Veränderung der Lernkultur – ein langfristiger Prozess

Der Begriff der Kultur ist ein Wertbegriff.

 

Das Verständnis von Kultur ist ebenso vielfältig, wie die zahlreichen Manifestationen der Kultur selbst. In der Literatur finden sich etwas 150 verschiedene Definitionen von Kultur (vgl. Martz-Irngartinger 2010).

Als Unternehmenskultur verstehen wir ein System von gemeinsam Werten sowie Normen und Denkhaltungen, die die Entscheidungen sowie das Handeln der Mitarbeiter auf allen Ebenen prägen und die sich als „gemeinsames mentales Modell erweist“ (nach Schein 2010, Kap. 1.3).

Die Kultur ist dabei die Summe aller gemeinsamen, selbstverständlichen Annahmen, die eine Gruppe in ihrer Geschichte erlernt hat. Die Mitarbeiter leben in ihrer Unternehmenskultur, reflektieren sie aber oftmals nicht. Konkretisiert wird die Unternehmens- und Lernkultur letztendlich in den Handlungen, die sich aus den Werten der Mitarbeiter ableiten.

Nach Edgar H. Schein (2010) können drei Ebenen der Kultur unterschieden werden:

  1. Sichtbare Ebene: Artefakte, z. B. Lernrahmen, Medien oder Symbole, sowie Verhaltensweisen, z.B. durch Führungskräfte oder Coaches
  2. Wertvorstellungen und Einstellungen, B. rechtskonformes Handeln, diskriminierungsfreier Umgang miteinander oder aktive Weitergabe von Wissen.
  3. (Nicht hinterfragte und oft falsche) Grundananahmen, B. dass ältere Mitarbeiter kaum mit neuen Medien lernen können.

Wenn sich die Unternehmenskultur, aber auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, z.B. in Richtung Sozialer Netzwerke, wandeln, wird sich deren Teilmenge, die Lernkultur, ebenfalls entsprechend weiter entwickeln. Wandelt sich die Rolle der Mitarbeiter immer mehr vom fremdgesteuerten „Befehlsempfänger“ zum selbstorganisiert handelnden Mitarbeiter, dann werden sich die Lerner auch entsprechend verändern.

Aus der „Lehr-„kultur wird die „Lern-„kultur  (Arnold 2017).

Naturgemäß existiert nicht nur eine Lernkultur, sondern es entwickeln sich parallel viele, differente Lernkulturen.

Wir gehen in unseren Projekten von folgender Definition der Lernkulturen aus (vgl. Martz-Irmgartinger 2010):

Lernkultur ist  das System sozialer Prozesse und Handlungen, deren Kern Normen und Werte sind, die das Lernen der Mitarbeiter und Führungskräfte auf allen Stufen des Unternehmens bestimmen. Sie  konkretisiert sich im Lernhandeln und in den Kompetenzen der Lerner und setzt ein ständiges Lernen aller Beteiligten voraus.

Die Lernkultur ist damit eine Teilmenge der Unternehmenskultur. Die Mitarbeiter sind im Regelfall formelle Lernprozesse, vielfach noch mit einer traditionellen Methodik, gewohnt. Sollen die Werte und die Unternehmenskultur gezielt verändert werden, sind Systeme notwendig, die einen behutsamen Veränderungsprozess der Beteiligten ermöglichen.

In einer Unternehmenskultur, die z.B. durch starke Hierarchisierung und geringe Eigenverantwortung der Mitarbeiter geprägt ist, kann eine Lernkultur, die durch Werte wie Selbstverantwortung und kreative Aktivität der Mitarbeiter bestimmt wird, nur schwer umgesetzt werden. Die Kultur der Lernwelt kann die gewünschte Unternehmenskultur aber vorwegnehmen und damit aktiv Einfluss auf sie nehmen. Damit wird die Gestaltung der Organisationskultur ein wesentliches Richtziel des betrieblichen Bildungssystem.

Zwischen der Wahrnehmung der Wirklichkeit und der Vorstellung der passenden Unternehmenskultur vermittelt ein ständiger Erkenntnis- und Wertungsprozess. Die Differenzen oder Widersprüche, die in diesem Wertungsprozess deutlich werden, münden in Regeln, Normen und verinnerlichten Werten, aber auch in verschiedenen kommunikativen Formen wie Bräuchen, Ritualen oder Artefakten, wie Architektur, Formgestaltung oder Moden.

In der Unternehmenspraxis ist die Führungs- und die Lernkultur de facto häufig in zwei völlig getrennte Bereiche aufgeteilt. Oft treffen wir auf Führungskräfte, für die Lernen etwas Abgesondertes vom Arbeitsalltag ist, für das man entweder freigestellt wird, z.B. für einen Seminarbesuch, oder das in der Freizeit stattfindet.

