Internetbasiertes Wissen unterscheidet sich deutlich vom Wissen in traditionellen Lernumgebungen. Wissen war früher eine meist überschaubare Menge von Ideen, die als wahr galten, weil Wissen durch die Begrenzung auf gedrucktes Papier immer gefiltert war. Mit dem Internet in Verbindung mit Cloud Computing steht nun aber ein Medium mit nahezu unbegrenzter Kapazität zur Verfügung. Alleine dadurch verändert sich unser Wissen grundlegend, weil nicht nur gefiltertes und gesichertes Wissen veröffentlicht wird. Die Lerner müssen vielmehr erkennen, dass alles, was im Netz steht, von anderen angezweifelt werden kann. Alles ist diskutabel. Damit ähnelt Wissen im Netz dem Wissen, wie es sich in den vergangenen Jahrhunderten für Gelehrte und Forscher immer dargestellt hat.
Wissen im Internet ist damit keine Zusammenstellung von Fakten, sondern ein Set von Links und Verbindungen, die nur in ihrer Verknüpfung sinnvoll genutzt werden können. Zum Kern der gegenwärtigen Auseinandersetzungen stößt ein fundamental klarer Aufsatz des Biochemikers Gottfried Schatz unter dem Titel „Freiheit schafft Wissen“ vor.
„Vor etwa vierzig Jahren hielt der Bakteriologe George Packer Berry an der Harvard Medical School für seine Studenten eine Rede, in der er folgendes Geständnis ablegte: „Unsere Universität hat Ihr Bestes getan, um Ihnen die neuesten Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu vermitteln, doch etwa die Hälfte dessen, was wir Sie lehrten, ist wahrscheinlich falsch. Leider kann ich Ihnen heute nicht sagen, welche Hälfte.“ Die anwesenden Professoren quittierten diese Worte mit zustimmendem Kopfnicken, die anwesenden Eltern aber, die für die Ausbildung ihrer Kinder teuer bezahlt hatten, zeigten Unverständnis und Ärger. Kein Wunder, erwartet doch unsere Gesellschaft von der Wissenschaft, dass sie sicheres und endgültiges Wissen liefert, dass sie dieses Wissen sorgfältig verwaltet und dass sie es an junge Menschen weitergibt.
Hier sind beinahe alle Schwierigkeiten angesprochen, die es so schwer machen, eine vernünftige, aber schwer zu messende und zu kontrollierende Kompetenzentwicklung gegen die Illusion einer kontrollierten Wissensvermittlung durchzusetzen – die natürlich im Zeitalter nahezu grenzenloser Verfügbarkeit von Sach- und Fachwissen doppelt unvernünftig wird.
Wissen lässt sich nicht „vermitteln“, nicht einfach weitergeben, es sei denn, man glaubt an die Wirksamkeit des Nürnberger Trichters. Wissen muss jeder im eigenen Kopf neu aufbauen, Pädagogik kann diesen Aufbau nur ermöglichen. Dieses Konzept einer Ermöglichungsdidaktik, ein Fundament des pädagogischen Konstruktivismus, ist ebenso wahr wie unbeliebt. Es verunsichert die Lernenden, die Zensuren für Gedächtnisleistungen bevorzugen, die Eltern, die keine klaren Besser-Schlechter-Vergleichsmaßstäbe mehr haben, die Lehrer, deren Geschäft dadurch deutlich erschwert wird – vor allem aber die unterschiedlichsten Bildungsinstitutionen, von den Schulen bis zu den Ministerien und den europäischen Validierungsinstanzen, die lieber das Unsinnige genau als das Sinnvolle, den kreativen selbstorganisierten Wissensaufbau, ungenauer zertifiziert wissen wollen.
Wissen ist wertvoll, doch wir dürfen es nicht überbewerten. Unsere Schulen, unsere Universitäten, aber leider auch viele betrieblichen Bildungsverantwortliche setzen zu einseitig auf Wissen und vergessen dabei, dass Wissen letztendlich nichts anderes ist als die notwendige Voraussetzung für Kompetenzen, die wiederum die Basis für den Unternehmenserfolg bilden.