Sie haben sich endlich entschließen müssen, ein Training „Projektmanagement“ zu besuchen. Immer häufiger ist in Ihrer Organisation, in Ihrem Unternehmen von Projektmanagement die Rede. Schon mehrmals sollten Sie einen Qualifizierungslehrgang Projektmanagement besuchen, aber Ihnen grauste vor der Verpflichtung, wieder die Schulbank zu drücken. Sie wussten, dass Sie von solchen Lehrgängen gewöhnlich nicht viel mehr mitnehmen, als Sie ohnehin schon wissen. Und Sie wissen ziemlich viel. Sie haben schon so manches Projekt gemanagt, ohne sich als Projektmanager zu fühlen.
Eine gute Atmosphäre empfängt Sie, Kolleginnen und Kollegen Ihres Alters, besonders freundliche, vertrauenserweckende Trainer. Das Trainingsprogramm wird vorgestellt. Sie sollen einen praxisnahen Einstieg in die wichtigsten Methoden und Werkzeuge des Projektmanagements erhalten. Sie trainieren anhand zahlreicher Übungen und Fallbeispiele. Flugs werden die Begriffe und Grundlagen des Projektmanagements erläutert, Rollenverteilungen abgegrenzt, Projektziele definiert und die Erwartungen der Stakeholder bestimmt. Dann geht es daran, Projekte in Fallstudien zu planen, ihre Strukturen, Abläufe, Kosten und Qualitätskontrollen zu organisieren, eventuelle Risiken abzuschätzen. Schließlich das Projekt zu einem guten Abschluss zuführen und alle Erfolge und wenigen Misserfolge zu dokumentieren. Sie trainieren sogar, Ihr Projektteam zu entwickeln und zu führen, ein Schwachpunkt bisher, Sie wissen es. Sie arbeiten und entscheiden lieber allein.
Trotz netter und informativer Pausengespräche, trotz eines hervorragenden Caterings, trotz der wunderschönen Tiroler Alpenumgebung, Sie fahren nach drei Trainingstagen mit einem ziemlich unbefriedigten Gefühl nach Hause.
Warum?
Es war doch ein wirklich professionelles Training, mit einer Fülle auch unbekannten, neuen Wissens, einer Menge guter Tipps und hilfreicher Hinweise; Sie haben die Ihnen gebührenden Professional Development Units (PDU) erhalten. Warum fühlen Sie sich so wenig davon bereichert, so wenig in Ihrer Entwicklung weitergebracht?
Wenn Sie das Training noch einmal geistig Revue passieren lassen, dämmert es Ihnen. Das neue Wissen, so wissen Sie, wird in sechs, acht Wochen bis auf Reste vergessen sein. Was Sie davon konkret brauchen müssen Sie sich neu, nicht unter Spiel-, sondern unter emotional außerordentlich belastenden Realitätsbedingungen erarbeiten. Vergebliche Hoffnung, dass Sie sich im Bedarfsfall erinnern werden; dies hat nur selten geklappt. Aber auch die Tipps und Hinweise waren zu allgemein, um in konkreten Arbeitssituationen hilfreich zu sein. Ihre Handlungsfähigkeit in konkreten, eventuell scheiternsgefährdeten Projekten, mit offenen Situationen, Risiken und Problemen hat sich dadurch kaum verbessert. Wertehaltungen wie Zuversicht, Antrieb, Mut, Entschlossenheit, Risikofreude, Selbstvertrauen, Begeisterung haben sich kein bisschen eingestellt.
Wodurch auch?
Die Übungen und Fallbeispiele zu bewältigen war interessant, manchmal sogar spannend, aber nie emotional stark berührend oder belastend. Ihre Kompetenzen haben sich kaum erhöht, nicht weil das dargebotene Wissen nicht ausreichte, sondern weil sich die notwendigen Werte als Kompetenzkerne nicht entwickeln konnten. Dafür war Ihre emotionale Beteiligung viel zu gering. Eine gezielte Werteentwicklung war nicht beabsichtigt und fand, auch beiläufig, kaum statt.
