Diese Tage hat mich ein neues Buch von Anne-Kathrin Mayer (Hrsg.) mit dem Titel „Informationskompetenz im Hochschulkontext. Interdisziplinäre Forschungsperspektiven“[1] zunächst neugierig, dann sehr nachdenklich gemacht. Der technologische Wandel und die zunehmende Digitalisierung haben danach angeblich die Prozesse des Lernens, Lehrens und wissenschaftlichen Arbeitens im Hochschulkontext nachhaltig verändert. Dies hätte weitgehende Auswirkungen auf das Konzept der Informationskompetenz, die Gegenstand Lebenslangen Lernens ist.
Dieser Sammelband spiegelt in sehr deutlicher Weise, vermutlich ungewollt, die aktuelle und kaum glaubliche tradierte Denkweise im Hochschulbereich wider. In insgesamt 12 Beiträgen stellen die einzelnen Autoren aus dem Hochschulbereich theoretische Konzepte, Erhebungsmethoden und Ansätze zur Förderung von Informationskompetenz an deutschen Hochschulen vor. Informationskompetenz wird dabei als Fähigkeit und Fertigkeit verstanden, situationsangemessen mit Informationen umzugehen. Thematisiert werden die Veränderungen des Konzepts „Informationskompetenz“ infolge des technologischen Wandels, Initiativen und Programme zur Stärkung der Informationskompetenz an Hochschulen, standardisierte Assessment-Verfahren zur Erfassung der Informationskompetenz sowie Schulungs- und Trainingsprogramme zur Förderung der Informationskompetenz.
So weit so gut. Aber in elf (!) von zwölf Beiträgen bewegen sich die sehr allgemein gehaltenen Vorschläge zur Entwicklung der Informationskompetenzen ausschließlich auf der Ebene der „Wissensvermittlung“ und der Qualifikation und gehen von der Fiktion aus, dass Informationskompetenz „vermittelt“ werden kann. Als Einziger kam Steffen Albrecht vom Medienzentrum der TU Dresden zur Erkenntnis, dass Informationskompetenz nicht allein in Form des Erlernens bestimmter Standards zur Erreichung vorgegebener Ziele vermittelt werden kann. Vielmehr erscheint es ihm notwendig, die Lernenden in die Lage zu versetzen, nicht nur auf dem Stand der Informationstechnologie kompetent zu agieren, sondern auch zukünftige Entwicklungen zu reflektieren und ihr Handeln entsprechend anzupassen. Weiter führt er aus, dass Informationskompetenz in den alltäglichen Praktiken der Studierenden und Wissenschaftler sowie ihrer sozialen Bezugsgruppen und Communities zu kontextualisieren sind.
Die Bildungsexpertin Gabi Reinmann zeigt in ihren Publikationen anschaulich auf, wie kompetenzorientierte Lernszenarien im Hochschulstudium verankert werden können: „Produktives Lernen […] erfordert […] dass man Studierende in ihren Forschungsaktivitäten anregt, bei Bedarf anleitet, Kontexte und Ressourcen gestaltet und auf diese (oder andere) Weise den Prozessen des Lernens durch Forschen begleitet. Der Grad der Unterstützung bei dieser Begleitung kann variieren. […] Studierende lernen das selbstständige Forschen, indem sie Forschung erleben und aktiv (mit) gestalten. Lehren als Begleiten forschenden Lernens ist gängig in Projektseminaren, in (eigenständigen) Projekten, gegebenenfalls auch in Kolloquien, wenn diese entlang des Forschungshandelns angeordnet sind.“[2]
Die häufig geforderte Verbindung von Forschen, Lehren und Lernen führt zum forschenden Lernen. Gabi Reinmann hat diesen Prozess sehr anschaulich beschrieben: „Wörtlich genommen erfordert forschendes Lernen, dass Studierende selber forschen und alle Phasen der Forschung durchlaufen: also eine Fragestellung formulieren, den dazugehörigen Forschungsstand recherchieren, ein methodisches Design planen und umsetzen und schließlich die erzielten Erkenntnisse darstellen und präsentieren. Lernen, indem man selber forscht, bedeutet: Man lernt zu hinterfragen und selbständig begründete Fragen zu stellen; man lernt, sich für methodische Optionen zu entscheiden, um diese Fragen zu beantworten; man lernt, Ziele und Pläne in die Tat umzusetzen, also zu handeln.“Die Studierenden lernen damit, Kompetenzen selbstorganisiert aufzubauen. „Wenn Studierende selber forschen, wird es unsinnig, Lernergebnisse standardisieren zu wollen.“ Es ergibt keinen Sinn mehr, wenn alle „das Gleiche in gleicher Form lernen müssen“.[3]
Seit Bologna ist Kompetenz „…nur dann eine Kompetenz, wenn sie mit einem standardisierten Zeitaufwand an genau bestimmten Lernorten erworben wurde.“[4] Mit Problemlösungen in den Herausforderungen des Studiums, z.B. bei Informationsrecherchen in Forschungsprojekten, oder im beruflichen Alltag, mit selbstorganisierter, kreativer Handlungsfähigkeit hat das wenig zu tun.
Dem Ansatz von Steffen Albrecht gehört, insbesondere auch unter dem Aspekt der Entwicklung zu Human-Computer Information Retrieval Systemen (HCIR) die Zukunft. Es macht jedoch sehr nachdenklich, dass diese Sichtweise, die durch die aktuelle Kompetenzforschung getragen wird, in der Hochschullandschaft eine Außenseiterposition einnehmen. Die Eingangs zitierte Aussage, die Prozesse des Lernens, Lehrens und wissenschaftlichen Arbeitens im Hochschulkontext hätten sich nachhaltig verändert, führt sich ad absurdum.
[1] Anne-Kathrin Mayer (Hrsg.) mit dem Titel „Informationskompetenz im Hochschulkontext. Interdisziplinäre Forschungsperspektiven“ , Pabst Science Publisher 2015
[2] Reinmann G (2014) Prüfungen und forschendes Lernen. http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2014/12/Artikel_Pruefungen2_ForschendesLernen_Dez14_Preprint.pdf
[3] Reinmann G (2015) Lehren und Lernen mit Digital Natives im Kontext forschungsgeleiteter Lehre. Fünf Statements zur Zukunft akademischen Lehrens und Lernens, Vortrag am 3.6.2015, Universität Wien, http://gabi-reinmann.de/wp-content/uploads/2015/05/Vortrag_Wien_Juni2015.pdf
[4] Tremp P, Eugster B (2006) Universitäre Bildung und Prüfungssystem – Thesen zu Leistungsnachweisen in modularisierten Studiengängen. Das Hochschulwesen 5: S. 164