Berlin, 10. Mai 2017 (dpa) – Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will als Reaktion auf die Affäre um Terrorverdacht in der Bundeswehr die Werte in der Truppe stärken. Die Werte seien das Fundament der Bundeswehr und würden jeden Tag im Einsatz und im Grundbetrieb von den Soldaten hervorragend gelebt, sagte von der Leyen.
„Gelebte“ Werte sind Sympathieträger und Bindeglied zwischen Mitarbeitern, Führungskräften und Kunden. Lippenbekenntnisse, schön in Hochglanzbroschüren und in schicken Websites verpackt, sind jedoch gefährlich. Engagierter NGO und Verbraucherorganisationen, kritische Presse und Netzwerke von Facebook bis Twitter schaffen eine hohe Transparenz und erzeugen eine kritische Diskussion.
Wertemanagement findet heute fast immer „top-down“ statt und endet häufig auf der Ebene der Dokumentation, der Information und der Symbolik ( Wieland 2004, S. 8). Die Maßnahmen des Wertemanagements enden meist auf der Ebene der Dokumentation, Information und Symbolik der von der oberen Führung beschlossenen Werte. Die regelmäßigen Appelle an die Mitarbeiter und Führungskräfte, diese Werte zu »leben«, entlarven die praktische Wirkung dieser schönen Formulierungen sehr treffend.
Die Anpassung des Systems „Organisation “ erfordert deshalb ganzheitliche Konzepte, die nicht einseitige, isolierte Lösungen anstreben. In diesem Zusammenhang muss insbesondere die Selbstorganisation der Organisationsmitglieder, die ihre Potenziale und ihr Wissen einbringen, gefördert werden. Die Mitarbeiter haben dabei das Ziel, die Werte der Organisation im Sinne der Strategie zu verändern, auch wenn diese im Widerspruch zu den individuellen Werten stehen.
Organisationales Wertemanagement ist ein geplanter, gelenkter und systematischer Prozess mit dem Ziel, die organisationalen Werte und damit die Organisationskultur in dem sozialen System Organisation von innen heraus zu optimieren, damit die strategischen Organisationssziele erreicht werden.
Wertmanagemement ist eine große Herausforderung für alle Organisationen, weil nicht die Weitergabe von Wertwissen, also der ausformulierten Regeln, Werte und Normen individuellen und sozialen Handelns, sondern deren Verankerung via Interiorisation in den je eigenen Emotionen und Motivationen erforderlich ist. Bloß gelernte, nicht interiorisierte Werte kann man lehren, abfragen, auswendig lernen und aufsagen. Auf das eigene freie Entscheiden und Handeln haben sie kaum Einfluss.
Wertemanagement von „oben“ ist weitgehend sinnnlos. Die Verinnerlichung (Interiorisation) von Werten ist vielmehr der Schlüsselprozess jeder Wertaneignung (vgl. Erpenbeck & Sauter 2007, 2015).
Wertemanagement, das nicht nur deklaratorischen Charakter hat, unterliegt folgenden Prinzipien:
- Wertinklusion: Werte werden als „Ordner“ der Selbstorganisation verstanden, die das menschliche Handeln bestimmen. Als Teil der eigenen Emotionen und Motivationen sind sie Kernbestandteile von Kompetenzen, da der Aufbau der Fähigkeit, Problemstellungen in der Praxis selbstorganisiert zu lösen, nur erfolgen kann, wenn neben der Fertigkeits- und Wissensaneignung die Wertinteriorisation systematisch ermöglicht und methodisch betrieben wird.
- Wertinteriorisation: Absolut jede Wertveränderung und ‑entwicklung bedarf einer emotionalen Berührung, Verunsicherung, Irritation, Destabilisierung – kurz Labilisierung. Ohne echte emotionale Labilisierung gibt es keine Wertinteriorisation, keinerlei Wertewandel! Werte können deshalb über Entscheidung, Dissonanz und Labilisierung in Projekten und Praxisaufgaben zu eigenen Emotionen und Motivationen umgewandelt werden und damit handlungswirksam werden.
- Wertmediation: Nur solche Medien gestatten die Aneignung von Werten, die echte Entscheidungssituationen setzen und damit Dissonanz und Labilisierung induzieren. Social Software ermöglicht die Bearbeitung offener Entscheidungsprobleme in sozial kontroversen, Dissonanzen und Labilisierungen setzenden Kommunikationsformen. Damit ist sie geeignet, Kompetenzlernen im Netz und folglich auch die Interiorisation von Werten zu ermöglichen.
