Vergangene Woche habe ich auf der Zukunft Personal unsere Überlegungen zum Workplace Learning zur Diskussion gestellt. Wir gehen davon aus, dass dieser innovative Lernansatz die Lernsysteme in den Unternehmen in der Zukunft bestimmen werden. Die Entwicklung der Lerntechnologien macht es aber bereits heute möglich, die betriebliche Lernwelt in dieser Weise zu gestalten. Dabei gehen wir vor allem von folgenden Überlegungen aus.
Workplace Learning ist die Kompetenzentwicklung am Arbeitsplatz und in Arbeitsprozessen.
Die Lerner erhalten in diesem Lernsystem die Möglichkeit, Kompetenzziele und die dafür erforderlichen Wissens- und Qualifikationsziele eigenverantwortlich zu definieren, ihre Kompetenzentwicklungs-Prozesse innerhalb eines Ermöglichungsrahmens selbst zu organisieren und umzusetzen und Problemlösungen in der Praxis allein oder kollaborativ zu entwickeln.Definiert man Work Place Learning in diesem Sinne, verändern sich nicht nur die Lernorte, sondern vor allem die Ziele und Inhalte, aber auch die Lernmethodik. Workplace Learning bedeutet konsequent umgesetzt einen Paradigmenwechsel. Nicht mehr die Personalentwickler oder die Trainer sind primär für die Lernprozesse der Lerner verantwortlich. Diese organisieren nunmehr ihre Kompetenzentwicklung selbst und in eigener Verantwortung. Formelle Lernprozesse zum Wissensaufbau und zur Qualifikation bilden dafür die notwendige Voraussetzung, sind aber nicht das Ziel.
Diese Lernprozesse am Workplace sind durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
- Kompetenzziele: Die Optimierung der Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter in der Praxis und damit ihres Beitrages zum Unternehmenserfolg ist das Richtziel. Dies erfordert individuelle, selbst definierte Lernziele, die sich konsequent an den Kompetenzentwicklungs-Möglichkeiten jedes Lerners orientieren.
- Kompetenzorientiertes Lernen: Die Kompetenzentwicklung wird regelmäßig aus verschiedenen Blickwinkeln, der des Lerners, seines Lernpartners, des Lernbegleiters oder der Führungskraft, gemessen, analysiert und ausgewertet. Im Abgleich dieser individuellen Kompetenzen, aber auch der Ergebnisse aus Learning Analytic Tools, mit den Rahmenbedingungen und den Möglichkeiten des Lernsystems definiert jeder Lerner seine persönlichen Kompetenzentwicklungsziele. Dies erfolgt meist in einem Diskussionsprozess mit dem Lernpartner und evtl. der Führungskraft. Auf dieser Grundlage werden die Lernziele bei Bedarf immer wieder angepasst und die Lernprozesse in einem dynamischen Prozess durch die Mitarbeiter selbst in Abstimmung mit ihren Lernpartnern und evtl. dem E-Mentor laufend optimiert. Damit entwickelt jeder Teilnehmer seine individuelle Lernstrategie.
- Selbstorganisiertes Lernen: Innerhalb des Ermöglichungsrahmens, den der Lerner über die soziale Lernplattform nutzen kann, organisiert er seinen Kompetenzentwicklungsprozesse in Abstimmung mit seinen Lernpartnern und evtl. des E-Mentors selbst. Dabei orientiert er sich an den Vereinbarungen mit der eigenen Führungskraft und an dem verbindlichen Werterahmen des Unternehmens. Mit Hilfe seines E-Portfolios kann er seine persönlichen Lernprozesse planen und dokumentieren.
- Individueller Wissensaufbau und Qualifizierung: Dieser Bereich wird über eine Vielzahl stark modularisierter Web Based Trainings und Lernvideos (Micro-Learning) ermöglicht, die das erforderliche systematische und aktuelle Managementwissen kontextsensitiv zur Verfügung stellen. Die Lerner bearbeiten in ihren WBT kooperativ problembezogene Aufgabenstellungen zum Wissensaufbau, aber auch Reflexionen und Fallstudien. Jeder Lerner eignet sich damit gezielt das fehlende Wissen „on-demand“ an, das er zur Lösung der Aufgaben in der Praxis und in Praxisprojekten benötigt. Hierbei können sie auch Mobile-Learning Systeme nutzen, so dass sie räumlich ungebunden sind. Lernmethodik und –geschwindigkeit, aber auch Ort und Zeitpunkt der Bearbeitung der Lernprogramme und Aufgabenstellungen werden von jedem Lerner selbstverantwortlich festgelegt.
