Workplace Learning konkret

Der Ansatz, den Lernern einen Ermöglichungsrahmen zur Verfügung zu stellen, bedeutet einen Paradigmenwechsel in der betrieblichen Bildung. Nicht mehr die Personalentwicklung oder Trainer organisieren die Lernprozesse, der Lerner selbst ist nunmehr dafür verantwortlich. Damit wird Workplace Learning möglich, weil es jeweils durch aktuelle Herausforderungen initiiert wird und deshalb nur vom Lerner selbst gestaltet werden kann.

Deshalb stellt sich die Frage, wie das Lernsystem innerhalb des Ermöglichungsrahmens konkret gestaltet werden muss, um Workplace Learning zu ermöglichen. Bei diesen Überlegungen haben wir folgende Merkmale heraus gearbeitet:

  • Kompetenzziele: Die Optimierung der Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter in der Praxis und damit ihres Beitrages zum Unternehmenserfolg  ist das Ziel. Dies erfordert individuelle, selbst definierte Lernziele, die sich konsequent an den Kompetenzentwicklungs-Möglichkeiten jedes Lerners orientieren.
  • Kompetenzorientiertes Lernen: Die Kompetenzentwicklung wird regelmäßig aus verschiedenen Blickwinkeln, der des Lerners, seines Lernpartners, des Lernbegleiters oder der Führungskraft, gemessen, analysiert und ausgewertet. Der gesamte Lernprozess wird mit Hilfe eines Kompetenzerfassungssystems konsequent auf die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten der Lerner hin ausgerichtet. Deshalb werden nach der  Selbsteinschätzung (90o – Messung) Kompetenzmessungen unter Einbeziehung der Lernpartner (180o – Messung),  des Vorgesetzen ( 270o – Messung) und beispielsweise des  E-Mentors (360o – Messung) durchgeführt.  Im Abgleich dieser individuellen Kompetenzen, aber auch der Ergebnisse aus Learning Analytic Tools, mit den Rahmenbedingungen und den Möglichkeiten des Lernsystems definiert jeder Lerner seine persönlichen Kompetenzentwicklungsziele. Dies erfolgt meist in einem Diskussionsprozess mit dem Lernpartner und evtl. der Führungskraft. Auf dieser Grundlage werden die Lernziele bei Bedarf immer wieder angepasst und die Lernprozesse in einem dynamischen Prozess durch die Mitarbeiter selbst in Abstimmung mit ihren Lernpartnern und evtl. dem E-Mentor laufend optimiert.  Damit entwickelt jeder Teilnehmer seine individuelle Lernstrategie.
  • Selbstorganisiertes Lernen: Innerhalb des Ermöglichungsrahmens, den der Mitarbeiter über die soziale Lernplattform nutzen kann, organisiert er seine  Kompetenzentwicklungsprozesse in Abstimmung mit seinen Lernpartnern und evtl. des E-Mentors selbst. Dabei orientiert er sich den Vereinbarungen mit der Führungskraft und dem verbindlichen Werterahmen. Mit Hilfe ihrer E-Portfolios  können die Lerner ihre persönlichen Lernprozesse planen und dokumentieren. Neben den Ergebnissen der regelmäßigen Kompetenzerfassung dokumentieren sie dort ihre wichtigsten Dokumente, Ausarbeitungen oder Präsentationen. Sie können selbst entscheiden, wer Einsicht in diese Lernsammlung nehmen darf. Einzelne Lerner nutzen auch die Möglichkeiten von Open Resources oder tauschen sich in freien Communities in der Praxis aus. Das E-Portfolio ist auch direkt mit den Web Based Trainings verknüpft, so dass die Lernergebnisse im e-Learning, aber auch die frei formulierten Antworten der Lerner aus der Bearbeitung von problemorientierten Freitextaufgaben sowie die Rückmeldungen der Lernpartner dazu in ihrem persönlichen Bereich dokumentiert werden.     
  • Individueller Wissensaufbau und Qualifizierung: Dieser Bereich wird über eine Vielzahl  stark  modularisierter Web Based Trainings (Micro-Learning) ermöglicht, die das erforderliche systematische und aktuelle Fachwissen kontextsensitiv zur Verfügung stellen. Die Lerner bearbeiten in ihren WBT kooperativ problembezogene Aufgabenstellungen aus der Praxis zum Wissensaufbau, aber auch Reflexionen und Fallstudien. Jeder Lerner eignet sich damit gezielt das fehlende Wissen „on-demand“ an, das er zur Lösung der Aufgaben in der Praxis und in Praxisprojekten benötigt. Hierbei können sie auch Mobile-Learning Systeme nutzen. Lernmethodik und –geschwindigkeit, aber auch Ort und Zeitpunkt der Bearbeitung der Lernprogramme und Aufgabenstellungen werden von jedem Lerner selbstverantwortlich festgelegt.
