Zugegeben, mit Kartenspielen habe ich nicht viel am Hut. Wenn, dann spiele ich mit meinen Enkeln Mau Mau. Trotzdem blieb ich an einem Artikel im Spiegel hängen, der das Lernen mit der „Zockeruniversität“ beschreibt (Spiegel 8/2012 Seite 110 ff.).
Dominik Kofert hat seit 2007 in Gibraltar die mit Abstand größte Online-Pokerschule (www.pokerstrategy.com) der Welt aufgebaut, bei der zwischenzeitlich mehr als fünf Millionen lernbegierige Pokerspieler aus aller Welt angemeldet sind. Auch der Poker-Weltmeister Pius Heinz, ein 22jähriger Student, hat die Schule durchlaufen. Die „Poker-Universität“ hat eine Vielzahl von Einführungen und ca. 2.500 Videos zu strategischen Fragen des Pokern in 18 Sprachen entwickelt, die den Lernern, je nach Kompetenzstufe, zur Verfügung stehen. Täglich finden mehrere „Live-Seminare“ statt, bei denen die Pokerschüler Profis online beobachten können, die in Online-Casinos real um Geld spielen. Sie hören dabei, wie die Trainer ihr Spiel erklären- was ihr Blatt wert ist, warum sie jetzt den Einsatz erhöhen, welche Hinterlist der Gegner wohl gerade verfolgt. Sie profitieren also hautnah vom Erfahrungswissen erfolgreicher Pokerprofis. Im Chat-Fenster können sie gleichzeitig ihre Fragen eingeben und mit den Profis besprechen. In Foren diskutieren die Pokerschüler alle erdenklichen Kartenkombinationen. " Es sind im Grunde Lerngruppen, die sich zusammen finden“, sagt Kofert. Die Spieler unterrichten sich in den Foren, die in 18 Sprachen stattfinden, großteils gegenseitig. Dieser Austausch von Erfahrungswissen trägt laut Vorstand Tobias Georgi maßgeblich zum Lernerfolg bei: „Nur was ich erklären kann, habe ich wirklich verstanden.“
Die Pokerschüler wenden dieses Wissen dann in realen Spielsituationen mit vollem Risiko an, d.h. sie entwickeln ihre Kompetenzen selbstorganisiert. Die Schulung ist kostenlos, weil die „Poker-Universität“ den angeschlossenen Casinos laufend neue Spieler zuführt. Jeder Schüler erhält sogar 50 Euro, die er als Spielgeld in einem der vielen Online-Casinos, mit denen die Schule zusammen arbeitet, einsetzt. Mit dieser neue erworbenen Kompetenz, etwas Glück und viel Ausdauer können die Schüler märchenhafte Gewinne einheimsen. Je erfolgreicher die Poker-Schüler in der Realität spielen, umso mehr verdienen sie (und natürlich die Schule und die Casinos).
Das System funktioniert, weil die Mehrheit der Poker-Spieler sich ausbeuten lässt; die vielen Gelegenheitszocker, „Fische“ genannt, die meinen, dass Poker ein reines Glücksspiel wäre. Solange es genug „Fische“ gibt, haben die Profis, „Haie“ genannt, keine Sorgen. Deswegen verspricht die Pokerschule allen Teilnehmern die „Hai-Kompetenz“. Deshalb werden die Schüler schon früh in die Praxis „geschubst“. Je mehr Umsatz sie in den Casinos machen, desto höher klettern sie im Status. Über Bronze, Silber, Gold und Diamond geht der Weg nach oben; auf jeder Stufe wird zum Lohn neues Profi-Wissen zum Pokern freigeschaltet. In der höchsten Stufe wird man zum „Black Member“ mit etwa 600 Mitgliedern, ähnlich wie in Online-Strategiespielen.
Auch wenn die Schule selbst andere Begriffe nutzt, sehe ich dieses Konzept als ein Modell für Kompetenzentwicklung im Netz an. Alle Schüler haben das gleiche Ziel, nämlich mit Pokern möglichst viel Geld zu verdienen. Sie verschaffen sich formelles Wissen über E-Learning Elemente selbstgesteuert, entwickeln ihre Kompetenzen selbstorganisiert in realen Spielsituationen online und tauschen ihr Erfahrungswissen mit Lernpartnern und Experten, d.h. in Communities of Practice, aus. Sind sie in der Praxis erfolgreich, können sie in einer weiteren Stufe weiteres formelles Wissen erlangen und in ihren realen Spielen anwenden. Das Ziel besteht auf allen Stufen darin, die eigene Poker-Kompetenz weiter auszubauen. Dabei definieren die Schüler ihre Kompetenzziele und die Lernwege dorthin weitgehend selbst.
Kompetenzentwicklung ist in der „Poker-Universität“ online möglich, weil die realen Spielsituationen ebenfalls online stattfinden. Nachdem in den Unternehmen immer mehr Geschäftsprozesse online gestaltet und gesteuert werden, bieten sich auch dort ähnliche Lernkonzepte an. Anders als die „Poker-Universität“ sind dort jedoch häufig noch viele Widerstände oder liebgewonnene Gewohnheiten abzubauen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass es sich lohnt, diesen Weg zur Kompetenzentwicklung im Netz weiter zu verfolgen und dass sich dieser Lernansatz auf Dauer durchsetzen wird, weil sich die Arbeitswelt entsprechend weiter verändert (vgl. dazu auch Erpenbeck/Sauter 2007; Kompetenzentwicklung im Netz- New Blended Learning mit Web 2.0 und Kuhlmann/Sauter 2009; Innovative Lernsysteme – Kompetenzentwicklung mit Blended Learning und Social Software).
Ihr
Werner Sauter