Die Mitarbeiter in Organisationen sind in der Sichtweise der Synergetik Teilchen in einem komplexen System. Im Zusammenwirken der Mitarbeiter bilden sich selbstorganisiert eigenständige Wertungen der Teams und der Organisation, ihrer Produkte und Leistungen und ihrer Position im Markt heraus. Weder die Mitarbeiter, noch die Manager, noch Berater und Marketingspezialisten können Sie sich ausdenken und dann in die Köpfe der Mitarbeiter trichtern. Da helfen keine Hochglanzbroschüren.
Dabei wirken Selbstorganisationsprozesse auf verschiedenen Ebenen ganz unterschiedlich zusammen, so dass sich jeweils unterschiedliche Leitfragen für das Wertemanagement ergeben:
- Organisationsebene: Wie kann die Organisation ihre gemeinsamen Werte definieren und kontinuierlich aufbauen?
- Teamebene: Wie können teambezogene Werte in Hinblick auf die strategischen Erfordernisse des Teams und der Organisaiton aufgebaut werden?
- Individuelle Ebene: Wie können personalisierte Wertungsprozesse aller Mitarbeiter in Hinblick auf die strategischen Erfordernisse des eigenen Arbeitsbereiches ermöglicht werden?
Auf allen diesen Ebenen können jeweils Werte beschrieben und erfasst werden.
Werte auf der Ebene von Teams oder Organisationen sind nicht die Summe der individuellen Wertungen auf der Mitarbeiterebene, sondern selbständig-selbstorganisiert im Handeln dieser kollektiven Subjekte entstandene Ordner.
Wertentwicklung in Teams oder Organisationen kann dabei immer nur durch die Individuen im System hervorgebracht werden. Die Wertentwicklungen der Individuen erfolgt dabei nicht unabhängig voneinander, sondern lösen laufend Zustandsveränderungen in den Wertesystemen des Teams und der Organisation aus und werden gleichzeitig durch Veränderungen in diesen Bereichen beeinflusst. (vgl. Radatz S. 31 f.)
Werte auf der Ebene eines Teams oder einer Organisation werden bestenfalls zum Teil mit den Individualwertungen übereinstimmen, schlimmstenfalls mit diesen nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Deshalb ist ein Wertemanagement erforderlich, das mit einem angemessenen materiellen, ideellen, psychologischen und organisatorischen Aufwand diese Unterschiede überbrückt. Die zukünftigen Werte, die sich dabei dann tatsächlich entwickeln, lassen sich dabei prinzipiell nicht voraussehen und vorhersagen.
Ein Wertewandel auf allen Ebenen der Organisation tritt erst dann ein, wenn sich Denken und Handeln aller Mitarbeiter und Führungskräfte einer Organisation verändern. Auf den Ebenen der organisationalen, der teambezogenen und der individuellen Werteentwicklung sind jeweils eigene Wert-Entwicklungsprozesse erforderlich. Die Interiorisierung personalisierter Werte kann aber nur im Prozess der Arbeit und des Lernens aller Mitarbeiter erfolgen, ein Code of Conduct ist dafür nur eine hilfreiche Voraussetzung.
Wenn Frau von der Leyen einen erfolgreichen Prozess zur Entwicklung der Werte in der Bundeswehr initiieren will, ist ein Wertemanagement zu gestalten, das auf drei Ebenen ansetzt:
- Organisationales Wertemanagement, das durch die obere Führung strategisch gesteuert und über ein Wertemanagement-Team organisationsweit umgesetzt wird.
- Wertemanagement auf der Teamebene, das jeweils durch die verantwortlichen Führungskräfte verantwortet wird.
- Wertemanagement auf der Mitarbeiterebene, das durch die Mitarbeiter selbst organisiert wird.
Das Ziel ist dabei, ein hierarchieübergreifendes Werte-Netzwerk im Unternehmen aufzubauen, das die Werte auf allen Ebenen in einem dynamischen Prozess laufend weiter entwickelt. Die Werte, die das Handeln in den verschiedenen Ebenen prägen, können dabei sehr unterschiedlich sein und bilden sich jeweils in eigenen Wertentwicklungs-Prozessen.
Ein effektives Wertemanagement kann nur auf allen drei Ebenen in einem integrierten und dynamischen Prozess erfolgen.