bewältigung von Herausforderungen in der Praxis mit Lernpartnern, der erfahrungsorientierten Kommunikation und schnellen Rückmeldungen.
  • Nutzenorientierung: Agile Lernsysteme beziehen die Lerner in die Entwicklung der Lernprozesse ein und ermöglichen es, für sie früh Werte zu schaffen. 
Agile Lernprozesse weisen dabei folgende Kennzeichen auf (Sauter & Sauter 2014):
  • Selbstorganisiertes Lernen: Die Lerner gestalten ihre Lernprozesse in eigener Verantwortung, meist in Abstimmung mit Lernpartnern, ihrer Führungskraft und bei Bedarf einem Lernbegleiter. Sie legen damit Ziele und Inhalte, aber auch Lern- und Sozialformen, Medien und Zeiten sowie Lernorte selbst fest. In regelmäßigen Reflexionsphasen optimieren sie ihre personalisierten Lernprozesse. Daraus ergibt sich zwingend, dass die Lerner immer mehr die Fähigkeit aufbauen müssen, selbstorganisiert heute noch unbekannte Herausforderungen zu bewältigen, sie müssen agil handeln können. Die Trainer, die bisher ihre Lehrarrangements gesteuert haben, wandeln sich zu Lernbegleitern.
  • Lernen in Herausforderungen in der Praxis: Das Lernen orientiert sich am Lernbedarf im Praxisprozess, nicht mehr an vorgegebenen Lernzielen (Curricula). Für die Motivation der Lerner ist in erster Linie eine klare Struktur am Anfang des Lernprozesses, die die Vorkenntnisse mobilisiert, die sinnvolle Verknüpfungen zwischen schon vorhandenem und neuem Wissen ermöglicht und die Prozesse des Verstehens anbahnt, maßgebend (vgl. Wahl 2013). Dies wird ermöglicht, indem die Lerner auf Basis ihrer selbst definierten Kompetenzziele mit ihrer Führungskraft herausfordernde Praxis- und Projektaufgaben definieren, in denen sie ihre Kompetenzen selbstorganisiert und eingebunden in ein Netzwerk bearbeiten. Die Wei- terbildung kann dabei ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn sie ein Spiegelbild der – zunehmend digitalisierten – Lebens- und Arbeitswelt wird. Wenn die Lerner auf ihre zukünftigen Herausforderungen vorbereitet werden sollen, dann müssen Lernformen, Kommunikationsmöglichkeiten und Medien dem aktuellen Umfeld einer zunehmend selbstorganisierten Arbeitswelt entsprechen, im besten Fall sogar die Zukunft in diesem Bereich vorwegnehmen.
  • Soziales Lernen: Agiles Arbeiten und Lernen erfolgt kollaborativ. Diese Zusammenarbeit wird durch die Werte Einfachheit, Kommunikation, Feedback, Respekt und Courage geprägt. Deshalb ist ein Ermöglichungs- rahmen für das agile Lernen erforderlich, der soziales Lernen durch Social Media, soziale Netzwerke oder Communities ermöglicht. Dabei werden die Medien und Tools eingesetzt, die auch im Arbeitsprozess verwendet werden.
  • Verbindliche zeitliche Taktung und definierte Lernpakete: Der Lernprozess wird in Pakete zerlegt, die einen eigenständigen Wert für den Lerner besitzen. Deshalb ist für die Strukturierung des gesamten, personalisierten Lernprozesses ein Advanced Organizer erforderlich (vgl. Wahl 2013 S. 284). Diese Expertenstruktur erleichtert den Einstieg in die Lernumgebung, weil die Lerner ihre Aufmerksamkeit auf die für sie wichtigen Teile lenken. Sie schaffen eine klare Orientierung für ihre selbstorganisierten Lernprozesse, können das neue Wissen mit ihrem Vorwissen verknüpfen, vermeiden Missverständnisse, z.B. aufgrund von Verwechslungen und er- leichtern die Bewältigung von Herausforderungen in der Praxis. Die jeweiligen Vereinbarungen werden schriftlich dokumentiert, um die Verbindlichkeit zu sichern. 
Diese Veränderungen berühren damit nicht nur Technologien und wirtschaftliche Faktoren. Auch Erkenntnisse aus der Gehirn- und Verhaltensforschung, Fakten aus den Bereichen Datenschutz und Sozialökonomie, Einsichten aus der modernen Bildungsforschung und Bildungsökonomie sind zu berücksichtigen (Borell, 2015). Unternehmen, die sich aktiv den disruptiven Entwicklungen stellen wollen, benötigen die Fähigkeit, die damit verbundenen Einflüsse auf ihre organisationalen wie individuellen Kompetenzstrukturen angemessen zu interpretieren und Stra- tegien zur Anpassung zu entwickeln. (Reinhardt 2014). 
Agile Kompetenzentwicklung ist die Weiterbildung der Zukunft! 
zu 6.: Welche Rollen werden Dozierende im Zeitalter der Digitalisierung ein- nehmen? 
Dozenten oder Trainer, die LEHRarrangements mit dem Ziel umsetzen, Wissen zu „vermitteln“, werden zunehmend überflüssig. Da die Lerner ihre Lernprozesse zunehmend selbstorganisiert gestalten und ihr Wissen bei Bedarf mit Hilfe des Ermöglichungsrahmens aufbauen, benötigen sie u.a. professionelle Lernbegleiter, die u.a. folgende Aufgaben erfüllen sollten:
  • Beratung bei Kompetenzmessungen und Unterstützung bei der Definition bzw. Anpassung individueller Kompetenzziele
  • didaktisch-methodische und fachliche Unterstützung der Lerner, evtl. mit Hilfe von Experten
  • Moderation der Lernprozesse ( z.B. in Kick-offs und in Workshops bzw. Webinaren) und Reflexionen
  • Rückmeldungen als Coach zu Fragen, Ausarbeitungen oder Ergebnissen
  • laufende Optimierung des Lernrahmens
6   Lebenslanges Lernen na klar! Doch was bedeutet das für die Lernenden?

Alle Macht für die Lerner! Die Lerner übernehmen die Verantwortung für ihre Lernprozesse. Dabei nutzen Sie die Möglichkeiten des Ermöglichungsrahmens, die Unterstützung des Lernbegleiters sowie die den Austausch von Erfahrungs- wissen mit Lernpartnern und in Communities of Practice. Deshalb müssen sie ihre Kompetenz, mit Hilfe digitaler Systeme ihre Lernprozesse selbstorganisiert zu planen, zu gestalten und umzusetzen, konsequent aufbauen.

7   Mit welchen Kriterien kann die Qualität von Bildung bewertet und evaluiert werden?

Das Testen von Wissen und Qualifikationen (Bulimielernen) wird an Bedeutung verlieren. Kompetenzorientiertes Lernen hat zum Ziel die Handlungssicherheit der Mitarbeiter und damit die Performance zu steigern. Deshalb zeigt sich die Qualität der betrieblichen Bildung in den Ergebnissen von Praxisprojekten oder des Arbeitsprozesses. Wir benötigen deshalb Instrumente der Workforce Analytics, einer Kombination aus Softwarelösungen und Methoden, welche Daten aus den individuellen Arbeitsprozessen analysieren, um die persönlichen Arbeitsprozesse der Mitarbeiter durch Bereitstellung der dazu notwendigen Informationen und der personalisierten Aufbereitung zu optimieren, sowie um valide Informationen für die Aufgaben des Human Resource Management, z.B. Personalplanung, Recruiting, Nachfolge- und Karriereplanung oder Performance Management zu generieren.

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