Werte – Hochglanzpapier versus Handeln im Alltag

Zum Neuen Jahr wünsche ich Ihnen alles Gute und viel Erfolg! Ich habe mir vorgenommen, weiterhin in diesem Blog meine Erfahrungen und Gedanken zur Diskussion zu stellen.  Ich erlebe dabei diese Kommunikationsform als einen guten „Zwang“, unsere Erfahrungen Überlegungen zu ordnen und einer breiten Diskussion auszusetzen. Deshalb freue ich mich  auf die weitere konstruktive Auseinandersetzung mit Ihnen.

Jeder von uns musste sich schon mit unfairen Handlungsweisen von Dienstleistern rumschlagen, obwohl diese in ihren Hochglanzbroschüren meist höhere Werte formulieren. Wie ich gerade jetzt wieder erlebt habe, handeln Mitarbeiter, vor allem in Konfliktsituationen, immer wieder aber ganz anders. So musste ich mich beispielsweise gegen bewusste Lügen und willkürliche Interpretationen von Aussagen und einseitige Vertragsänderungen ohne Rücksprache wehren, obwohl auf der Website dieses Unternehmens formuliert wird:  „Wir gehen fair und respektvoll miteinander um. Wir begegnen uns vertrauensvoll, setzen uns offen mit unterschiedlichen Meinungen auseinander und suchen den Dialog.“

Solch formulierte Werte sind ausschließlich auf der Ebene der normativen Leitlinien, Visionen und Grundsätze angesiedelt. Sie erscheinen als etwas Hehres, Entrücktes, aber auch schnell Veränderbares. Also offensichtlich auch als etwas, worauf man in der „niedrigen“, alltäglichen Praxis nicht unbedingt zu achten braucht. Auch in unserem sonstigen Leben denken wir oft an hehre Ideale, wenn wir über Werte sprechen: Eine saubere Umwelt, faire Entlohnung, Rechtssicherheit, soziale Gerechtigkeit, Arbeit, Gesundheit, Partnerschaft, Demokratie, Freizeit, Bildung, Freunde, Wohlstand usw.

Eine solche Sicht ist aus zwei Gründen problematisch. Die substantivierte Form zeigt schon an, dass man sich solche Werte gleichsam als „Gegenstände“, als etwas Objektives vorstellt. Tatsächlich sind Werte Produkte von Wertungsprozessen, sind also immer Wertungsresultate:

Werte sind Bezeichnungen dafür, “was aus verschiedenen Gründen aus der Wirklichkeit hervorgehoben wird und als wünschenswert und notwendig für den auftritt, der die Wertung vornimmt, sei es ein Individuum, eine Gesellschaftsgruppe oder eine Institution, die einzelne Individuen oder Gruppen repräsentiert.”[1]

Werte ermöglichen ein Handeln auch in unsicheren, überraschenden Situationen. Sie “überbrücken” oder ersetzen fehlende Kenntnisse, schließen die Lücke zwischen Kenntnissen einerseits und dem Handeln andererseits. Es gibt kein kompetentes Handeln ohne Werte – Werte konstituieren kompetentes Handeln. Deshalb ziehen z.B. viele den erfahrenen Arzt dem Prädikatsabsolventen, der frisch von der Universität kommt, vor.

Weiterhin wird deutlich, dass Werte unser gesamtes Denken und Handeln durchdringen. Jeder Mensch wertet in nahezu jedem Augenblick seines Handelns. Er richtet sich, oft mehr ahnend als wissend, danach, welchen Genuss oder Nutzen, welches ethische Gefühl oder welche politische Bestärkung ihm sein Handeln zu vermitteln vermag. Ohne Werte wäre der Mensch nur ein wissensgesteuerter Automat.

Es ist auch verräterisch, wenn obere Führungskräfte immer wieder an ihre Mitarbeiter appellieren, die formulierten Werte zu leben. Die Wirkung dieser „Ermahnungen“ kennen wir alle. Damit stellt sich die zentrale Frage, wie man Werte  „weitergeben“ kann, so dass sie im betrieblichen Alltag tatsächlich das Handeln aller Mitarbeiter bestimmen. Für die Antwort auf diese Frage ist entscheidend, dass Werte nur wirksam werden, wenn sie von einzelnen Menschen verinnerlicht, interiorisiert, zu eigenen Emotionen und Motivationen umgewandelt wurden.  Was ist also die eigentliche „Drehscheibe“ des Wertlernens, und damit des Kompetenzlernens?

Werte lassen sich nicht instruktional vermitteln. Auch der Steuerhinterzieher weiß,  dass man dem Finanzamt seine Einkünfte ehrlich angeben muss. Jedem Kind bringen wir die zehn Gebote, oder zumindest einige davon, in der einen oder anderen Form bei. Oft kann es diese auswendig hersagen. Deshalb hat es sich diese noch lange nicht angeeignet, zu Emotionen und Motiven seines eigenen Handelns gemacht.

Es ist bei den Werten wie mit den eigenen Erfahrungen. Dabei handelt es sich ebenfalls um Wissen im weiteren, emotions- und motivationsgestützten Sinne, das durch die Menschen in ihrem eigenen geistigen oder gegenständlichen Handeln selbst gewonnen wurde und unmittelbar auf einzelne Erlebnisse dieser Menschen zurückgeht. Natürlich lassen sich Erfahrungen vermitteln – aber nur in Form von Wissen im engeren Sinne, von Kenntnissen, nicht als Erfahrungen desjenigen, dem sie vermittelt werden sollen.

Erfahrung kann man nur selbst machen. Sie können nur selbst handelnd, selbstorganisiert gewonnen werden. Jedes selbst und unmittelbar gewonnene Wissen eines Menschen ist durch die in Lebens- und Erlebensprozessen vor sich gehende Ausbildung von Emotionen, Motivationen, Willensentscheidungen, Werten und individuellen Kompetenzen flankiert. Jeder von Gruppen, Unternehmen,  Organisationen usw. erzielte Wissensgewinn ist von einer in Lebens- und Erlebensprozessen gegründeten Ausbildung von Werten, Normen, Regeln und überindividuellen Kompetenzen, beispielsweise Team-, Unternehmens- oder Organisationskompetenzen, begleitet.

Auch Werte werden durch die Menschen in ihrem eigenen geistigen oder gegenständlichen Handeln selbst angeeignet und gehen unmittelbar in die einzelnen Erlebnisse dieser Menschen ein. Auch bei ihnen lässt sich nur das den Werten zugrunde liegende Wissen im engeren Sinne, lassen sich nur die begründenden Kenntnisse vermitteln, aber nicht als Werte für denjenigen, dem sie vermittelt werden sollen.

Werte können deshalb nur selbst handelnd, selbstorganisiert in realen Entscheidungssituationen im Prozess der Arbeit („Workplace Learning“) angeeignet werden.

Dieser Aneignungsprozess wird psychologisch als Interiorisation (oft auch Internalisation) bezeichnet. Deshalb brauchen wir in den Unternehmen Lernsysteme, die auf dem Ansatz der „Ermöglichungsdidaktik“ aufbauen und den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihre Werte- und damit Kompetenzentwicklung selbstorganisiert in ihrem Netzwerk zu gestalten.


[1] Baran,P.(1990),  S.805

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