  • Orientierung und Reflexion in Workshops: In einem Blended Learning Konzept können die Lerner ihre Erfahrungen regelmäßig in Workshops reflektieren und anwenden. Offene Fragen aus der Praxis, den Projekten oder Transferaufgaben werden bei Bedarf mit Experten und oberen Lernern bearbeitet.  Es wird immer wieder weiterführendes Wissen ausgetauscht, vor allem zu aktuellen Inhalten oder aus der unternehmensbezogenen Führungspraxis. In diversen Übungen werden Methoden und Führungstechniken im „Labor“, z.B. mittels Rollenspielen, trainiert. Darüber hinaus erhalten die Lerner in der Diskussion Hilfen für die Zeit des selbst organisierten Lernens. Schließlich werden jeweils verbindliche Vereinbarungen für die jeweils nächste Selbstlernphase getroffen. Weiterhin werden in diesem Blended Learning Element  Elemente mit Event-Charakter, wie z.B. Kaminabende mit oberen Lerner oder Outdoor-Übungen, integriert.
  • Kompetenzaufbau über Transferaufgaben: Neben dem Wissensaufbau und der Qualifizierung übernehmen die Lernprogramme auch die Aufgabe, über offene Transferaufgaben, die sich an realen Problemstellungen aus der Führungspraxis orientieren, erste Kompetenzentwicklungsprozesse zu initiieren. Diese Lernprozesse können durch weitere kurzfristig vereinbarte Transferaufgaben verstärkt werden. Die dabei gewonnenen Erfahrungen werden mit Lerpartnern und in der Community of Practice ausgetauscht und diskutiert.
  • Kompetenzentwicklung im Prozess der Arbeit und in realen, herausfordernden Projektaufträgen: Nicht mehr Seminartermine oder E-Learning-Angebote, sondern die aktuellen, herausfordernden  Aufgaben in der Praxis, wenn beispielsweise herausfordernde Planungsaufgaben, Auswahlentscheidungen, Delegation von Aufgaben oder schwierige Mitarbeitergespräche zu bewältigen sind, initiieren und  bestimmen die selbstorganisierten Lernprozesse. Diese werden regelmäßig durch die Führungskräfte der Teilnehmer im Rahmen der Mitarbeitergespräche unter Einbeziehung der Kompetenzmessungen sowie evtl. weiterer Kennzahlen aus Learning Analytics Tools analysiert und bewertet. Lernen ist damit von der eigenen Kompetenzentwicklung nicht mehr zu trennen und erfolgt bevorzugt im Prozess der Arbeit selbst; formelle Lernangebote, z.B. Web Based Trainings, Lernvideos oder Podcasts, werden innerhalb des Ermöglichungsrahmens bei Bedarf vom Lerner aktiv gesucht und zeitnah in seinen Lernprozess mit einbezogen, bilden aber nicht das Zentrum des Lernens.    Insbesondere bei jungen Lernern können Projekte mit realen Aufgabenstellungen, die aufgrund ihrer Komplexität eine längerfristige Projektbearbeitung erfordern, die Kompetenzentwicklungsprozesse gezielt initiieren.
  • Kompetenzorientiertes Wissensmanagement: Das Erfahrungswissen, das die Lerner in ihren Lernprozessen aufbauen, tauschen sie mit ihren Lernpartnern über Lerntagebücher (Blogs) aus und entwickeln es im Rahmen der Community of Practice zu gemeinsamem Wissen weiter. Die Gruppenmitglieder verpflichten sich, diese Lerntagebücher zu lesen und zu kommentieren, bei Bedarf Hilfestellung zu Anregungen zu geben. Dadurch entsteht ein netzbasierter Entwicklungsprozess der alle Gruppenmitglieder an dem gewonnen Erfahrungswissen teilhaben läßt. Gleichzeitig wird Lernen im Netz initiiert, geübt und systematisch optimiert. Die Weblogs werden damit zu Instrumenten der Selbstbeobachtung und Selbstreflexion der jeweiligen Lösungen im eigenen Führungsprozess der Teilnehmer, aber auch der individuellen Lernprozesse.  Die Lerner können   durch Verfolgen der Weblogs am Lernprozess anderer Lerner teilhaben. In Verbindung mit Suchfunktionen werden Weblogs wichtige Elemente eines kompetenzorientierten Wissensmanagementsystems, so dass man neben Quellen mit Fach- und Erfahrungswissen auch Personen für die Lösung von Problemstellungen findet. Ein Netzwerk aus Weblogs bildet wiederum eine inhaltliche Grundlage für das Lernen im Netz.
