Die Gespräche über E-Learning erweisen sich in der Praxis oft als schwierig, weil die Bandbreite der Deutungen dieses Begriffes immer größer wird. So hat Jochen Robes in seinem www.weiterbildungsblog.d kürzlich beispielhaft folgende Erscheinungsformen des E-Learning aufgezählt: Self-paced content (selbstgesteuertes Lernen), live online sessions, Online distance learning, Knowledge sharing, Simulations and virtual worlds, Computers in the classroom, mobile learning oder ubiquitous learning (Lernen unabhängig von Ort und Zeit, z.B. mittels Smartphones), micro-learning (kleine Informationseinheiten, z.B. mittels Videos, und Tests über PC oder Smartphone), Game based learning (Verknüpfung von Qualifikation und Spielen), Cloud Learning (mobiles und vernetztes Lernen mit virtualisierter Rechen- und Speicherressourcen in Verbindung mit innovativen Web-Technologien) sowie Social-Learning (Lernen durch soziale Vernetzung, Lernen in Netzwerken) . Daneben wird dann zwischen formellem und informellem E-Learning, institutionellem und individuellem E-Learning oder „reinem“ E-Learning und Blended Learning unterschieden.
Wie kann man in diese Begriffsvielfalt eine Ordnung bringen? Ich bin der Überzeugung, dass man die Übersicht verliert, wenn man sich zu sehr an den technologischen Ausprägungen und Nutzungsformen orientiert. Niemand käme auf die Idee, pädagogische Konzepte nach Kreidetafeln, Magnettafeln, Flipcharts, Pinnwänden oder Whiteboards zu strukturieren. Ich orientiere mich vielmehr an den Zielebenen der Lernkonzepte, die wir betrachten:
1. Wissensvermittlung: Diese Lernkonzepte verlagern das Prinzip des Frontalunterrichts in das Netz. Es handelt sich dabei um formelles, institutionelles Lernen, also mit vorgegebenen Lernzielen und –inhalten und einer strukturierten Lernprozesssteuerung. Die Lernprozesse sind dabei selbstgesteuert, d.h. sie erfolgen im Rahmen der Vorgaben im Lernprogramm oder durch den Trainer/Tutor in Eigenverantwortung der Lerner. Ob dies dann als „reines“ E-Learning über Computer in einem Klassenraum, zuhause oder über Smartphones mobile und in kleinen Häppchen (micro) erfolgt, ist dann eher eine organisatorische und kulturelle Frage.
2. Qualifikation: Auch hier handelt es sich um formelles, institutionelles Lernen, bei dem das Prinzip des Seminarlernens mit Wissensvermittlung und Übungen zur Wissenssicherung ins Netz übertragen wird. Hierbei werden klar umrissene Komplexe von Kenntnissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten in handlungszentrierter Form und in Verbindung mit Zertifizierungprozeduren vermittelt. Dieses Prinzip kann als „reines“ E-Learning mit aufgabenorientierten Web Based Trainings, aber vor allem im Blended Learning umgesetzt werden, bei dem die selbstgesteuerte Wissensvermittlung mittels E-Learning mit Übungsphasen im Rahmen von Web Based Trainings, aber insbesondere auch in Workshops, verknüpft wird. Diese Workshops können auch als live online Sessions in virtuellen Welten gestaltetet werden und durch Simulationen oder game based learning angereichert werden.
3. Kompetenzentwicklung: Diese Lernkonzepte orientieren sich an individuellen Kompetenzzielen der Lerner in Hinblick auf reale Herausforderungen in der Praxis und sind damit selbstorganisiert (Selbstorganisationdisposition). Die Lerner gestalten ihre Lernprozesse, z.B. über reale Projekte, selbst und legen ihre Ziele, Inhalte, aber auch Lern- und Sozialformen, Medien und Zeiten sowie Lernorte, häufig in Abstimmung mit Lernpartnern, Coaches oder Führungskräften, selbst fest. Damit bestimmen sie auch selbst über die Formen des E-Learning. Das formelle E-Learning wird um das informelle Lernen im Netz erweitert. Die Lernprozesse werden dadurch immer individueller, auch in Hinblick auf Ziele und Inhalte. Das Lernen findet dabei im Rahmen der Entwicklung zur Enterprise 2.0 immer mehr im Netz statt und wird zum Social Learning. Es findet zunehmend „vor Ort“ am Arbeitsplatz beim Lösen von realen Problemstellungen statt. Dabei werden die Möglichkeiten des Cloud Learning mit seinen nahezu unbegrenzten Wissensquellen („Open Courses“) konsequent genutzt. Den Lernern wird ein „Lernraum“ im Sinne der „Ermöglichungsdidaktik“ zur Verfügung gestellt, den sie nach ihrem individuellen Bedarf nutzen können.
Es macht also keinen Sinn, E-Learning aus der technologischen Brille zu klassifizieren und zu bewerten. Am Anfang steht, wie in jedem professionellen Lernkonzept die Frage der Ziele und daraus abgeleitet der Inhalte (Primat der Didaktik). Erst danach kann sinnvoll die Frage nach der Methodik und damit nach den geeigneten Formen des E-Learning gestellt werden. Da erfolgreiche Lernkonzepte sich immer an der vorhandenen Lernkultur orientieren müssen, werden wir dabei noch langfristig eine Mischung aus allen drei Zielebenen erfahren. Eines zeigt sich aber bereits jetzt in vielen Projekten: Durch die Erweiterung der Zielebenen um die Kompetenzentwicklung gewinnen Formen des E-Learning wie Social Learning und Cloud Learning in Verbindung mit Mobile- und Micro-Learning immer mehr an Bedeutung. Das Lernen bewegt sich damit wieder dorthin, wo es vor der Trennung zwischen Arbeit und Lernen im Seminar gewesen ist, nämlich an den Arbeitsplatz.
Ihr
Werner Sauter