Das Lernen wird sich im nächsten Jahrzehnt fundamental verändern, wenn der „Lernpartner“ Computer in der Lage ist, wesentliche Rollen in der Lernorganisation, der Lernsteuerung und der Begleitung von Lernprozessen zu übernehmen, die heute noch Bildungsplaner, Trainer und menschliche Lernpartner erfüllen. Die Veränderungsprozesse die dafür benötigt werden, insbesondere im Bereich der Lernkultur, erfordern naturgemäß einen langen Zeitraum. Deshalb ist es notwendig, bereits heute Verändurngsprozesse zu initiieren, die die Lerner und Lernbegleiter auf ihre veränderte Rollen in in der Zukunft vorbereiten. Hierbei sehen wir vor allem fünf Entwicklungslinien:
1. Lernen ist viel mehr als Wissensaneignung. Wissen „an sich“ steht zunehmend schnell zur Verfügung, es ist, wenn man es zu gewichten und werten versteht, die Basis des Handelns, nicht mehr. Die eigentliche Handlungsfähigkeit wird durch Kompetenzen hergestellt, also durch die Fähigkeit selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Das Wissen ändert sich zu schnell, um Urteile über Lösungsvorschläge oder Personen allein aufgrund der aktuellen Informationen zu fällen. Wer heute viel weiß, weiß morgen zu wenig, oder auch zu viel Überflüssiges, was auf das Gleiche hinausläuft. Die betriebliche Bildung muss sich deshalb an Kompetenzzielen orientieren, die curricular orientierte Didaktik zur „Ermöglichungsdidaktik“ wandeln.
2. Lernen ist von der eigenen Kompetenzentwicklung nicht mehr zu trennen und erfolgt bevorzugt im Prozess der Arbeit selbst. Weiterbildungs- und Trainingsangebote werden aktiv gesucht und zeitnah einbezogen, bilden aber nicht das Zentrum des Lernens. Das heißt: Lernen erfolgt im Prozess der Arbeit. Deshalb ist es notwendig, Lernen und Arbeiten bereits heute so eng wie möglich zu verknüpfen. Hierfür bieten sich mit den aktuellen Möglickeiten beispielsweise Transfer- und Projektaufträge, aber auch Communities of Practice oder Mobile Learning an.
3. Lernen setzt eine qualitativ höhere Vernetzung von Lern- und Kooperationspartnern voraus als bisher. In diesen Netzwerken werden nicht „nur“ Sach- und Erfahrungswissen, sondern auch Urteile und emotional-motivationale Bewertungen kommuniziert. Cloud computing eröffnet hierfür Möglichkeiten, Arbeits-, Gesprächs- und Lernpartner auf eine gänzlich neue, Sach- und Wertwissen zugleich austauschende Weise, miteinander zu verknüpfen.
4. Lernen erfordert eine Komunikation, die deutlich über die reine Wissensvermittlung geht. Je schneller das Informationswissen wächst, je schneller die Denk- und Arbeitsanforderungen, von sachlichen Gegebenheiten wie von Kundeninteressen gleichermaßen getrieben, sich ändern, desto wichtiger wird es die Bedeutungen von Sachverhalten, Eigenschaften, Relationen, Prozessen, Entwicklungen, Entdeckungen und Erfindungen abzuschätzen und zu vergleichen. Auf der Ebene des Fühlens, Denkens und Sprechens kommt damit der Kommunikation von Bedeutungen, also der Semantik, eine neue, schnell wichtiger werdende Rolle zu.
5. Lernen erfolgt wertorientiert. Auf der individuellen Ebene bilden Emotionen und Motivationen, also interiorisierte, zu eigenen Gefühlen umgewandelte Werte, die eigentlichen Kompetenzkerne. Wer nicht emotionale Wertungen in sein Handeln einschließt, wer nicht bereit ist seine emotionalen Wertungen immer wieder neu und erfolgreich zu verankern, gleichsam in spezifischen Prozessen der „Wertaneignung“, der wird schon morgen, spätestens übermorgen beim Lernen Schiffbruch erleiden, auf die Klippen des angehäuften Wissensschotters auflaufen. Ohne Gefühle, ohne emotionale Veränderungen gibt es zukünftig kein wirkungsvolles Lernen.
Wie lässt sich heute Lernen, eine Kompetenzentwicklung, die von solchen Überzeugungen ausgeht, überhaupt begreifen, gar als Lernprozess optimieren, wie lässt es sich im Sinne einer „Ermöglichungsdidaktik“ gestalten? Wir müssen das Lernen neu lernen, privat wie auch in betrieblichen Lernsystemen. Deshalb benötigen wir grundlegend neue „Lern“konzeptionen, die vom Kompetenzlernen ausgehen. „Lehr“- und „Trainings-„konzeptionen, die vor allem aus dem Blickwinkel der Lehrenden gestaltet werden, können den zukünftigen Anforderungen nicht gerecht werden. Wir sind keine Propheten, glauben aber, dass sich heute schon einige Zukunftstrends im Sinne der skizzierten Trends umreißen lassen und dass wir uns heute bereits auf die zukünftigen Veränderungen im Bildungssystem einstellen können und müssen. Auch wenn diese Veränderungen vielleicht noch zehn Jahre erfordern. Aber was sind schon zehn Jahre in historischen Dimensionen?
Ihr
Werner Sauter