  • Strukturierungshilfen für individuelles Lernen: Das Lernsystem unterstützt die Lerner bei der Planung ihrer individuellen Lernprozesse. Sie optimieren damit im Laufe der Zeit gemeinsam mit ihren Lernpartnern und evtl. Lernbegleitern ihre individuellen Lernprozesse.
  • Feedback: Selbst organisiertes Lernen erfordert zwingend regelmäßige Rückmeldungen. Die Lerner werden dadurch in die Lage versetzt, ihre Lernstrategien laufend zu optimieren, Kompetenzentwicklungsmöglichkeiten zu erkennen und diese Lücken gezielt zu schließen. Deshalb kommt dem Austausch und der Diskussion von Erfahrungswissen mit Lernpartnern, Experten und Lernern eine zentrale Bedeutung zu. Im formellen Lernbereich spielen Rückmeldungen aus standardisierten Aufgaben der Lernprogramme durch den Computer, verbunden mit einem Scoringsystem, eine Rolle. Learning Analytic Tools bereiten die Lernerdaten individuell auf und geben den Lernen damit wichtige Hinweise zur Optimierung ihrer individuellen Lernprozesse,
  • Vergleichsmaßstäbe: Selbst organisiertes Lernen erfordert Vergleichsmaßstäbe.  Deshalb werden Arbeitsergebnisse aus der Praxis und Projektergebnisse in der Community of Practice, Ausarbeitungen zu  Übungen und Transferaufgaben in der Learning Community präsentiert und diskutiert. Diese Prozesse werden mit Hilfe von Social Software optimiert.
  • Lernwegflankierung durch Co-Coaching: Lerntandems unterstützten sich emotional, motivational und lernstrategisch. Die Tandemtreffen werden über Telefon, Skype, E-Mail, Zweier-Chat oder auch über persönliche Treffen gestaltet. Jedes Tandem bringt seine Arbeitsergebnisse in die jeweilige Lerngruppe sowie evtl. den Kurs ein. Zu den Ergebnissen gibt es wieder Rückmeldungen durch die Lernpartner oder die Lerngruppe. Lerngruppen entwickeln Lösungen bzw. Präsentationen für komplexe Herausforderungen aus der Praxis. Außerdem tauschen sich die Mitglieder der Lerngruppen intensiv über ihre Projektfortschritte, aber auch ungelöste Probleme aus und unterstützen sich gegenseitig in ihren individuellen und organisationalen Lernprozessen.
  • Lernen im Netz mit Social Software: Soziales Lernen setzt eine qualitativ höhere Vernetzung von Lern- und Kooperationspartnern voraus, über Kanäle, die nicht nur Sachwissen transportieren, sondern es auch ermöglichen, Urteile und emotional-motivationale Bewertungen zu kommunizieren. Hierfür wird eine Soziale Lernplattform benötigt, die kollaboratives Arbeiten und Lernen ermöglicht.
  • Communities of Practice: Die Lerner bauen ihr Netzwerk systematisch auf, indem sie Communities of Practice bilden. Regelmäßig treffen sich die neuen und die schon bisher in dieser Gruppe tätigen Mitarbeiter selbstorganisiert in virtuellen Workshops. Das Ziel ist vor allem, das Lernen in Netzwerken zu ermöglichen, das gemeinsame Wertesystem weiter zu entwickeln und die Motivation für die selbstorganisierten Kompetenzentwicklungsprozesse zu fördern. Deshalb werden spannende Diskussionen oder Übungen eingefügt, die letztlich zu interessanten Vorsatzbildungen führen.
  • Soziale Lernplattform: Die Lern- und Kommunikationsprozesse in dieser Lernkonzeption der dargestellten Fallstudie erfordern eine spezifische Lern-Infrastruktur, eine Soziale Lernplattform. Diese ermöglicht den Aufbau von E-Portfolios, unterstützt sowohl formelles und informelles Lernen und synchrone und asynchrone Kommunikation mit Web 1.0 und Web 2.0 Instrumenten. Dieser Lernraum sollte durch den Lerner zunehmend  personalisiert werden können, so dass sich das System zu einem PLE – Personal Learning Environment – entwickelt.

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