Für die Konzipierung und Umsetzung innovativer Geschäftsmodelle der Bildung ist die Veränderung der Denk- und Handlungsweisen aller Beteiligten an Lernprozessen zwingend erforderlich. Sie wird jedoch nur möglich sein, wenn im Rahmen der Möglichkeiten zur Anpassung an die aktuellen Erfordernisse ein konsequentes Veränderungsmanagement erfolgt.
Die Entwicklung und Umsetzung eines Geschäftsmodells kompetenzorientierter Bildung erfordert vor allem folgende Rahmenbedingungen:
- Projektteam mit klaren Verantwortlichkeiten: Ein kompetentes Projektteam mit klaren Verantwortungen und Befugnissen stellt ein professionelles Projektmanagement sicher. Dabei wird es von der oberen Führung aktiv unterstützt, insbesondere in der Kommunikation, im internen Marketing und bei der strategischen Ausrichtung.
- Methodische Professionalität: Es hat sich als sinnvoll erwiesen, den Prozess zur Entwicklung von Kompetenzmodellen und innovativen Lernsystemen durch erfahrene Experten zu begleiten, die methodische Fragen klären und dem Projektteam helfen, seine Arbeit zu optimieren.
- Ermöglichungsrahmen: Auf Basis einer Sozialen Lernplattform werden alle Elemente, die für selbstorganisierte Kompetenzentwicklungsprozesse erforderlich sind, bereits in der Projektphase genutzt. Damit sammelt das Projektteam von Anfang an Erfahrungen mit dem System und stellt sicher, dass die gesamte Kommunikation, Dokumentation und kollaborative Arbeit im Netz über eine Plattform erfolgt. Diese neunen Netzwerkstrukturen können zur Lösung von Herausforderungen in der Projektarbeit genutzt werden.
- Kompetente Learning Professionals: Die Planung, Umsetzung und Implementierung der neuen Lernsysteme, aber auch die Begleitung der personalisierten Lernprozesse und das Coaching der Führungskräfte stellt hohe Anforderungen an die Kompetenzen der Learning Professionals, die schrittweise und selbstorganisiert aufgebaut werden müssen.
- Kompetente Führungskräfte als Entwicklungspartner: Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter setzt zwingend voraus, dass die Führungskräfte die Rolle eines Entwicklungspartners ihrer Mitarbeiter übernehmen. Deshalb müssen sie gezielt ihre Kompetenz aufbauen, die personalisierten Entwicklungsprozesse ihrer Mitarbeiter zu steuern und zu coachen bzw. als Mentor zu unterstützen.
- Verknüpfung von Arbeiten und Lernen: Die Arbeits- und Lernsysteme werden synchronisiert, so dass Arbeits- und Lernprozesse zusammen wachsen. Dies erfordert eine Anpassung der Führungssysteme sowie die erforderliche IT-Infrastruktur für Arbeiten und Lernen.
- Ausreichend Ressourcen: Der Einführungsprozess erfordert finanzielle, organisatorische und zeitliche Ressourcen, die vorab zu bewerten und zu planen sind.
In unserer Praxis hat sich folgender Ablauf des Veränderungs- und Entwicklungsprozesses bewährt.
Vorphase
In der Phase vor Beginn des Projektes sind durch die Leitung die strategischen Fragen im Zusammenhang mit dem Veränderungsprojekt zu beantworten. Hier wird zunächst, meist unter externer Moderation, ein gemeinsames Verständnis von Kompetenzentwicklung erarbeitet. Daran sollte sich ein intensiver Informations- und Diskussionsprozess mit den Führungskräften anschließen, die im Implementierungsprozess eine zentrale Rolle übernehmen. Parallel sollte ein entsprechender Prozess mit den Mitarbeitern initiiert werden, um bereits in dieser Phase die Grundlage für eine dauerhafte Akzeptanz zu schaffen.
1. Analyse
In einem ersten Schritt ist es notwendig, die aktuellen Erkenntnisse über die Entwicklung des Lernens in vergleichbaren Unternehmen zu analysieren. Hierfür bietet sich eine Recherche im Bereich der Printmedien aber auch der Online-Publikationen, z. B. Blogs[1], an. Hilfreich sind Gespräche mit Experten und mit Kollegen, die bereits Erfahrungen mit ähnlich gelagerten Projekten aufweisen. Neben Kongressen erweisen sich hierbei vor allem Barcamps zum Corporate Learning[2] sowie Community of Practices[3] zu innovativen Lernformen im Netz als sinnvoll.