- Orientierung und Reflexion in Workshops: In einem Blended Learning Konzept können die Lerner ihre Erfahrungen regelmäßig in Workshops reflektieren und anwenden. Offene Fragen aus der Praxis, den Projekten oder Transferaufgaben werden bei Bedarf mit Experten und oberen Führungskräften bearbeitet. Es wird immer wieder weiterführendes Wissen ausgetauscht, vor allem zu aktuellen Inhalten oder aus der unternehmensbezogenen Führungspraxis. In diversen Übungen werden Methoden und Führungstechniken im „Labor“, z.B. mittels Rollenspielen, trainiert. Darüber hinaus erhalten die Lerner in der Diskussion Hilfen für die Zeit des selbst organisierten Lernens. Schließlich werden jeweils verbindliche Vereinbarungen für die jeweils nächste Selbstlernphase getroffen. Weiterhin werden in die Workshops Elemente mit Event-Charakter, wie z.B. Kaminabende mit oberen Führungskräfte oder Outdoor-Übungen, integriert.
- Kompetenzaufbau über Transferaufgaben: Neben dem Wissensaufbau und der Qualifizierung übernehmen die Lernprogramme auch die Aufgabe, über offene Transferaufgaben, die sich an realen Problemstellungen aus der Praxis orientieren, erste Kompetenzentwicklungsprozesse zu initiieren. Diese Lernprozesse können durch weitere kurzfristig vereinbarte Transferaufgaben verstärkt werden. Die dabei gewonnenen Erfahrungen werden mit Lernpartnern und in der Community of Practice ausgetauscht und diskutiert.
- Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit und in realen, herausfordernden Projektaufträgen: Nicht mehr Seminartermine oder E-Learning-Angebote, sondern die aktuellen, herausfordernden Aufgaben in der Praxis, wenn beispielsweise herausfordernde Planungsaufgaben, Auswahlentscheidungen, Delegation von Aufgaben oder schwierige Mitarbeitergespräche zu bewältigen sind, initiieren und bestimmen die selbstorganisierten Lernprozesse. Diese werden regelmäßig durch die Vorgesetzten der Teilnehmer im Rahmen der Mitarbeitergespräche unter Einbeziehung der Kompetenzmessungen sowie evtl. weiterer Kennzahlen aus dem Learning Analytics System analysiert und bewertet. Lernen ist damit von der eigenen Kompetenzentwicklung nicht mehr zu trennen und erfolgt bevorzugt kollaborativ im Prozess der Arbeit selbst. Formelle Lernangebote, z.B. Web Based Trainings, Lernvideos oder Podcasts, werden innerhalb des Ermöglichungsrahmens bei Bedarf vom Lerner aktiv gesucht und zeitnah in seinen Lernprozess mit einbezogen, bilden aber nicht das Zentrum des Lernens.
- Kompetenzorientiertes Wissensmanagement: Das Erfahrungswissen, das die Lerner in ihren Lernprozessen aufbauen, tauschen sie mit ihren Lernpartnern über Lerntagebücher (Blogs) aus und entwickeln es im Rahmen der Community of Practice zu gemeinsamem Wissen weiter. Die Gruppenmitglieder verpflichten sich, diese Lerntagebücher zu lesen und zu kommentieren, bei Bedarf Hilfestellung zu Anregungen zu geben. Dadurch entsteht ein netzbasierter Entwicklungsprozess, der alle Gruppenmitglieder an dem gewonnen Erfahrungswissen teilhaben lässt. Gleichzeitig wird Lernen im Netz initiiert, geübt und systematisch optimiert
- Strukturierungshilfen für individuelles Lernen: Das Lernsystem unterstützt die Lerner bei der Planung ihrer individuellen Lernprozesse. Sie optimieren damit im Laufe der Zeit gemeinsam mit ihren Lernpartnern und evtl. Lernbegleitern ihre individuellen Lernprozesse.
