„Jedes absichtsvolle menschliche Handeln ist wertgegründet. Ohne Werte gibt es keine Kompetenzen, also keine Fähigkeiten zu selbstorganisiertem, kreativem Handeln.“
John Erpenbeck 2017
Die Gesellschaft und insbesondere unsere Arbeitswelt wandeln sich mit zunehmender Dynamik. Industrie 4.0, Digitalisierung, demografischer Wandel oder Migration verändern unsere Denk- und Handlungsweisen. Unsere Welt wird immer unberechenbarer und die Unsicherheit sowie die Komplexität nehmen zu. Deshalb kommt den Werten und dem Wertmanagement eine immer größere Bedeutung zu.
Werte sind immer das Resultat von Bewertungsprozessen. Sie durchdringen unser gesamtes Leben und Handeln. Wir handeln fast immer – bewusst oder unbewusst – wertend. Werte, die wir verinnerlicht haben, schließen die Lücke zwischen Wissen und dem Handeln. Ohne Werte können wir nicht kompetent handeln, wäre der Mensch nur ein wissensgesteuerter Automat.
Allerdings wirken Werte nur, wenn ihre Sinnhaftigkeit im eigenen Handeln erlebt und emotional positiv gespeichert wird. Den Vorgang der Umwandlung von Regeln, Werten und Normen in eigene Emotionen und Motivationen bezeichnet man oft als Interiorisation oder Internalisation. Er ist neuropsychologisch kompliziert, aber in seinen Grundelementen einfach und oft beschrieben. Erfahrungen, die wir sammeln, wenn wir Handeln, führen zur emotionalen Verankerung der für die Entscheidungen – oft unbewusst – herangezogenen Werte.
Wertemanagement findet heute fast immer „top-down“ statt. Die meisten Unternehmen arbeiten mit einem vom Vorstand oder in Zusammenarbeit mit einer externen Unternehmensberatung vorgegebenen Wertekanon, den sie gerne in ihren Hochglanzbroschüren und auf ihren Homepages vermitteln. Diese Werte sind ausschließlich in der Ebene der normativen Leitlinien, Visionen und Grundsätze angesiedelt. Sie erscheinen als etwas Hehres, Entrücktes, aber auch schnell Veränderbares. Die regelmäßigen Appelle an die Mitarbeiter und Führungskräfte, diese Werte zu »leben«, entlarven die praktische Wirkung dieser schönen Formulierungen sehr treffend. E-Learning Programme zu Compliance oder Anti-Diskriminierung mögen Juristen zufrieden stellen, die rechtssicher nachweisen wollen, dass jeder Mitarbeiter sich mit diesen Themen „beschäftigt“ hat. Eine Veränderung der Unternehmenskultur und der Denk- und Handlungsweisen der Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen wird man dadurch jedoch mit Sicherheit nicht erreichen.
Wertemanagement von „oben“ ist weitgehend sinnlos und kann höchstens im Rahmen von Marketingmaßnahmen eine begrenzte Wirkung erzielen.
Werte können nicht instruktional vermittelt oder gelehrt werden. Vielmehr ist die Verinnerlichung von Werten durch jeden einzelnen Mitarbeiter der Schlüsselprozess jeder Wertaneignung und damit auch jedes wirksamen Wertemanagements. Informationsveranstaltungen oder Gespräche über die Unternehmenswerte werden mit Sicherheit nicht dazu führen, dass die Mitarbeiter danach handeln. Tatsächlich werden Werte durch die Menschen erst in ihrem eigenen geistigen oder gegenständlichen Handeln selbst angeeignet und gehen unmittelbar in die einzelnen Erlebnisse dieser Menschen ein.
Werte können deshalb nur selbst handelnd, selbstorganisiert in realen Entscheidungssituationen im Prozess der Arbeit („Workplace Learning“) angeeignet werden. Diese Interiorisierung von Werten findet damit immer auf der Ebene der Individuen, also der Mitarbeiter und Führungskräfte statt. Deshalb kann ein effektives Wertemanagement nur „bottom-up“ erfolgen.
Das Ziel des Wertemanagements besteht darin, die personalisierte Wertinteriorisation aller Mitarbeiter einer Organisation innerhalb eines normativen Orientierungsrahmens zu ermöglichen.
Zielgerechtes Handeln und Entscheiden erfordert einen klaren Orientierungsrahmen und entsprechende Leitlinien, die die Frage nach dem »Warum und wozu« beantworten. Ein normativer Handlungsrahmen orientiert sich konsequent an den strategischen Zielen und Prinzipien im Corporate Learning und führt die Ergebnisse der Diskussion über die Ausrichtung des Unternehmens zusammen. Die daraus abgeleiteten Leitlinien dienen dazu, Entscheidungsträgern, Führungskräften und Mitarbeitern Orientierung zu geben, so dass die personalisierten Prozesse der Wertentwicklung im Unternehmen eine Orientierung bekommen.
Das Wertemanagement ist wiederum die Voraussetzung für eine bedarfsgerechte Kompetenzentwicklung, da Werte ein Handeln auch unter kognitiver Unsicherheit erst möglich machen.
Es gibt kein kompetentes Handeln ohne Werte – Werte konstituieren kompetentes Handeln. Deshalb ziehen z.B. die meisten Menschen den erfahrenen Arzt dem Prädikatsabsolventen, der frisch von der Universität kommt, vor. Wir benötigen darum für die Entwicklung von Werten Prozesse, die den Mitarbeitern die Möglichkeit geben, ihre Werte und damit ihre Handlungssicherheit selbstorganisiert bei der Bearbeitung von herausfordernden Aufgaben in der Praxis und in ihrem Netzwerk zu entwickeln. Wertemanagement und Kompetenzmanagement sind untrennbar miteinander verbunden.