Der Prozess der Analysephase setzt bei der Unternehmensstrategie, dem Werterahmen der Organisation sowie den Rahmenbedingungen des Lernens an.
2. Normativer Orientierungsrahmen
Zielgerechtes Handeln und Entscheiden im Bildungsbereich erfordert einen klaren Orientierungsrahmen und entsprechende Leitlinien. Ein normativer Handlungsrahmen kann beispielsweise in Form eines Best Practice Rahmens wesentliche Perspektiven aufzeigen, indem er die Ergebnisse der Diskussion der Neuausrichtung des Bildungsbereiches zusammen führt. Die daraus abgeleiteten Leitlinien dienen dazu, Entscheidungsträgern, Learning Professionals, Führungskräften und Mitarbeitern Orientierung zu geben, so dass die Lernprozesse im Unternehmen optimiert werden.
Der normative Orientierungsrahmen orientiert sich systematisch an den strategischen Zielen sowie an den Werten und Prinzipien im Corporate Learning, baut auf den aktuellen pädagogischen Erkenntnissen aus der Analysephase sowie dem Experten- und Erfahrungswissen auf, berücksichtigt die relevanten Kontextfaktoren und ermöglicht bedarfsgerechte Lösungen, bei Vermeidung negativer Entwicklungen.
Der normative Orientierungsrahmen eines Bildungsanbieters beantwortet damit die Frage nach dem „warum und wozu“ (Seufert, 2013).
3. Strategische Rolle
In einem Kickoff-Workshop werden zunächst die zukünftige Rolle des Bildungsbereiches, das neue Leistungsangebot (Portfolio) sowie die grundlegenden Lernarrangements definiert. In einem weiteren Schritt werden die Wertschöpfungskette definiert, die Ertragssicheurng konzipiert sowie die Kommunikation des Prozesses geplant.
In diesem Kickoff sollten verschiedene relevante Sichtweisen auf den Bildungsbereich zusammen geführt werden. Die Zielsetzung ist dabei, die Grundlinien der zukünftigen Lernkonzeption und die Anforderungen an die entsprechenden Lernsysteme, insbesondere die Soziale Lernplattform, zu definieren.
4. Operative Gestaltung und Erprobung
Das Ziel der Pilotphase ist es, die zuvor in der Konzeptionsphase entwickelten Veränderungs-, Kommunikations-, Lern- und Unterstützungsprozesse, aber auch die erforderlichen Systeme, umzusetzen und zu evaluieren. Überprüft werden dabei die individuellen und kollaborativen Lernprozesse, die Kommunikations- und Coaching-Phasen sowie die Lernziele, Inhalte, Lernformen, Sozialformen, Medien, Lern-Infrastruktur und Organisation. Die Erkenntnisse daraus dienen der Optimierung des Konzeptes, welches später auf breiter Ebene ausgerollt wird.
Es hat sich bewährt, mit Pilotgruppen zu beginnen, die sich bereits im Arbeitsleben weitgehend selbstverantwortlich organisieren und eine Affinität zu internet- bzw. intranetbasierten Systemen haben. Im Idealfall ist sich die Gruppe ihrer Kompetenzentwicklungsbedarfe bewusst und sucht eine Lösung, um sich zu verbessern. Gelingt es, mit diesen Pilotgruppen glaubwürdige Erfolgsgeschichten, die einen nachvollziehbar Nutzen für das Unternehmen und seine Mitarbeiter bringen, zu initiieren, besteht eine große Chance, auf breiter Front Akzeptanz zu gewinnen.