- Feedback: Selbst organisiertes Lernen erfordert zwingend regelmäßige Rückmeldungen. Die Mitarbeiter werden dadurch in die Lage versetzt, ihre Lernstrategien laufend zu optimieren, Kompetenzentwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und diese Lücken gezielt zu schließen. Deshalb kommt dem Austausch und der Diskussion von Erfahrungswissen mit Lernpartnern, Experten und Führungskräften eine zentrale Bedeutung zu. Im formellen Lernbereich spielen Rückmeldungen aus standardisierten Aufgaben der Lernprogramme durch den Computer, verbunden mit einem Scoringsystem, eine Rolle. Learning Analytic Tools bereiten die Lernerdaten individuell auf und geben den Lernen damit wichtige Hinweise zur Optimierung ihrer individuellen Lernprozesse,
- Vergleichsmaßstäbe: Selbst organisiertes Lernen erfordert Vergleichsmaßstäbe. Deshalb werden Arbeitsergebnisse aus der Praxis und Projektergebnisse in der Community of Practice, Ausarbeitungen zu Übungen und Transferaufgaben in der Learning Community präsentiert und diskutiert. Diese Prozesse werden mit Hilfe von Social Software optimiert.
- Lernwegflankierung durch Co-Coaching: Lerntandems unterstützten sich emotional, motivational und lernstrategisch. Die Tandemtreffen werden über Telefon, Skype, E-Mail, Zweier-Chat oder auch über persönliche Treffen gestaltet. Jedes Tandem bringt seine Arbeitsergebnisse in die jeweilige Lerngruppe sowie evtl. den Kurs ein. Zu den Ergebnissen gibt es wieder Rückmeldungen durch die Lernpartner oder die Lerngruppe. Lerngruppen entwickeln Lösungen bzw. Präsentationen für komplexe Herausforderungen aus der Führungspraxis. Außerdem tauschen sich die Mitglieder der Lerngruppen intensiv über ihre Projektfortschritte, aber auch ungelöste Probleme aus und unterstützen sich gegenseitig in ihren individuellen und organisationalen Lernprozessen.
- Lernen im Netz mit Social Software: Soziales Lernen setzt eine qualitativ höhere Vernetzung von Lern- und Kooperationspartnern voraus, über Kanäle, die nicht nur Sachwissen transportieren, sondern es auch ermöglichen, Urteile und emotional-motivationale Bewertungen zu kommunizieren. Hierfür wird eine Soziale Lernplattform benötigt, die kollaboratives Arbeiten und Lernen ermöglichen.
- Communities of Practice: Die Lerner bauen ihr Netzwerk systematisch auf, indem sie eine Community of Practice bilden. Regelmäßig treffen sich die neuen und die schon bisher in dieser Gruppe tätigen Mitarbeiter selbstorganisiert in virtuellen Workshops. Das Ziel ist vor allem, das gemeinsame Wertesystem weiter zu entwickeln, das Lernen in Netzwerken zu ermöglichen und die Motivation für die selbstorganisierten Kompetenzentwicklungsprozesse zu fördern.
- Soziale Lernplattform: Die Lern- und Kommunikationsprozesse in dieser Lernkonzeption erfordern eine spezifische Lern-Infrastruktur, eine Soziale Lernplattform. Diese ermöglicht den Aufbau von E-Portfolios, unterstützt kollaboratives Lernen und Arbeiten sowie formelles und informelles Lernen und synchrone und asynchrone Kommunikation mit Web 1.0 und Web 2.0 Instrumenten. Dieser Lernraum sollte durch en Lerner zunehmend in personalisiert werden können, so dass sich das System zu einem PLE – Personal Learning Environment entwickelt.
All diese Anforderungen an Workplace Learning können wir heute bereits erfüllen, weil die Instrumente zur Verfügung stehen. Die Herausforderung liegt in dem Paradigmenwechsel, der grundlegend veränderte Denk- und Handlungsweisen aller Beteiligten erfordert. Deshalb ist ein Veränderungsprozess die notwendige Voraussetzung für dieses innovative Lernsystem.