Warum muss Lernen agil werden?

Agilität ist das Merkmal, das in den Arbeits- und Lernprozessen der Industrie 4.0 immer mehr gefordert wird.

Unter Agilität verstehen wir die Fähigkeit, sich kontinuierlich an seine komplexe, turbulente und unsichere Zukunft anzupassen( Häusling & Fischer 2016, S. 30).

Dabei ist Agilität mehr als nur eine Ansammlung von Methoden. Im Kern geht es vielmehr um eine Haltung bzw. ein Mindset, welches durch agile Praktiken unterstützt und gefördert wird. Diese Einstellung basiert auf einem Gerüst an interiorisierten, agilen Werten, welche den Kompetenzaufbau sowohl einfordern als auch unterstützen.

Wir haben es aktuell mit einer dramatischen Veränderung der menschlichen Produktivkräfte zu tun. Ab der Mitte des vorigen Jahrhunderts vollzog sich der gewaltigste Entwicklungsschub der Produktivkräfte in der Menschheitsgeschichte. Der Revolution der Werkzeuge folgte eine sich ständig beschleunigende Revolution der Denkzeuge (Rosa 2005). Diese Revolution ist so folgenreich, dass wir von einer neuen Epoche, dem digitalen Zeitalter, sprechen. Sie erfordert Menschen mit Fähigkeiten, Entwicklungen selbstorganisiert und kreativ zu gestalten.

Die Entwicklung agiler Arbeitssysteme hat revolutionäre Konsequenzen für das Corporate Learning, die betriebliche und berufliche Aus- und Weiterbildung. Je schneller sich Handlungsziele, Handlungsmethoden und das explodierende Wissen ändern, desto mehr werden Menschen gefragt sein, die in diesem Chaos der offenen Möglichkeiten neue Ideen entwickeln und über Fähigkeiten verfügen, darin selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Diese Fähigkeiten bezeichnet man als Kompetenzen.

Die agile Arbeitswelt wird deshalb eine Kompetenzwelt sein, in der Werte als Handlungsanker für selbstorganisierte Prozesse mit digitalisierten Systemen dienen.

Die Digitalisierung führt dabei zu einem radikalen Wandel des Lernens. So weit sind sich Pädagogen und Personalverantwortliche verschiedenster Provenienz einig. Wie sie ihn gestalten können, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wir gehen in unseren Überlegungen davon aus, dass die Lernwelt ein Spiegelbild der Arbeitswelt sein muss, besser noch, die Zukunft vorwegnimmt. Deshalb bedeuten agile Arbeitssysteme auch agile Lernsysteme.

Damit gewinnen Geschäftsmodelle des Corporate Learning mit einer Verlagerung von Wissens- zu Kompetenzzielen auf Basis einer Ermöglichungsdidaktik  vom formellen und fremdgesteuerten Lehren zum informellen und selbstorganisierten Lernen und einer Rückbesinnung auf Lernen in realen Herausforderungen sowie das Lernen im Netz an Bedeutung.

Die heutige Gesellschaft wird zunehmend durch Soziale Netzwerke geprägt, die von allen Altersschichten genutzt werden. Es wächst eine Generation heran, die tagtäglich eine große Vielfalt insbesondere digitaler Medien nutzt und ihre Kompetenzen – keineswegs nur die Medienkompetenzen! – dabei und damit entwickelt. Haushalte in Deutschland, in denen Jugendliche aufwachsen, weisen bei Computern, Mobiltelefonen und Internetzugang heute nahezu eine Vollausstattung aus. Wir dürfen uns deshalb nicht wundern, wenn die heutigen Kinder und Jugendlichen später im Studium oder Berufsleben wie selbstverständlich auch im Netz lernen und ihre Kompetenzen entwickeln wollen.

Für die Gestaltung zukunftsorientierter Lernkonzeptionen sind auch die Erkenntnisse der Selbstorganisationstheorie und Neurobiologie fundamental:

  • Um in einer zunehmend agileren Welt zu handeln, benötigen wir mehr denn je Fähigkeiten, selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Digitalisierung, Werte- und Kompetenzentwicklung gehören zusammen.
  • Die Menschen sind von Natur aus fähig, selbstorganisiert und kreativ – also kompetent – zu handeln.
  • Die Modellierung des Gehirns durch die Selbstorganisationstheorie zeigt, dass Informationen immer zugleich mit emotionalen Bewertungen, mit Werten, zusammen gespeichert werden. Deshalb muss Wissen durchgehend über eigene Erfahrungen emotional »imprägniert«, es muss von »Wissen an sich« zu »Wissen für uns« werden.
  • Digitale Medien ermöglichen ganz neuen Formen des Umgangs mit anderen Menschen. Wissen kann im Netz inhaltlich wie emotional bei der kollaborativen Bearbeitung realer Herausforderungen entwickelt und geteilt werden. Damit ist Kompetenzentwicklung im Netz möglich.

Das skizzierte Kompetenzverständnis bildet die Basis, auf der all unsere weiteren Überlegungen ruhen. Lernen findet zunehmend agil in den Arbeitsprozessen statt und ist durch folgende Grundsätze gekennzeichnet (vgl. Hoehne 2017):

A   lternierende Phasen von Lernen, Anwenden und Anpassen

G   emeinsame Werte- und Kompetenzziele und selbstorganisierte Kollaboration im Team

I     terative Sprints mit Reflektion und Adjustierung der Kompetenzziele

L   ernprojekte aus realen Arbeitsprozessen mit direkter Anwendungsorientierung

Das Verständnis von Lernen verändert sich damit radikal, Lernen wird agil.

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