Die Kompetenzentwicklung der Learning Professionals bildet den Schlüssel zur erfolgreichen, unternehmensweiten Implementierung. Wir haben mit dem von Diethelm Wahl, vor allem für die Bildungsarbeit in Schulen und in Hochschulen, entwickelten „Doppel-Decker-Prinzip“, das wir in Hinblick auf die Erfordernisse der Kompetenzentwicklung in Unternehmen weiter entwickelt haben, sehr gute Erfahrungen gemacht (vgl. Wahl 3. Erw. Auflage 2013, S. 64ff.) Die Kompetenzmanager und Lernbegleiter erfahren dabei Blended Learning und Kompetenzentwicklung und wechseln regelmäßig ihren Blickwinkel. Einmal erfahren sie die Lernkonzeption aus Sicht des Lerners und betrachten sie dann aus Sicht der Planung des Lernrahmens. Dabei steht jeweils die Frage im Vordergrund, inwieweit die eigenen Lernerfahrungen in ein persönliches Projekt zur Entwicklung einer innovativen Lernkonzeption übertragen werden können.
5. Rollout
Die Einführung von selbstorganisierten Lernkonzeptionen stößt häufig auf Widerstand. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Personalentwickler, Bildungsmanager und Trainer ihre lieb gewonnen Erfolgskonzepte aufgeben müssen, wenn sie sich auf diese neuen Lernwege begeben. Hinzu kommt das Gefühl, eine „sichere“ Lernkonzeption durch eine risikobehaftete Lernlösung mit unvorhersehbaren Handlungen der Lerner im Rahmen ihrer Selbstorganisation zu ersetzen. Insbesondere folgende Hürden sind in diesem Veränderungsprozess zu überwinden (vgl. Erpenbeck & Sauter 2016):
- Wissensbarrieren: Der nahezu unerschütterliche Glaube, Wissen sei bereits Kompetenz sowie die Ignoranz der neuropsychologischen Erkenntnis, dass die gegenwärtig praktizierte Form der Wissensweitergabe völlig ineffektiv und individualitätsvernichtend ist.
- Messbarrieren: Die Ermittlung des vordergründigen Lernerfolges mit Hilfe von Tests oder mit der Erhebung des Stimmungsbildes am Ende von Seminaren, obwohl dabei die Umsetzung der Erlernten im Arbeitsprozess ignoriert wird.
- Rollenbarrieren: Das Festhalten an gewohnten Handlungsprofilen der Fremdsteuerung des Lernens, z.B. als Lehrer, Dozent oder Trainer.
- Institutionelle Barrieren: Vorgabe von wissensorientierten Curricula bzw. Prüfungen, z.B. in der Berufsausbildung oder bei sicherheitsrelevanten Themen.
Die hohe Komplexität des Implementierungs- und Veränderungsprozesses stellt hohe Anforderungen an deren Gestaltung. Um mögliche Widerstände der zukünftigen Lernbegleiter so weit wie möglich auszuräumen bzw. Akzeptanz zu generieren, sehen wir vier erfolgsversprechende Eckpfeiler als relevant an.
- Kommunikation, insbesondere auch im Netz, von Anfang an mit allen Beteiligten,
- Einbindung des Lernens in das Führungssystems; die Führungskräfte entwickeln sich zu Entwicklungspartnern ihrer Mitarbeiter,
- eigene Erfahrungen der Mitarbeiter in innovativen Lernarrangements, die ihnen einen spürbaren Nutzen bringen,
- ein laufend optimierter Ermöglichungsrahmen, der effizientes Lernen ermöglicht,
- optimierte Lernbegleitung durch Learning Professionals.
Kompetenzentwicklung im Unternehmen ist möglich, aber nur im Sinne einer „Ermöglichungsdidaktik“, die den Mitarbeitern und Führungskräften ein Lernsystem bietet, in dem sie ihre Kompetenzen selbstorganisiert im Rahmen realer Herausforderungen in der Praxis entwickeln können. Notwendige Voraussetzung für eine strategieorientierte Kompetenzentwicklung ist die Akzeptanz bei den Mitarbeitern und Führungskräften als kompetenter Entwicklungspartner. Diese Vertrauensbasis kann allerdings nur in einem längerfristigen Veränderungsprozess schrittweise aufgebaut werden.
[1] z.B. http://www.weiterbildungsblog.de, https://colearnall.wordpress.com, https://blendedsolutions.wordpress.com; http://www.c4lpt.co.uk/blog/, http://www.internettime.com, http://www.elearnspace.org/blog/
[2] z.B. http://www.elearnspace.org/blog/
[3] z.B. https://www.xing.com/communities/groups/corporate-learning-community-clc-1a21-1001249