Die „neue“ Lernkultur unterscheidet sich fundamental von der tradierten Lernkultur, die wir alle aus unserer schulischen, studentischen oder häufig auch betrieblichen Lernkarriere her kennen. Wissens- und   Qualifikationsziele (Curricula) bilden nur noch eine – notwendige! – Voraussetzung, individuelle Werte- und Kompetenzziele bestimmen die Lernprozesse. „Gesichertes“, meist statisches, Fachwissen wird durch dynamisches Erfahrungswissen der Lerner erweitert. Die Lernorte Seminarraum und Learning Management Systeme werden durch das Lernen am Arbeitsplatz und in Sozialen Lernplattformen ersetzt. Kooperatives Lernen im Rahmen von Übungen wird durch kollaboratives Lernen im Prozess der Arbeit erweitert. Die Lehrer, Trainer und Ausbilder werden zum Coach und Mentor, sie begleiten die individuellen Lernprozesse. Testergebnisse werden durch Arbeitsergebnisse und Kompetenzmessungen abgelöst. Die Mitarbeiter sind für ihre Werteentwicklung selbst verantwortlich und organisieren ihre Lernprozesse selbst. Die Führungskräfte werden zum Entwicklungspartner ihrer Mitarbeiter.

Kriterium Tradierte Lernkultur Innovative Lernkultur
Ziele Zentral vorgegebene Wissens- und Qualifikationsziele (Curricula), Werteziele werden nicht explizit verfolgt Individuelle Werte- und Kompetenzziele
Inhalte Formell: „Gesichertes“ Fachwissen, überwiegend statisch Formell und informell: „Gesichertes“ Fachwissen und dynamisches  Erfahrungswissen
Lernorte Seminar, Learning Management System Arbeitsplatz, Ermöglichungsrahmen für selbstorganisiertes Lernen im Netz
Methodik Lehre, Übungen (Aufgaben, Fallstudien,   Planspiele…), E-Learning und Blended Learning Kollaboratives Lernen und Arbeiten innerhalb eines  Ermöglichungs-rahmen, selbstorganisierter Wissensaufbau im Netz bei Bedarf, Social Blended Learning und Lernen im Prozess der Arbeit sowie im Netz (Social Workplace Learning)
Medien Printmedien,  wisssensorientierte web Based Trainings (WBT), Lernvideos, Learning Community (Foren, Chat, Virtual Classroom …) Workshop-Medien, problemorientierte Web Based Trainings und Lernvideos Social Media, Kollaborationstools (Workpad), Community of   Practice (Blog, Wiki, Messager….)
Lernen mit Lernpartnern Evtl. kooperativ im Rahmen von Übungen, Lerntandems Kollaborativ beim Lösen realer Praxisprobleme, Co-Coaching
Rolle der Führungskraft Vorgesetzter Entwicklungspartner (Mentor)
Rolle der Bildungsver-antwortlichen Personalentwickler, Dozent/Trainer/Ausbilder Werte- und Kompetenzmanager, Gestalter der Ermöglichungsrahmen, Lernbegleiter, E-Coach
Lernerfolg Test, Präsentation, mündliche Prüfung Erfolg in der Praxis (Performanz), Projektlösungen, Werte- und Kompetenzmessungen
Lernprozess Überwiegend fremdorganisiert, selbstgesteuerte Lernphasen Selbstorganisiert mit Co-Coaching, Lernbegleitung und Coaching durch die Führungskraft

 

Man kann Werte und Kulturen nicht „vermitteln“. Man kann aber viel für die Wert- und Kulturentwicklung tun, sie ermöglichen, fördern, antreiben, verstetigen.

Innovative Lernsysteme setzen eine Unternehmenskultur voraus, in der Führungs- und Lernkultur eine Einheit bilden.

Wertemanagement, das schrittweise zu einer Veränderung der Werte und damit der Unternehmskultur führt, sollte in folgenden Schritten erfolgen:

  • Erstens einen werteorientierten Entwicklungsauftrag aus der Strategie der jeweiligen Organisation ableiten.
  • Zweitens bedarfsgerechte Wertemodelle immer zusammen mit betroffenen Fach- und Führungskräften erarbeiten und dabei die eigenen Lernprozesse als Bestandteil des gemeinsamen Veränderungsprozesses sehen, den man maßgeblich mit gestalten will.
  • Drittens Entwicklungsrahmen schaffen, die ein selbstorganisiertes, kollaboratives Lernen aller Mitarbeiter im Prozess der Arbeit möglich machen. Dabei Lern- und Arbeitsprozesse konsequent miteinander verknüpfen.
  • Viertens allen Mitarbeitern ermöglichen, ihre Werteziele auf Basis der Wertemessungen in Abstimmung mit Führungskräften selbstorganisiert zu definieren und ihre Lernprozesse im Prozess der Arbeit selbst zu planen und umzusetzen.

  • Fünftens neben formellen Lernangeboten Wissensmanagement-Tools zur konsequenten Teilung, Nutzung und Entwicklung von Erfahrungswissen aller Mitarbeiter anzubieten.
  • Sechstens das kollaborative Arbeiten und Lernen, eine Netzwerkbildung aller Beteiligten, durch geeignete Systeme und Initiativen fördern; dabei wird es sich meist, aber keineswegs ausschließlich, um digitale Netzwerke handeln.

Die Veränderung der Lernkultur erfordert einen langen Weg, ist aber zwingend notwendig, um die Kompetenzentwicklung im Unternehmen zu ermöglichen.

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