Wir haben dieses Beispiel so ausführlich dargestellt, weil die Mehrzahl der in Organisationen und Unternehmen durchgeführten Trainings ähnlich abläuft. Auch wenn sie zuweilen als Kompetenztraining firmieren, sind sie im Grunde wissensorientierte Weiterbildungsveranstaltungen. Dagegen ist zunächst einmal überhaupt nichts zu sagen. Die Einführung neuer, insbesondere digitaler Technologien, neuer Software, neuer innerbetrieblicher Strukturen und Kommunikationskanäle, neuer Sicherheitsbestimmungen und -maßnahmen erfordert, dass sich die Beteiligten das neue Wissen möglichst schnell und effektiv selbst aneignen. Die Weiterbildung hat das ebenso effektiv zu ermöglichen. Die Einführung einer neuen Software sollte möglichst ohne emotionale Belastungen und Irritationen geschehen.
Das Eindrillen faktischer Sachverhalte, ob es sich um das Einmaleins oder um Fremdsprachenvokabeln und Fremdsprachenkomplexe (Pattern Drill), Elementarformeln in Physik, Chemie, Biologie oder auch komplexere Wissensstrukturen wie in Betriebswirtschaft, Recht oder IT handelt, ist aus praktischen und ökonomischen Gründen oft angezeigt. Man kann das als Drillkompetenz bezeichnen – mit einer wirklichen Kompetenz hat es weder im Prozess noch im Resultat etwas zu tun. Der emotionale, wertende Untergrund, sich einem solchen Drillprozess zu unterziehen, muss nämlich im Vorfeld bereitet werden. Der Software-Nutzer will seine eigene erfüllende Arbeit mithilfe des neuen Releases verbessern, der Fremdsprachen Lernende möchte sich endlich in internationalen Meetings sicher und ausdrucksstark verständigen können, der angehende Arzt oder Jurist übt seinen Beruf – hoffentlich – mit Freude aus, der Drill ist dafür Mittel zum Zweck. Kurzum, es gibt Trainings, die mit gezielter Werte- und Kompetenzentwicklung nichts zu tun haben.
Gezielte Werte- und Kompetenzentwicklung hat dagegen Handlungsfähigkeit in der betrieblichen Praxis, im Arbeitsprozess, zum Ziel. Die Fähigkeit, selbstorganisiert und erfolgreich zu handeln, also Kompetenzen, können bei Menschen auf folgenden Wegen entstehen:
- Im personalen Aspekt: durch interne Prozesse in ihnen selbst: Also durch Veränderungen ihrer wertebezogenen Einstellungen, Emotionen, Motivationen, Orientierungen, Haltungen.
- Im aktivitätsbezogenen Aspekt: durch Erhöhung ihres Aktivitätsniveaus, also durch Veränderung ihrer stets wertenden Aufmerksamkeit, Aufgewecktheit oder Neugier.
- Im wissensbezogenen Aspekt: durch Erweiterung ihrer kreativ anwendbaren Wissensbestände, also durch Aufbau ihres Fachwissens, ihres überfachlichen Wissens oder ihres Methodenwissens.
- Im sozial-kommunikativen Aspekt: durch Erweiterung ihrer sozialen und kommunikativen Beziehungen, ihrer stets sozial gegründeten Werteorientierungen Ausdrucksfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit.
Nicht zufällig beziehen sich diese Erweiterungen auf die großen Bereiche der Basiskompetenzen: personale, aktivitätsbezogene, fachlich-methodische und sozial-kommunikative Kompetenzen. Während bei der Kompetenzentwicklung alle Bemühungen auf die Erweiterung der Fähigkeiten gerichtet sind, selbstorganisiert und kreativ in offenen Situationen zu handeln, so ist eine gezielte Werteentwicklung auf die Wertekerne dieser Kompetenzen orientiert, die als Ordner selbstorganisierten Handelns dienen.
Deshalb stellt sich für Bildungsplaner die Frage, warum sie immer noch so viel Energie auf die Entwicklung von Fallstudien und ähnlicher formeller Trainingsformen verwenden, wenn doch das Lernen in realen Herausforderungen, in der Praxis, erst Kompetenzentwicklung möglich macht. Nur wenn wir uns von der tradierten „Belehrungsdidaktik“ mit fremdgesteuerten LEHRarrangements abwenden und im Rahmen der „Ermöglichungsdidaktik“ LERNarrrangements entwickeln, die selbstorganisierte Werte- und Kompetenzentwicklung ermöglichen, wird das Lernen die Effizienz erreichen, die immer dringender benötigt wird. Dies erfordert einen Paradigmenwechsel für das Corporate Learning und die Rollen aller Beteiligten. Veränderungen sind oftmals schmerzhaft und erfordern viel Kraft und Zeit Deshalb verharren immer noch viele, trotz besseren Wissens, auf den seminaristischen, trainingsorientierten LEHRarrangements.