Eine Studie des Harvard Business manager (02/2023), die auf fast 5.000 Stellenbeschreibungen für obere Führungskräfte, der Datenbank des US-Arbeitsministeriums sowie 14.000 Artikeln basiert, macht deutlich, dass die Unternehmen die Rollen der Top-Manager*innen in den vergangenen Jahrzehnten neu definiert haben und sich die Anforderungen an diese Zielgruppe damit deutlich verändert haben. Zwar sind Hard Skills aus der klassischen Managementausbildung, wie fachliche Expertise, also Wissen und Qualifikationen zu finanziellen und betrieblichen Ressourcen, zur Überwachung und Steuerung der Unternehmensperformance, zum Personalmanagement oder zu administrativen Aufgaben nach wie vor wichtig. Ihre Bedeutung hat jedoch in den vergangenen zwei Jahrzehnten um 40 % abgenommen.
Soft Skills werden immer wichtiger
Die analysierten Stellenbeschreibungen zeigen jedoch, dass die Bedeutung der Soft-Skills, also Werte und Kompetenzen, im gleichen Zeitraum um 30 % zugenommen hat.[1]
Beispiele dafür sind
- die Selbsterkenntnis,
- die Kunst, zuzuhören und gut zu kommunizieren,
- die interne Kommunikation effektiv zu orchestrieren,
- verstreutes und spezialisiertes Wissen zusammen zu führen,
- die Fähigkeit, mit unterschiedlichen Menschen und Gruppen zusammen zu arbeiten,
- die passenden Mitarbeitenden für Aufgaben zu identifizieren sowie
- die Gabe, zu erkennen was andere denken und fühlen.
Dies wird in der Psychologie als Theory of Mind bezeichnet.
Was Führungskräfte wirklich brauchen
Diese Entwicklung der „Theory of Mind“ zeigt sich nicht nur bei den Führungskräften, sondern kann in der gesamten Belegschaft festgestellt werden. Deshalb kommt dem Wert Netzwerken eine immer größere Bedeutung zu.
Wenn alle Unternehmen die gleichen oder ähnlichen IT-Systeme nutzen, dann macht die Führung der Mitarbeitenden den Unterschied aus. Je stärker sich die digitale Transformation in den Unternehmen durchsetzt, umso wichtiger wird es, Gelegenheiten zur Kommunikation aktiv und effektiv zu nutzen. Gleichzeitig gewinnen Kompetenzen wie Urteilsvermögen, Kreativität und Sinneswahrnehmung an Bedeutung.[2]
Die Abkehr vom Primat des Shareholder Value hin zu Stakeholder Ansätzen hat weiterhin zur Folge, dass Führungskräfte zunehmend auch nach außen, in den Sozialen Medien immer öfter in Echtzeit, kommunizieren müssen. Die Konzepte der Business School mit der Fokussierung auf Fallstudien können diesen Anforderungen nicht einmal annähernd gerecht werden. In Fallstudien können keine Soft-Skills entwickelt werden, auch wenn dies immer wieder behauptet wird.
Werte- und Kompetenzforschung
Die Werte- und Kompetenzforschung, z. B. von John Erpenbeck, Lutz von Rosenstiel oder Rolf Arnold,[3] zeigt klar, dass Werte und Kompetenzen nur bei der Bewältigung von realen Herausforderungen in der Praxis selbstorganisiert entwickelt werden können. Erst wenn Emotionen zu handlungsleitenden Werten verinnerlicht –„interiorisiert“ – werden, können neue Kompetenzen aufgebaut werden. Diese emotionalen Herausforderungen können in Fallstudien nicht erzeugt werden. Deswegen ist diese Methode geeignet, Methoden und Fertigkeiten aufzubauen, Werte und Kompetenzen jedoch nicht.
Auch in Auswahlentscheidungen für Führungskräfte wird häufig noch auf die klassischen Fachkompetenzen fokussiert, jedoch mit rückläufiger Tendenz. Einige Unternehmen nutzen psychometrische Tests, mit denen man beispielweise ermitteln kann, ob eine Person kontaktfreudig ist. Ob sie aber beispielsweise auch in der Lage ist, respektvoll mit verschiedenen Gruppen erfolgreich zu interagieren, lässt sich so nicht ermitteln, so dass im Regelfall Vermutungen angestellt werden, die manchmal völlig falsch liegen können. Deshalb empfehlen wir, direkt die Ausprägungen in der Haltung und in den Handlungsfähigkeiten, also Werte und Kompetenzen, zu erfassen.
Manche Unternehmen nutzen Simulationen, um Soft-Skills zu erfassen. Meist lassen sich damit eher administrative und fachliche Kompetenzen beurteilen. Die Fähigkeit, Teams zu koordinieren oder mit verschiedenen Interessengruppen zu interagieren, kann nur erfasst werden, wenn in der Simulation tatsächlich Emotionen wie in realen Herausforderungen entstehen. Dies ist aus Zeit- und Kostengründen heute jedoch kaum möglich.[4]
Entwicklung von Werten und Kompetenzen
Die Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist eindeutig. Die gezielte Entwicklung von Werten und Kompetenzen der Führungskräfte erfordert drei Schritte:
Erfassung, Analyse und Bewertung der individuellen Werte– und Kompetenzausprägungen mit einer Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzungen.
Ableitung von individuellen Entwicklungszielen für die Werte und Kompetenzen der Führungskräfte.
Selbstorganisierte Gestaltung von personalisierten Entwicklungsprozessen im Prozess der Führung mit Begleitung durch Lernpartner*innen und Lernbegleitenden unter Nutzung einer Learning Experience Platform. Wissen wird, so weit nötig, für die Bewältigung der Führungsaufgaben on demand aufgebaut.
Diese Vorgehensweise eröffnet die Möglichkeit, auch bei den eigenen Mitarbeitenden gezielt nach Talenten für Führungsaufgaben zu suchen. Dies ist insbesondere unter dem Aspekt des Fachkräftemangels immer wichtiger. Hinzu kommt, dass die Einschätzung von Werten und Kompetenzen bei den eigenen Mitarbeitenden mit einer höheren Treffsicherheit möglich ist, als bei Bewerbenden von außen, da Fremdeinschätzungen von Kolleg*innen und der Führungskraft mit hinzu gezogen werden können.
[1] Harvard Businesss manager 02/2023, S. 21
[2] ebenda S. 22
[3] vgl. u.a. Arnold, Erpenbeck (2013): Wissen ist keine Kompetenz, Hohengehren; Erpenbeck, von Rosenstiel, Grote, Sauter (Hrsg.) (2017): Handbuch Kompetenzmessung, Stuttgart
[4] Harvard Business manager, 02.2023 S. 25